Nicht einmal ein Monat war er Parlamentspräsident – nun hat sich Juan Guaidó selbst zum Präsidenten Venezuelas gekürt.

Foto: Federico PARRA / AFP

Bild nicht mehr verfügbar.

Präsident Nicolás Maduro zeigt sich gesprächsbereit.

Foto: REUTERS/Carlos Garcia Rawlins

Nach der heftigen Konfrontation zwischen der Regierung und der Opposition in Venezuela hat sich Präsident Nicolás Maduro gesprächsbereit gezeigt. "Ich bin bereit für einen Dialog, Verhandlungen, ein Abkommen", sagte der autoritäre Regierungschef am Donnerstag im Obersten Gerichtshof. Sein Gegenspieler, der selbsternannte Übergangspräsident Juan Guaidó, schwor seine Anhänger auf Widerstand ein.

"Wir tun, was getan werden muss, um eine Übergangsregierung und freie Wahlen zu bekommen", schrieb er auf Twitter. In einem Interview des Fernsehsenders Univision machte er allerdings erste Zugeständnisse. Wenn Maduro freiwillig den Platz räume, wolle er eine Amnestieregelung für den sozialistischen Staatschef nicht ausschließen. "Die Amnestie ist auf dem Tisch. Die Garantien gelten für alle, die bereit sind, sich auf die Seite der Verfassung zu stellen und die verfassungsmäßige Ordnung wieder herzustellen."

Guaidós Tweet über die Mittel zum Zweck der freien Wahlen.

Auseinandersetzungen auf den Straßen

Nach einer unruhigen Nacht war Venezuela am Donnerstag mit zwei Präsidenten erwacht, die sich im Kampf um die Macht in Stellung bringen. Nach der oppositionellen Massendemonstration des Vortags, auf der sich Parlamentspräsident Guaidó vom Volk zum Interimspräsidenten vereidigen ließ, herrschte in den Städten Venezuelas am Donnerstagvormittag eine angespannte Stimmung. In der Nacht errichteten vielerorts Demonstranten Barrikaden oder lieferten sich Auseinandersetzung mit Sicherheitskräften und Proregierungsmilizen. Menschenrechtsorganisationen sprachen von 26 Toten seit Montag. Die Regierung beschlagnahmte die Ausrüstung zahlreicher Medien. Aus ehemals regierungstreuen Hochburgen wie dem Viertel 23 de Enero in Caracas wurden lautstarke Kochtopfdeckel-Proteste gemeldet.

Es war die dritte unruhige Nacht in Folge seit der rasch niedergeschlagenen Meuterei einer Einheit der Nationalgarde am Montag. Die Regierung hatte ihre Anhänger zu einer nächtlichen Mahnwache vor dem Präsidentenpalast aufgerufen, zu der Berichten zufolge jedoch niemand kam. "Die Regierung hat den Rückhalt der Straße verloren", sagte die Journalistin Luz Mely Reyes. Alle schauen nun auf das Militär. Dessen Führungsriege spricht seit Mittwoch Maduro die Loyalität aus. Verteidigungsminister Vladimir Padrino verurteilte zwar die Selbstproklamation Guaidós, öffnete am Donnerstag aber die Tür zum Dialog. "Die Streitkräfte werden nichts unternehmen, was gegen die Verfassung verstößt."

Guaidó an unbekanntem Ort

Der Präsident der regierungstreuen Verfassungskammer am Obersten Gerichtshof forderte die Staatsanwaltschaft auf, Guaidó wegen Usurpation festzunehmen. Wo sich der selbsternannte Präsident am Donnerstag befand, war unklar. Der Konflikt weitete sich auch auf die internationale Bühne aus, nachdem Maduro die diplomatischen Beziehungen zu den USA aufgekündigt hatte und den Diplomaten 72 Stunden Zeit zur Ausreise gab.

Die US-Regierung sprach zunächst von "keiner Wirkung", da Maduro nicht mehr legitim anerkannter Staatschef sei. Später am Donnerstag kündigte das US-Außenministerium aber einen teilweisen Abzug von US-Diplomaten an. "Die US-Regierung hat nun nur mehr eingeschränkte Möglichkeiten, Notfall-Hilfe für US-Bürger in Venezuela zu leisten", erklärte das Ministerium in einer Mitteilung auf seiner Webseite. In Venezuela ansässige oder dessen Staatsgebiet bereisende US-Bürger wurden aufgerufen, ernsthaft in Betracht zu ziehen, das Land zu verlassen.

China pro Maduro

Guaidó erhielt unterdessen von immer mehr Staaten Unterstützen – allen voran von den USA und auch von den rechtskonservativen Regierungen Südamerikas wie Argentinien, Chile, Kolumbien, Peru und Brasilien, aber auch dem sozialdemokratischen Ecuador. Auf die Seite Maduros schlugen sich Kuba, Bolivien, Russland und die Türkei, mit der Maduro lukrative Bergbauverträge hat.

China, das Maduro mit Milliardenkrediten unterstützt hat, kritisierte am Donnerstag die ausländische Einmischung in innere Angelegenheiten. Die EU sagte dem venezolanischen Volk und den demokratischen Kräften hingegen ihre Unterstützung zu und rief zu baldigen Neuwahlen auf. Deutschlands und Österreichs Außenministerium bekräftigten, das EU-Statement mitzutragen. Am Freitag fügte Deutschlands Regierungssprecher Steffen Seibert hinzu, dass Berlin die Anerkennung von Guaidó als Staatschef erwägt, wenn es nicht umgehend zu fairen und freien Wahlen kommt. Ähnlich äußerte sich am Freitag auch Spaniens Außenminister.

Neben der Haltung des Militärs, das die Hauptstütze Maduros ist, wird ein weiteres entscheidendes Element die Erdölindustrie sein: "Wird es Guaidó gelingen, die Kontrolle über die aus dem Ausland fließenden Erdöleinnahmen zu bekommen und sie auf die Konten der Opposition umzuleiten?", fragte das Portal "Caracas Chronicles". "Und werden Venezuelas Generäle zu einem Regime halten, das nicht nur international isoliert, sondern auch bankrott ist?"

USA ziehen Diplomaten teilweise ab

Die instabile Lage besorgt aber viele Beobachter. Die USA hätten gute Gründe für die Anerkennung Guaidós, sagt US-Militärstratege Evan Ellis zum STANDARD. "Vielleicht ist es sogar die letzte Chance, aus der Sackgasse zu kommen. Trotzdem kontrolliert Maduros Mafiabande, darunter das Militär, weiter das Land. Und selbst wenn er die Macht verliert, ist die Lage explosiv und könnte leicht aus dem Ruder laufen. (Sandra Weiss, APA, 25.1.2019)