Adele Neuhauser als Bibi Fellner am Sonntag im "Tatort: Wahre Lügen" um 20.15 Uhr, ORF und ARD.

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STANDARD: Die erste Frage erfolgt auf vielfachen Wunsch: Wie wird man Leiche im Tatort

Neuhauser: Hochinteressant! Ich frage mich immer wieder, wieso Menschen diesen Wunsch hegen als Leiche da herumzuliegen. Es ist erstens ungemütlich, zweitens eine unglückliche Aufgabe, weil die Aufmerksamkeit doch auf den Ermittlern liegt und man wirklich nichts tun darf – nicht atmen, blinzeln, schlucken. Meistens liegt man auf dem schrecklichen Seziertisch, der sehr ungemütlich ist. Bei einer Tatort-Folge lag die Leiche im Parkdeck bei Minusgraden nackt im Einkaufswagen. Das hat beim Hinschauen richtig weh getan. Wie wird man Leiche? Naja, über den üblichen Weg: Man wird ermordet.

STANDARD: Das ist in der Tat eine wichtige Voraussetzung.

Neuhauser: Wichtig! Und um so weit zu kommen, muss man sich bei einer Statistenagentur wie Austroconcert melden.

STANDARD: Haben Sie Erfahrungen als Leiche im Film?

Neuhauser: Noch nicht, bei einer ORF-Jahresrückschau sollte ich mich in einen dieser von der Polizei vorgezeichneten Rahmen legen und eine Leiche spielen. Da habe ich mich wirklich zu wahrer Brillanz hinaufge-nicht-atmet.

STANDARD: Dann gibt es auch gute und schlechte Leichen?

Neuhauser: Die gibt es. Ich erinnere mich an einen Film, indem jemand aufgebahrt in einem Sarg lag, sehr enge Kleidung trug und ewig lang das Gesicht desjenigen im Bild zu sehen war. Dazu kam, dass die Trauernde ihn berührte und küsste, und es war keine Regung zu sehen. Man stelle sich vor: Du hast die Augen geschlossen, spürst zwar den Atem, aber du weißt nicht, wann derjenige dich berührt. Umwerfend!

STANDARD: Wie geht es Ihnen im Angesicht zu den Spieltoten?

Neuhauser: Sehr unterschiedlich. Manchmal gehört es zur Szene und man weiß, wie lange derjenige in der Maske zugebracht hat. Manchmal ist es schon gespenstisch. Bei einem Tatort ging es um Kindesmissbrauch, uns ging es allen richtig seltsam.

STANDARD: Wie bewerten Sie jüngste Horror- "Tatort"-Folgen?

Neuhauser: Das sind Ausflüge. Die Tatort-Macher der ARD haben offenbar Sorge, dass der Tatort jetzt nach 40 Jahren in Gefahr ist, deshalb versucht man immer wieder etwas Neues. Es wird versucht, mit anderen Stilmitteln zu arbeiten und das Mainstream-Publikum zu bedienen. Also so: In der Sekunde fünf muss eine nackte Frau, spätestens nach Sekunde 15 muss endlich die Leiche zu sehen sein. Ich glaube aus diesen Schemata sind wir langsam draußen.

STANDARD: Gibt’s die?

Neuhauser: Nicht unbedingt beim Tatort, aber ich weiß von Vorgaben, einer Art Matrix, die sagt: So fesseln wir das Mainstream-Publikum.

STANDARD: Was macht man, wenn man in der Matrix gefangen ist?

Neuhauser: Schwierig. Ich habe in zwei solcher Filmen mitgespielt und weiß von den Nöten des Regisseurs, der darunter gelitten hat, es dann aber elegant gelöst hat.

STANDARD: "Wahre Lügen" ist der 20. Fall der Bibi Fellner. Dieses Mal wieder mit wahrem Hintergrund: Es geht um den ungeklärten Tod des ehemaligen Verteidigungsministers Karl Lütgendorf.

Neuhauser: Ob das ein Suizid war oder ein Mord, das weiß man bis heute nicht. Das ist der Ausgangspunkt. Thomas Roth hat recherchiert, und es ist gespenstisch wie wenig es darüber gibt. Bis heute ist das eine sehr dunkle, grausliche Ecke.

STANDARD: Es gibt Indizien: Er war Rechtshänder, die Waffe hatte er in der linken Hand, Einschusswinkel, geschlossene Lippen sprechen gegen Suizid – was glauben Sie?

Neuhauser: Das Indiz, dass so wenig Hintergrundinformationen da sind, ist ein sehr starkes, also dass es eher Mord war. Bis heute ist es ein sehr prekärer Fall. Wir haben die Geschichte im Vorfeld mit Samthandschuhen angefasst, weil wir nicht in ein Wespennest stechen wollten. Es hat auch eine österreichische Tradition, so lange nicht über eine Sache zu sprechen, bis sich scheinbar kein Mensch mehr dafür interessiert

STANDARD: Udo Proksch hatte damit zu tun und spielt auch eine Rolle im Tatort. Da nimmt man in Kauf, dass nicht sehr viele Zuschauer in Deutschland wissen, wer Udo Proksch war. Muss man das nicht erklären?

Neuhauser: Ich bin sicher, viele wissen auch in Österreich nicht, wer Udo Proksch ist. Das war ja genau der Punkt, wie weit vertieft man die vorhandenen Informationen oder wann belässt man es dabei.

STANDARD: Die "echte" Polizei muss immer wieder zum Einsatztraining. Wieschaut das bei Ihnen aus?

Neuhauser: Gott sei Dank müssen wir ja nicht mit scharfer Waffe schießen. Wir haben zu Beginn einen Tag bei der Kobra verbracht, damit ich den Arbeitsablauf sehe und auch einmal mit scharfer Waffe schieße.

STANDARD: Und?

Neuhauser: Ehrlich gesagt, nicht mein Ding. Mir machen Waffen Angst, besonders mit scharfer Waffe. Als Juli Zirbner habe ich für Vier Frauen und ein Todesfall eine Jagdprüfung absolvieren müssen. Da habe ich herumgeballert wie eine Blöde, das war überhaupt kein Problem. Aber beim Tatort ist es doch eigenartig, es stehen Papierfiguren, die Menschenumrisse haben. Ich bin froh, dass ich die Bibi Fellner nur spielen muss. Es ist ein harter Job.

STANDARD: Was ist so super daran, im "Tatort" zu spielen?
Neuhauser: Erstens, dass die Bibi eine der realistischsten Figuren ist, die ich bis dato gespielt habe, von der ich immer die Sehnsucht hatte, von mir, Adele, wegzukommen in eine andere Biographie und die jetzt aber am nächsten an mir dran ist. Ich sehe so aus, wie ich in der Rolle aussehe, ich bin nicht in einer Maske, nicht in einer Verkleidung. Ich bin am nächsten an mir dran. Die Bibi und die Adele spiegeln und nähren einander in vielen Dingen – was den Humor betrifft, was die Empathie betrifft, was politische Ausrichtung betrifft. Zweitens, dass wir Fälle haben, die eine gesellschaftliche Bedeutung haben. Der Tatort hat für mich wie kein anderes Genre die Gelegenheit, einen Spiegel unserer Zeit zu zeigen. Das ist eine irre Qualität. (Doris Priesching, 13.1.2018)

Das ganze Gespräch mit Adele Neuhauser zum Nachhören hier im STANDARD-Podcast Serienreif: