Herbert Kickl glaubt, fest auf dem Boden der Rechtsstaatlichkeit zu stehen.

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Wien – Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) stellt die Europäische Menschenrechtskonvention und das rechtsstaatliche Prinzip infrage. Im Interview mit Susanne Schnabl im ORF-"Report" am Dienstagabend erklärte er: "Ich glaube immer noch, dass der Grundsatz gilt, dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht." Tatsächlich ist im Bundes-Verfassungsgesetz aber festgehalten: "Die gesamte staatliche Verwaltung darf nur auf Grundlage der Gesetze ausgeübt werden." Kickl ist als Minister Teil der Verwaltung, die Gesetze macht das Parlament.

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Bei seinen Wünschen nach strengeren Regeln für Asylwerber ist Kickl vor allem die Europäische Menschenrechtskonvention im Weg. Während er bei Wolfgang Fellner auf oe24.tv jüngst noch forderte, straffällige Asylberechtigte schon nach einem erstinstanzlichen Urteil ohne Rechtskraft abschieben zu lassen, revidierte er das im "Report": "Wünschen kann man sich vieles", so sei das aber derzeit nicht machbar.

Kickl will sich "mit diesen Regelungen anlegen"

Denn es gebe "irgendwelche seltsamen rechtlichen Konstruktionen, teilweise viele, viele Jahre alt, aus ganz anderen Situationen heraus entstanden, und die hindern uns daran, das zu tun, was notwendig ist", sagte Kickl – und spielte damit auf die Europäische Menschenrechtskonvention an, die in den 1950er-Jahren als politische Folge aus den Weltkriegen und der Shoah entstanden ist und in Österreich im Verfassungsrang steht. Kickl möchte "eine Debatte darüber führen" und sich "auch anlegen mit diesen Regelungen".

Im Krone Livetalk am Mittwochabend sagte Kickl zur Thematik: "Das größte Problem für ein rechtsstaatliches System entsteht dann, wenn es die Menschen nicht mehr verstehen. Ich werde dafür geprügelt, dass ich die Rechtsstaatlichkeit einhalte. Ich bekenne mich voll und ganz zur Rechtsstaatlichkeit."

Bundespräsident verurteilt Kritik an EMRK scharf

Ohne Innenminister Herbert Kickl zu erwähnen hat es Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Mittwoch scharf verurteilt, wenn an der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) gerüttelt wird. Das "wäre eine Aufkündigung des Grundkonsens der Zweiten Republik", schrieb Van der Bellen auf Twitter. Die EMRK stehe seit 59 Jahren in Österreich im Verfassungsrang.

Moser erinnert an Legalitätsprinzip

Zurechtgewiesen wurde Kickl am Mittwoch auch von Justizminister Josef Moser (ÖVP). Die Menschenrechtskonvention habe sich bewährt und sei zu beachten, sagte Moser. Außerdem erinnerte er seinen Regierungskollegen an das rechtsstaatliche Prinzip in der Verfassung.

"In einem Rechtsstaat steht das Recht an oberster Stelle", sagte der für Justiz und Verfassung zuständige Minister, beim Verlassen der Regierungssitzung auf Kickls Äußerungen angesprochen. In der Verfassung sei klar geregelt, dass die gesamte Verwaltung nur auf Basis der Gesetze ausgeübt werden dürfe. "Ich bin mir sicher, dass auch der Bundesminister Kickl sich daran halten wird", so Moser.

Ein Hinterfragen der Europäischen Menschenrechtskonvention hält Moser nicht für notwendig. "Die Menschenrechtskonvention hat sich in der Vergangenheit bewährt", betonte der Minister. Außerdem sei sie Grundlage der EU-Grundrechtecharta. Aus Mosers Sicht reichen die darin festgelegten Spielräume aus.

"Würde ich so nicht sagen"

Kritisch hatte sich zu Kickls Aussagen zuvor auch Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) geäußert. "Ich würde das so nicht sagen", betonte Faßmann zu Kickls Forderung, dass das Recht der Politik zu folgen habe. "Die Bundesverfassung hat einen sehr stabilen Charakter, das ist nicht etwas, was man im Rahmen eines schnellen politischen Prozesses verändern soll."

Auch der Verfassungsjurist Karl Weber, der an der Universität Innsbruck das Institut für Öffentliches Recht leitet, kritisiert die Äußerungen Kickls im STANDARD-Gespräch scharf: "Was der Innenminister sagt, ist mit einem Rechtsstaat völlig unvereinbar." Würde ein Student in einer Prüfung schreiben, dass das Recht der Politik zu folgen hat, fiele er durch, sagt Weber, der an Artikel 18 der Bundesverfassung erinnert: "Die gesamte staatliche Verwaltung darf nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden."

Leichtfried: "Kickl aus der Regierung entfernen"

Der stellvertretende SPÖ-Klubchef Jörg Leichtfried erklärte in einer Aussendung: "Der Rechtsstaat ist die tragende Säule unserer Demokratie. Die Politik darf sich niemals über den Rechtsstaat stellen." Kickl habe mit seiner Aussage einen schweren Anschlag auf den Rechtsstaat verübt, Leichtfried forderte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) deshalb auf: "Kurz muss Kickl endlich aus der Regierung entfernen."

Kickl sollte wissen, was in Artikel 18 der Bundesverfassung steht, sagte der stellvertretende Neos-Klubobmann Niki Scherak: "Wer das nicht versteht und meint, die Politik könne sich über das Recht stellen, ist als Minister in seinem Job ganz offensichtlich überfordert und vollkommen ungeeignet." Er verwies darauf, dass die Europäische Menschenrechtskonvention untrennbar mit der EU-Mitgliedschaft verbunden sei, und schlussfolgerte, dass die FPÖ offenbar aus dieser austreten wolle.

Jetzt-Klubchef Bruno Rossmann sagte in einer Aussendung: "Wenn der Innenminister das rechtsstaatliche Prinzip und damit einen wesentlichen Grundpfeiler unserer Demokratie infrage stellt, frage ich mich ernsthaft, welche Staatsform ihm für unser Land vorschwebt." Zwar finde sich die Abschaffung der Europäischen Menschenrechtskonvention bereits im FPÖ-Wahlprogramm von 2017, doch dass Kickl die Chuzpe besitze, das in aller Öffentlichkeit kundzutun, sei eine Demokratiemissachtung der Sonderklasse.

Rosenkranz stärkt Kickl den Rücken

Die FPÖ hingegen verteidigte den Innenminister, denn dieser und die gesamte Bundesregierung würden das umsetzen, wofür sie gewählt wurden, erklärte Klubobmann Walter Rosenkranz. "Allen, die jetzt die sogenannte 'liberale Demokratie' in Gefahr sehen, sei ins Stammbuch geschrieben, dass es das Wesen der Demokratie ist, dass Gesetze auf Basis demokratischer Mehrheiten im Parlament beschlossen werden." erklärte Rosenkranz. "Dass diese Regierung unter Mitwirkung der FPÖ keine linke Politik macht und jemals machen wird, muss wohl jedem sonnenklar sein." Internationale Vereinbarungen und Konventionen zu evaluieren sei absolut zulässig und notwendig. (red, APA, 23.1.2018)