Eloquent und nicht gleich polemisch: Ingrid Levavasseur ist das politische Gesicht der Gelbwesten-Bewegung in Frankreich.

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Sie heißt Ingrid Levavasseur, ist 31 Jahre alt und eines der bekanntesten Gesichter der gesamten französischen Protestbewegung der "gilets jaunes" (Gelbwesten): In Fernsehsendungen machte sich die gelernte Krankenhelferin aus der Normandie einen Namen als schlagfertige, starke Rednerin. Anders als viele Gesinnungskollegen bietet sie Berufspolitikern Paroli, ohne ausfällig zu werden.

Jetzt will sich die Frau mit den einprägsamen roten Haaren nicht nur zur Rettungsfahrerin umschulen lassen, sondern auch in die Politik einsteigen: Bei den Europawahlen im Mai will sie eine "gelbe" Wahlliste mit 69 Namen anführen. Das Vorhaben heißt Ralliement d'initiative citoyenne (RIC), was auf eine Hauptforderung nach Einführung von Volksinitiativen und -abstimmungen Bezug nimmt.

"Keine Technokraten"

Ziel ist es laut Levavasseur, "Wut in ein humanes Politprojekt zu verwandeln". Kampagnenchef Hayk Shahinyan erklärte am Donnerstag, die Liste solle nur Namen aktiver Gelbwesten, die auch wirklich an Verkehrssperren mitmachten, aber "keine Technokraten" umfassen.

Diese Klarstellung richtet sich nicht zuletzt an die eigene Bewegung, wo teils harsche Kritik an der RIC-Liste laut wird. Benjamin Cauchy – ein dissidenter Gelbwesten-Pionier der ersten Stunde – sieht darin einen "Widerspruch zu allem", was die Graswurzelbewegung bisher ausgemacht habe. Er haderte selbst mit der Gretchenfrage der Gelbwesten, ob sie versuchen sollten, ihren Sozialkampf in ein politisches und damit entsprechend strukturiertes Engagement zu überführen.

Noch im November hatte Levavasseur vor großem Publikum beteuert, sie strebe "überhaupt keine politische Zukunft" an; das Angebot des Informationssenders BFM, als Chronistin regelmäßig aufzutreten, lehnte sie ebenfalls ab, um sich von den ungeschriebenen Normen der Pariser Medien nicht vereinnahmen zu lassen.

Jetzt aber ist das Argument dafür, die Bewegung sei in den Straßen am Abflauen und müsse deshalb neu konstituiert werden. Ähnlich hatte eine andere Initiatorin der Gelbwesten, die bretonische Therapeutin Jacline Mouraud, schon zu Jahresbeginn argumentiert, als sie eine Partei namens Les Emergents (Die Aufsteigenden) gründete.

Spaltung möglich

Diese Initiativen enthüllen auch eine politische Spaltung der Gelbwesten in gemäßigte Realos und Radikale, die das "System" als Ganzes zurückweisen.

Zu ihnen gehört der Fernfahrer Éric Drouet, der zusammen mit der kommunistischen Gewerkschaft CGT zu einem Generalstreik am 5. Februar aufruft. Seinem Appell schloss sich am Donnerstag der bekannte Trotzkist Olivier Besancenot an – mit dem Argument, man besiege die Regierung nicht "mit Lächeln, sondern indem man ihr Angst macht".

Ohne mit marxistischer Dialektik vertraut zu sein, teilen viele Gelbwesten diesen Standpunkt: Leider ringe nur das wöchentliche Gewaltspektakel in Paris mit den entsprechenden Medienbildern den Pariser Eliten Konzessionen ab, meinen sie.

Auch die Links- und Rechtspopulisten sind gegen eine politische Formierung der Protestierenden, mit denen sie sich sonst bei jeder Gelegenheit solidarisch erklären. Denn eine eigene Gelbwesten-Liste könnte sie bei den Europawahlen nur selbst Stimmen kosten. Die Regierungspartei La République en Marche von Emmanuel Macron ist deshalb gar nicht unglücklich, dass sich die "gilets jaunes" politisch organisieren wollen: Das würde die Bewegung und ihr wahlpolitisches Stimmenpotenzial wohl spalten. Ein Vertreter von Le Pens Rassemblement National, Gilbert Collard, meinte aus diesem Grund gar, die neue Gelbwesten-Partei RIC sei "vom Élysée ferngesteuert".

Vorbild in Italien

Wie hoch ihre Wahlchancen sind, werden erst kommende Umfragen ergeben. Die Gelbwesten-Bewegung kam bisher auf 13 Prozent politische Sympathiestimmen. Die Werte der italienischen Bürgerbewegung Fünf Sterne dürfte Levavasseurs Partei indes nicht so schnell erreichen. (Stefan Brändle aus Paris, 25.1.2019)