Angebote wie "Free Stream" verstoßen gegen die Netzneutralität.

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Seit April 2016 gilt innerhalb der EU die Netzneutralität. Das bedeutet, dass jeglicher Datenverkehr im Netz gleich behandelt werden muss – etwa dürfen Nutzer, die auf Youtube unterwegs sind und Videos anschauen, keine höhere Geschwindigkeit bekommen, als wenn sie Wikipedia besuchen. Eine rechtliche Eigenheit ist aber, dass sogenannte Zero-Rating-Angebote (zumindest bisher) erlaubt sind. Das sind Verträge, bei denen die Nutzung eines bestimmten, vom Anbieter vorgegebenen Diensts nicht zum allgemeinen Datenvolumen gezählt wird. Bei "Free Stream" von A1 etwa, das 2017 von der Regulierungsbehörde RTR für zulässig erklärt wurde, können Nutzer bestimmte Musik-, Video- und Social-Media-Dienste wie Spotify und Netflix kostenlos verwenden.

Netzneutralitätsstudie

Die Grundrechte-NGO Epicenter Works hat nun gemeinsam mit der Arbeiterkammer und Mozilla eine Studie veröffentlicht, in der der Status der Netzneutralität beurteilt wird. Dabei durchforsteten sie die Tarife aller Mobilfunker in Europa und entdeckten in 186 Fällen Zero-Rating- oder andere Angebote, bei denen bestimmte Dienste Vorteile gegenüber anderen hatten. Spitzenreiter in dem Bereich sind Großbritannien und Ungarn mit über 18 solchen Angeboten, Österreich bietet insgesamt 14 an.

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Das hat auch einen negativen ökonomischen Effekt, führt Thomas Lohninger, Geschäftsführer von Epicenter Works, bei einer Pressekonferenz aus: "In den meisten Fällen profitieren erst einmal Dienste aus dem Land des eigenen Anbieters", womit der digitale Binnenmarkt gestört sei, "an zweiter Stelle Amerikaner und erst viel weiter unten Länder aus dem Europäischen Wirtschaftsraum." Von den Top-20-Diensten, die bei Zero-Rating-Verträgen angeboten werden, stammen nur drei, nämlich Deezer, Spotify und Soundcloud, aus der EU, die restlichen zu einem Großteil aus den USA.

Internet wird teurer

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Zero Rating habe aber auch einen Einfluss auf die preisliche Entwicklung am Markt: In Ländern, bei denen 2015 bis 2015 kein Zero Rating angeboten wurde, sei der Preis für Internetverträge um durchschnittlich acht Prozent gesunken, in Ländern mit Zero Rating sogar um zwei Prozent gestiegen. "Insgesamt wird das Internet teurer, der einzelne Dienst dafür günstiger", sagt Lohninger.

Daniela Zimmer von der Arbeiterkammer Wien kritisiert Zero Rating als "verbraucherunfreundlich". Solche Angebote würden eine gewisse Überwachung erlauben: So müssen Betreiber zu Abrechnungszwecken erfassen, welche Dienste ein Nutzer verwendet hat, um herauszufinden, ob das jeweilige Zero-Rating-Angebot zum Einsatz kommt. Dadurch würden Verkehrsdaten zustande kommen. Mit der kommenden E-Privacy-Regelung sei ein weniger strikter Umgang mit diesen zum Zweck der Forschung angedacht.

Wettbewerb fairer

Zimmer sieht aber auch mehrere positive Entwicklungen, die durch die EU-Regeln zur Netzneutralität entstanden seien. Betreiber seien dadurch gezwungen, in den Ausbau ihrer Infrastruktur zu investieren. "Ansonsten hätten sie in einem ersten Schritt vielleicht Angebote gedrosselt oder blockiert", sagt Zimmer. Zudem sei der Wettbewerb dadurch fairer. Sie verweist auf einen Fall aus dem Jahr 2009, in dem T-Mobile Skype auf dem iPhone, damals einem der ersten Smartphones, blockierte.

Sie kritisiert die fehlende Transparenz in dem Bereich. Als Beispiel nennt sie irreführende Geschwindigkeitsversprechen bei der Werbung für bestimmte Tarife. "In der Werbung steht, dass man mit 300 Mbit pro Sekunde surfen kann, im Vertrag verfallen aber jegliche Gewährleistungspflichten, weil dort 2 Mbit angegeben werden." Das Handelsgericht Wien verurteilte T-Mobile zuletzt wegen dieser Praxis, rechtskräftig ist das aber nicht.

Unterschiede bei Regulierungsbehörden

In der Studie wird ebenso auf die großen Unterschiede der nationalen Regulierungsbehörden hingewiesen. Die wenigsten Behörden würden den allgemeinen Status des Internets im jeweiligen Land evaluieren, zudem unterscheiden sich die Bußgelder bei Verstößen dramatisch. Zahlt man etwa in der Slowakei als Unternehmen fünf Prozent des Jahresumsatzes, müssen Mobilfunker, die gegen die Regeln verstoßen, in Portugal und Irland überhaupt keine Strafe zahlen, in Estland etwa nur 9.600 Euro. In Österreich zahlen Unternehmen je nach Fall 58.000 Euro oder zehn Prozent des Jahresumsatzes, je nachdem, ob der jeweilige Anbieter sich dadurch einen ökonomischen Vorteil geschaffen hat.

Neuverhandlung im Herbst

Die Veröffentlichung der Studie Anfang 2019 hat auch einen politischen Grund: Im Herbst soll die Netzneutralität nämlich neu verhandelt werden. Einer der zentralen Punkte ist der aufkommende Mobilfunkstandard 5G, der zahlreiche technische Neuerungen bringen soll. Lohninger weist darauf hin, dass dadurch auch neue technische Möglichkeiten bereitstünden, die für Telekomanbieter eine lukrative Erlösquelle, für Nutzer aber einen Verstoß gegen die Netzneutralität bedeuten könnten. So ist es möglich, sogenanntes Network Slicing zu betreiben – dabei werden einzelne virtuelle Netzwerke geschaffen, die unterschiedlich konfiguriert werden könnten.

Kunden könnten in "Slices" eingeteilt werden, die sich bei der Geschwindigkeit der Datenpakete unterscheiden. Lohninger warnt vor schnelleren Angeboten bestimmter Datenpakete für zahlende Nutzer, während alle anderen warten müssen. Schon jetzt besteht die Frage, wie mit Datenstau umgegangen wird. Zimmer und Lohninger plädieren dafür, dass User künftig selbst aussuchen können, welche Dienste in solchen Fällen inwiefern gedrosselt werden. (Muzayen Al-Youssef, 29.1.2019)