Theresa May versprach in ihrer Rede im Unterhaus am Montag, erneut mit der EU über die Nordirland-Frage zu verhandeln.

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Der Ton war konzilianter als zuletzt, in der Sache aber blieb Theresa May hart: Die britische Premierministerin setzt weiterhin auf das Brexit-Verhandlungspaket. Sie wolle wie in den vergangenen Tagen mit anderen Parteien, Sozialpartnern und Regionalregierungen sprechen und dann auf EU-Ebene Zugeständnisse erreichen, sagte die konservative Regierungschefin am Montag im Unterhaus.

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In Brüssel strebe sie auch Neuverhandlungen zum Backstop an, der eine offene Grenze zwischen Irland und Nordirland garantieren soll, bei Brexit-Hardlinern aber auf Widerstand stößt. Die EU lehnt Nachverhandlungen jedoch ab. Seit voriger Woche habe sich nichts geändert, erklärte ein Sprecher von EU-Ratspräsident Donald Tusk am Montag.

Die Opposition im britischen Unterhaus zeigte sich von Mays Beharrlichkeit wenig beeindruckt. Die Premierministerin verweigere sich der Realität, sagte Labour-Oppositionschef Jeremy Corbyn. Die vermeintlichen Konsultationen, bei denen May dem Vernehmen nach ein vorbereitetes Statement vom Blatt ablas, hätten sich als Augenauswischerei entpuppt. Diese Sicht teilt auch Labour-Veteran Hilary Benn: "Mag die Tür der Premierministerin auch offen sein, ihre Ansichten sind unveränderlich."

Zankapfel Zollunion

Benn gehört zu einer Gruppe führender Parlamentarier, die über Parteigrenzen hinweg eine begrenzte Machtübernahme durch das Unterhaus planen. Der Koalition aus früheren Ministern und Staatssekretären, angeführt von Yvette Cooper (Labour) sowie Nick Boles und Oliver Letwin (Tories) geht es um die Vermeidung des Chaos-Brexit ("No Deal"). Ein neues Gesetz würde die Regierung zum Aussetzen von Artikel 50 zwingen. Allerdings bleibt unklar, wie nach der historischen Niederlage der Regierung in der vergangenen Woche eine Vereinbarung mit der EU zustandekommen soll. Die Finanzhoheit der Regierung Ihrer Majestät würde der Initiative der Abgeordneten enge Grenzen setzen.

Immer wieder wurde May mit der Forderung nach dem Verbleib in einer Zollunion mit der EU konfrontiert. Dies würde die Regierung an ihrem erklärten Ziel hindern, eigene Freihandelsverträge abzuschließen; bisher ist von 36 ins Auge gefassten Vereinbarungen erst eine (mit Australien) unterschrieben, eine zweite (mit der Schweiz) ausgehandelt.

Einige Abgeordnete beschuldigten die Regierungschefin der Zeitverschwendung; am Ende werde es, gewollt oder ungewollt, zum Chaos-Brexit kommen. Tatsächlich ist angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse schwer vorstellbar, dass May die Verabschiedung des Vertrags lediglich mit Stimmen loyaler Tories, einiger Unabhängiger sowie der Unionisten gelingt. Immerhin 57 Konservative sprechen sich auf der Lobby-Website "StandUp4Brexit" gegen Mays Verhandlungspaket aus.

Neue Brexit-Partei

Die konservativen Brexiteers geraten ihrerseits durch eine neugegründete Brexit-Partei unter Druck, für die unter anderem der Europaabgeordnete Nigel Farage kandidieren will. Der Austrittsvorkämpfer hatte im Dezember die nach Rechtsaußen gerutschte Partei Ukip verlassen.

Auch in den großen Parteien gärt es. Um etwa die Brexit-Hardliner der Tories rund um Jacob Rees-Mogg zu befriedigen, hatten Regierungsmitglieder am Wochenende eine zeitliche Begrenzung des Backstop, der Auffanglösung für Nordirland, ins Spiel gebracht. Dazu könne es einen bilateralen Vertrag mit Irland geben, notfalls auch Korrekturen am Karfreitagsabkommen, mit dem 1998 der Bürgerkrieg im britischen Teil der Grünen Insel endete.

Beide Ideen wurden in Brüssel und Dublin abgelehnt. Polen aber sprach sich am Montag für eine Befristung des Backstop aus. Wie heikel die Lage in Nordirland ist, unterstrich am Samstag die Explosion einer Autobombe vor dem Gerichtsgebäude von Derry. Die Polizei nahm fünf Tatverdächtige fest, offenbar Angehörige einer Abspaltung der irisch-republikanischen Terrortruppe IRA.

EU eher ablehnend zu Mays Vorschlägen

Die EU-Kommission will am Dienstag offiziell zu Mays Vorschlägen Stellung nehmen. Erste Reaktionen deuten jedoch auf eine Ablehnung hin. "Wir sind immer bereit, uns zu treffen und zu reden", sagte ein Sprecher von EU-Ratschef Donald Tusk. Doch hätten die bleibenden 27 EU-Staaten schon im Dezember gesagt, dass das mit May ausgehandelte Austrittsabkommen nicht nachverhandelt werden könne.

Der Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament, der Deutsche Udo Bullmann, sieht indes ein zweites Referendum über den Brexit als einzigen Ausweg: "Um Stabilität zurückzugewinnen, muss man das Volk fragen."

CDU: Mays Vorschläge "nicht das, was erwartet wurde"

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel rief die britische Regierung zu raschen und konsensfähigen Vorschlägen auf. "Die Bundesregierung erwartet, dass die britische Regierung sich bald auf Vorschläge einigt, die von einer Mehrheit des Unterhauses unterstützt werden", sagte ein Regierungssprecher am Montagabend.

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer sagte, Mays Äußerungen entsprächen "sicherlich nicht dem, was wir, was in Europa unter dem Stichwort 'Großbritannien muss erklären, was es will' erwartet worden ist". Die Premierministerin setze nochmals "auf Verhandlungen, die für uns abgeschlossen sind". Der Ball liege "nach wie vor im Feld der Briten", sagte die CDU-Chefin. "Das britische Parlament muss erklären, was es will. Es hat bisher nur erklärt, was es nicht will." (Sebastian Borger aus London, Update der Redaktion am 22.1.2019 um 6 Uhr)