Es waren letztes Jahr schon viel zu viele. Und im erst zwei Wochen alten neuen Jahr sind es schon vier Frauen, die durch Männer aus ihrem engsten sozialen Umfeld ums Leben kamen – Männer, mit denen sie früher einmal ihr Leben geteilt hatten oder bis zur tödlichen Gewalt teilten.

Frauenmord oder Femizid – das sind Begriffe, die manchmal wirken, als wären sie aus der Zeit gefallen. Die Tatsache geschlechtsspezifischer Gewalt scheint oft nicht mehr in eine Gesellschaft zu passen, in der – so scheint es zumindest – nur noch über das Klein-Klein des feministischen Fortschritts diskutiert wird; über Feinheiten oder – wie das Urteil auch so oft ausfällt – Überspanntheiten. Seien es die Frauenquoten oder die leidigen Political-Correctness-Diskussionen.

Doch sind es tatsächlich Kleinigkeiten? Oder ist es angesichts der anhaltenden geschlechtsspezifischen Gewalt nicht vielmehr notwendig, wirklich alle alten Frauen- und Männerrollen über den Haufen zu werfen? Damit kein Mann mehr auf die Idee kommt, auf eine Frau mit einer Eisenstange einzuprügeln, wenn sie seine Annäherungsversuche ablehnt.

Gerade beim Thema Gewalt gegen Frauen zeigt sich, dass sich die verbleibenden großen Probleme bei der Gleichberechtigung von Frauen nicht so leicht von den kleinen trennen lassen. Dieses große Ganze zu sehen ist eine enorme Herausforderung beim Kampf gegen Gewalt an Frauen.

Denn diese hat nicht nur eine viel zu lange Geschichte, sie ist gerade wegen dieser langen Geschichte auch gespickt mit vielen unterschiedlichen Mechanismen, die fest in unserer Gesellschaft verankert sind.

Zurück zu alten Rollenbildern

So ist etwa in den seltensten Fällen in der Berichterstattung von Frauenhass die Rede. Stattdessen wird leidenschaftlich die Vorgeschichte von Beziehungstaten durchleuchtet – dass es eine On-off-Beziehung gewesen sei, dass Eifersucht im Spiel gewesen sei, dass die Frau eine Scheidung angekündigt hätte. Frauenhass würde den Umstand aber durchaus gut erklären, warum man auf all das mit dem Umbringen der Partnerin oder Expartnerin reagiert. Stattdessen fokussiert man aber auf Gewalt gegen Frauen noch immer so, als ob es Einzelfälle wären – und blendet strukturelle Probleme aus, die diese Gewalt reproduzieren.

Und diese Probleme beginnen dort, wo sie viele noch immer nicht sehen wollen – etwa wenn die Verteidigung konservativer Familien- und Beziehungsmodelle gegen feministischen Eifer ausgerufen wird. Doch ein Zurück zu alten Rollenbildern bringt Frauen keinen Schutz, sondern leistet der Gewalt gegen sie weiter Vorschub.

Finanzielle Abhängigkeit oder der noch immer selbstverständliche Reflex, vor allem das Verhalten von Frauen in den Blick zu nehmen, wenn es zu Gewalt kommt – all das ist fester Bestandteil unserer Gesellschaft. Dieser Reflex zeigt sich bei sexueller Gewalt darin, dass sofort die moralische Integrität der Frau infrage gestellt wird.

Frauen haben sich in den letzten Jahrzehnten zahlreiche neue Möglichkeiten und Lebensentwürfe erkämpft. Wenn physische Gewalt die Antwort auf die Versuche ist, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, dann ist es höchste Zeit, einen genauen Blick auf die Männer zu richten und sie zu fragen, welchen Beitrag sie leisten können. Dabei geht es um jedes noch so kleine Detail im Zusammenleben, das helfen könnte, Gewalt gegen Frauen endlich ernst zu nehmen. Und zwar nicht erst dann, wenn eine Frau tot ist. (Beate Hausbichler, 15.1.2019)