Von der Türkei finanzierter Aufständischer in al-Bab, Aleppo.

Foto: APA/AFP/NAZEER AL-KHATIB

Ein "Syrien", in das man Flüchtlinge zurückschicken kann, gibt es nicht. Zwar stehen zu Beginn des Jahres 2019 wieder große und zusammenhängende Teile des syrischen Staatsgebietes unter Kontrolle des Regimes und deren Unterstützer aus Russland und dem Iran (und von Letzterem abhängigen Milizen). Dort herrscht relative Ruhe im Sinne von Abwesenheit von Kampfhandlungen, und es gibt auch Sicherheit – für jene, die keine Probleme mit dem Regime von Bashar al-Assad haben oder hatten.

Wobei der Begriff der "Human Security", der menschlichen Sicherheit, aber nicht nur als "Freiheit von Angst" definiert ist, sondern auch als "Freiheit von Not". Sie ist vor allem in diesem strengen Winter auch in ruhigen Gebieten nicht gegeben: Strom, Gas, Wasser, Wärme, alles ist knapp. Aber da geht es den Millionen aus Syrien vor allem in die Nachbarländer Türkei, den Libanon und Jordanien Geflüchteten in ihren Lagern natürlich auch nicht besser, sondern noch schlechter.

Die Idee, möglichst viele Flüchtlinge möglichst schnell wieder nach Syrien zurückzubringen, stammt von Russland. Wenn sie nun in Österreich aufgegriffen wird – wenngleich erst einmal mit einem anderen Konzept, als punitive Maßnahme -, wird man das in Moskau mit Befriedigung zur Kenntnis nehmen. Dort klagt man darüber, dass der Westen sowie Assad-feindliche Kräfte im Nahen Osten gegen die russischen Rückführungspläne ins sichere Syrien agitieren: aus politischen, gegen den Sieger des Kriegs, Bashar al-Assad, gerichteten Gründen.

Eine politische Botschaft

Umgekehrt ist auch die russische Initiative mehr eine politische als eine humanitäre: Sie hat den Zweck, ein Bild Syriens zu zeichnen, in dem wieder normale Verhältnisse eintreten und die Regierung alle Verwaltungs- und Versorgungsaufgaben bewältigen kann – und bereit ist, auch jene Gebiete wieder zu übernehmen, die noch unter Kontrolle anderer Kräfte sind (dazu später). Auf russische Initiative wurde vorigen Sommer ein "Zentrum für die Aufnahme, Verteilung und Unterbringung von Flüchtlingen" aufgezogen. Genaue Zahlen sind schwer zu bekommen, russische Angaben gehen von über 100.000 Heimkehrern aus dem Ausland im Jahr 2018 aus und der Rückkehr ebenso vieler IDPs (Binnenflüchtlinge).

Das Interesse der Nachbarländer, die Syrer aufgenommen haben, an der russischen Initiative ist prinzipiell vorhanden: Länder wie Jordanien und der Libanon sind seit Jahren an den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Aus Jordanien gibt es eine Rückkehrbewegung über die Grenze nach Südsyrien. Aber Amman betont, niemanden zwingen zu wollen. Denn die Frage steht immer im Raum, was mit Menschen geschieht, die nicht nur einfach vor den Kämpfen geflüchtet sind, sondern als Regimegegner, auch wenn sie vielleicht nie selbst zur Waffe gegriffen haben.

In der libanesischen Innenpolitik, die pro und contra Assad gespalten ist, wird genau über diese Frage gestritten: Während die Hisbollah, die an der Seite Assads gekämpft hat, die russische Initiative unterstützt, berichtet der Minister für Flüchtlingsangelegenheiten, Mouin Merhebi, von Fällen, in denen Heimkehrer willkürlich verhaftet oder auch getötet worden seien.

Rechnungen begleichen

Wobei man sicher sein kann, dass in Syrien auch andere Kräfte als das Regime dazu bereit sind, offene Rechnungen zu begleichen. Die Frage, ob man nach Syrien zurückkehren kann, verlangt jedenfalls erst einmal nach der Rückfrage "wer, wohin".

Völlig offen ist aber vor allem die Entwicklung in den Gebieten, auf die Damaskus keinen Zugriff hat: der Nordwesten unter Kontrolle der Türkei beziehungsweise türkisch-unterstützter Rebellen; und der Nordosten, in dem bisher die USA die Hand über die kurdische YPG beziehungsweise die von den YPG dominierten SDF (Syrischen Demokratischen Kräfte) halten, den lokalen Bodentruppen der Anti-IS-Koalition gegen den "Islamischen Staat". Der IS zeigte am Mittwoch in Manbij bei einem Anschlag, bei dem auch Amerikaner starben, seine Schlagkraft. Die Kurden in dem Gebiet, auch östlich des Euphrats, fürchten aber noch mehr eine weitere türkische Invasion. Und doch war Manbij in der jüngeren Zeit einer der sicheren Orte in Syrien. So schnell kann sich das ändern. Und man sollte auch erwähnen, dass bei Luftangriffen der Anti-IS-Koalition immer wieder Zivilisten getötet und verletzt werden.

Und da ist noch Idlib, für das es eigentlich ein russisch-türkisches Arrangement aus dem Herbst 2018 gibt: Danach sollte die Türkei die Nusra-Front – die unter dem Namen HTS (Hay'at Tahrir al-Sham) läuft, aber noch immer Al-Kaida zugerechnet wird – in Schach halten. Dafür greifen Regime und Russland die Rebellenenklave Idlib nicht an, zumindest nicht in einer großen Operation, punktuelle Angriffe gibt es immer wieder.

Zuletzt haben aber die dort präsenten türkischen Truppen dabei zugesehen, wie die HTS die zuvor von Ankara selbst unterstützten Rebellen (ihr Sammelname ist Nationale Befreiungsfront, eine der wichtigsten Gruppen ist Nureddin Zengi) nach und nach aus Idlib vertrieben hat. Es gibt Hinweise darauf, dass die Türkei die HTS für ihre Offensive gegen die Kurden gewinnen will, da ist wohl ihre Schlagkraft wichtiger als ihre Einstufung als "Terroristen". Und genau das ist Syrien, noch immer. "Schickt eure Flüchtlinge ruhig zurück", sagt ein Syrer zum STANDARD, "sie werden als ,Islamischer Staat' wiederkommen." (Gudrun Harrer, 17.1.2019)