Dreieinhalb Jahrzehnte hat Ruth Wodak unter anderem zu Vorurteilen und Diskriminierung geforscht – und ihre Erkenntnisse in zig Büchern, Aufsätzen sowie Sammelbänden publiziert. "Seit der Flüchtlingsbewegung 2015 sind die Ausgrenzungsdiskurse gegen religiöse Minderheiten explizierter geworden" , hält sie fest.

STANDARD: Mit SOS Mitmensch und anderen renommierten Wissenschaftern präsentieren Sie heute, Dienstag, einen Bericht, der antimuslimischen Rassismus in Österreichs Spitzenpolitik belegt. In welchem Ausmaß bedienen sich die Parteien dieser Strategie?

Wodak: Aus dem Bericht geht klar hervor, dass sich vor allem Vertreter der FPÖ diverser Mechanismen bedienen. Das ist zwar nicht neu, seit Heinz-Christian Strache die Partei übernommen hat – aber seit dem Regierungseintritt der FPÖ fällt sehr wohl auf, dass sich die ÖVP von dieser Vorgehensweise nicht genug distanziert, was entsprechende Auswirkungen hat.

STANDARD: Im Detail wurden im Untersuchungszeitraum 2018 zwanzig kampagnenartige Aktionen von Strache, Gudenus und Co ausgemacht. Damit hat sich die FPÖ als Regierungspartei also kaum gebessert?

Wodak: Mitnichten – und fest steht auch, dass sich ihre antimuslimischen Kampagnen auf eine recht heterogene Gruppe beziehen: türkische Gastarbeiter genauso wie Asylwerber und Flüchtlinge oder österreichische Staatsbürger islamischen Glaubens. Gleichzeitig möchte ich betonen, dass weiterhin auch andere Vorurteile geschürt werden: Ich erinnere etwa an den Vorstoß der Naturschutzabteilung unter Niederösterreichs Landesrat Gottfried Waldhäusl (FPÖ), dass für das Schächten von Tieren konkrete Personen geltend gemacht werden sollen. Das wäre einer Registrierung von Muslimen und Juden gleichgekommen, die nur Halal-Fleisch oder koschere Speisen zu sich nehmen.

"Zynischerweise könnte man fragen: Wann werden Muslime nicht mehr auf allen Parkbänken sitzen dürfen?": Ruth Wodak über die Ausgrenzungsversuche der FPÖ.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Heißt das, die erste Zielgruppe für FPÖ-Angriffe sind zwar Muslime – wenn es opportun erscheint, können sich diese aber genauso gut wieder gegen Juden richten?

Wodak: In der Wissenschaft wird diskutiert, ob das Bedienen antimuslimischer Reflexe längst den Antisemitismus abgelöst hätte. Doch für Österreich kann man das so nicht behaupten, auch nicht für Ungarn etwa oder Polen. Hierzulande trat FPÖ-Klubchef Johann Gudenus zum Beispiel ausdrücklich für ein christliches Europa ein – was wiederum insinuiert, dass dieses durch andere Religionen bedroht sei.

STANDARD: Welche Stereotype werden noch ausgereizt – abgesehen davon, dass sich die Muslime in Europa allzu rasch vermehren?

Wodak: Neben den demografischen Ängsten, die systematisch geschürt werden, etwa indem die FPÖ darauf hingewiesen hat, dass der Name Mohammed bei Neugeborenen stark zunimmt, wird auch betont, wie gewaltbereit die jungen Männer sind und dass Muslime insgesamt kriminelles Verhalten an den Tag legen – wie zum Beispiel in dem blauen Videoclip, in dem ein Fes tragender Mann die E-Card seines Cousins missbrauchen will. Damit werden weitere Klischees bedient: Die Muslime seien eher arbeitsunwillig, dafür betrugsanfällig – und letztlich integrationsunwillig.

STANDARD: Derzeit werden die jüngsten Frauenmorde mit dem ungezügelten Zustrom junger Männer im Flüchtlingsjahr 2015 in Verbindung gebracht. Ist es in Ordnung, wenn man darauf hinweist, dass dies Teil der Problematik ist – neben den Gewaltbeziehungen, in denen nicht wenige Frauen der Willkür hiesiger Männer ausgesetzt sind?

Wodak: Natürlich muss man den Fakten ins Auge sehen – und es hat keinen Sinn, bei dieser Thematik etwas zu verschweigen, zu verniedlichen oder zu beschönigen. Wogegen sich die Wissenschaft allerdings wehrt, ist, dass hier von der Spitzenpolitik suggeriert wird, einer ganzen Gruppe, konkret allen männlichen Flüchtlingen, seien Frauenmorde zuzutrauen. Dass es gewaltbereite junge Männer unter den Asylwerbern gibt, steht außer Streit. Aber es gibt auch den Herrn Fritzl und seinesgleichen – also ist Gewaltbereitschaft im familiären Umfeld keineswegs an eine bestimmte Religionszugehörigkeit geknüpft.

"Wir alle sind gefordert, dem Treiben entgegenzutreten – denn es ist bekannt, wohin solche Rhetorik führen kann": Ruth Wodak ist für Klarstellungen.

STANDARD: Was, wenn den emotionalen Befunden nichts entgegengesetzt wird?

Wodak: Ich halte das für eine gefährliche Demagogie. Denn es kommen auch Ausgrenzungsversuche hinzu: Denken Sie daran, dass sich Gudenus darüber beschwert hat, dass im roten Wien die Namen bei den Türschildern entfernt werden – womöglich, um zu verschleiern, dass – O-Ton! – "immer mehr muslimische Ausländer Gemeindewohnungen bekommen". Das nennt man laut dem Migrationsforscher Jens Rydgren Ethnonationalismus. Ebenso gab es die blaue Kritik, dass muslimische Migranten nicht mehr mit Gemeindewohnungen versorgt werden sollen. All das erinnert, wie im Bericht detailliert angeführt, an das Vorgehen der Nazis. Zynischerweise könnte man jetzt fragen: Wohin soll das noch führen? Wann werden Muslime nicht mehr auf allen Parkbänken sitzen dürfen?

STANDARD: Wie wäre die Politik, also auch die Opposition, jetzt konkret gefordert?

Wodak: Es müsste von allen Seiten sichergestellt werden, dass jegliche Generalisierungen gegenüber Menschengruppen in der Öffentlichkeit keinerlei Platz haben. Ich habe den Eindruck, dass einige in der FPÖ die Grenzen des Sagbaren ausloten. Freilich gibt es gesetzliche Grenzen wie den Verhetzungsparagrafen, aber das sind ja die äußersten roten Linien. Das heißt, wir alle sind gefordert, dem Treiben entgegenzutreten – denn es ist bekannt, wohin solche Rhetorik führen kann. (Nina Weißensteiner, 22.1.2019)