Es ist eine besondere Reisegruppe, die an einem Montagmorgen im Oktober 2018 mit dem Bus von Wien in Richtung Westen aufbricht. Mit an Bord sind keine Touristen, sondern rund 40 Arbeitssuchende. Softwareexperten, Elektrotechniker, Maschinenbauer. Sie alle finden in Wien keinen Job und wurden nun im Rahmen eines AMS-Projekts ausgewählt, um an einen oberösterreichischen Industriebetrieb vermittelt zu werden.

Im Rahmen der zweitägigen Reise wird die Gruppe drei Betriebe in Pasching, Hörsching und im Bezirk Braunau besuchen. Sie werden Produktionshallen besichtigen, mit Personalverantwortlichen sprechen.

Viele Absagen

Die überwiegende Mehrheit der Jobsuchenden sind Migranten oder haben Migrationshintergrund, sie kommen aus dem Irak, aus Russland, Afghanistan und Syrien, aus dem Iran, aus Ex-Jugoslawien und Ungarn. Viele von ihnen sind von den Möglichkeiten in Oberösterreich beeindruckt. Weil manche gleich für mehrere Jobs infrage kommen, werden von der Gruppe 66 Bewerbungen an die drei Unternehmen geschickt. Doch kaum einer hat Erfolg. Auf 66 Bewerbungsschreiben folgen gerade einmal 19 Jobinterviews. Genau zwei Bewerber werden am Ende eine Arbeitsstelle finden.

Dabei sollte das AMS-Projekt der Grundstein für weitere Initiativen dieser Art werden. Nun aber schießen die Spekulationen über die Motive der vielen Absagen ins Kraut. Könnte es sein, dass manchen Unternehmern im Westen die Bewerber aus Wien nicht österreichisch genug sind?

Die Jobsucher aus Wien

Der Ansatz, den das AMS mit der Aktion verfolgt, klingt jedenfalls plausibel. Viele Arbeitslose leben in Wien, die meisten Arbeitsplätze aber gibt es im Westen. Der österreichische Arbeitsmarkt ist von einem regionalen Gefälle geprägt. Allein in der oberösterreichischen Industrie fehlen 6000 Fachkräfte, sagt die Industriellenvereinigung. Das AMS versucht daher, die Jobvermittlung von Ost nach West zu forcieren.

In der Praxis ist das aber schwierig. Viele Arbeitslose wollen nicht weg aus Wien, sei es weil sie in einer Stadt leben möchten oder weil ihre Familie hier ist. Anderen fällt es schwer, die eigene Wohnung aufzugeben, allein schon aus praktischen Gründen: Was, wenn der neue Job nach dem Probemonat weg ist? Selbst Haustiere können zum Hindernis werden. All das ist bekannt.

Grafik: STANDARD

Nach den Erfahrungen mit dem AMS-Projekt in Oberösterreich wird nun aber unter Experten darüber diskutiert, welche Rolle es spielt, dass viele der Arbeitssuchenden aus der Hauptstadt Migranten sind. 42 Prozent der Einwohner Wiens haben Migrationshintergrund, sind also zugewandert oder die Kinder von Zuwanderern – doppelt so viele wie in Oberösterreich. Unter den Arbeitssuchenden haben knapp über 60 Prozent in Wien Migrationshintergrund.

AMS-Initiative

In einem internen Bericht des AMS über die Frage, warum es nur so wenige Jobzusagen bei dem Projekt in Oberösterreich gab, heißt es, dass "Unternehmen besser auf die Personengruppe vorbereitet" werden müssen, die aus Wien kommt. Kenner der Initiative sagen, dass bei ihnen "der Eindruck" entstanden ist, dass der Migrationshintergrund der Bewerber ein Grund dafür war, dass es so wenige Einstellungen gab.

Das magere Ergebnis steht im Widerspruch zur intensiven Vorbereitung der Aktion und ist daher umso verblüffender: Als Folge des Fachkräftemangels vereinbart das regional zuständige AMS in Linz mit den Kollegen in Wien, im Juni 2018 die Initiative "Ihre Chance: die Topindustrie in Oberösterreich" zu starten. Ziel ist es, Techniker aus Wien mit zumindest Lehrabschluss an einen der Betriebe in Pasching, Hörsching und Braunau zu vermitteln. Die drei Unternehmen (Namen sind der Redaktion bekannt) hatten bis zu 100 offene Stellen gemeldet.

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Oberösterreichs Industriebetriebe beklagen den Mangel an Fachkräften.
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Das AMS in Wien schreibt 900 Jobsuchende an, die infrage kämen, und beauftragt das Wiener Ausbildungsinstitut BFI, den Prozess zu betreuen. Das BFI startet ein intensives Auswahlverfahren: Im September gibt es eine zweitägige Infoveranstaltung, dabei werden die Betriebe vorgestellt.

Die Teilnahme an der Initiative ist freiwillig: Niemandem droht die Sperre des Arbeitslosengelds. Viele der Jobsuchenden melden Interesse an. Das BFI wählt schließlich rund 40 Bewerber aus. Für sie gibt es ein dreiwöchiges Bewerbungstraining, dann folgt die Reise nach Oberösterreich.

Keine Berührungsängste

Alle erfüllen das Qualifikationsprofil, sind herzeigbar, sagen Kenner der Aktion, potenziell hätte jeder ein Angebot erhalten sollen. Warum wurden dann so wenige Stellen vermittelt? DER STANDARD kontaktiert die drei involvierten Unternehmen. Einer der Geschäftsführer willigt in ein Gespräch ein. Seine Firma habe aus zwei Gründen niemanden genommen: Die Qualifikation der Bewerber und ihre Deutschkenntnisse waren nicht ausreichend. Was an der Qualifikation nicht gepasst hat, sagt er nicht. Berührungsängste gegenüber Migranten gebe es in seinem Betrieb nicht – es gebe in der Produktion Ausländer, vor allem unter den Leiharbeitern.

Beim BFI heißt es, dass man darauf geachtet habe, dass alle Kandidaten gut Deutsch sprechen. "Wir waren der Meinung, dass die Menschen motiviert und qualifiziert sind. Uns ist unklar, warum so wenige ein Jobangebot bekommen haben", sagt BFI-Geschäftsführer Christian Nowak.

Irritationen im Westen

Sicher ist, dass sich Unternehmer nicht über einen Kamm scheren lassen: Ein großer Teil der Tourismusbetriebe könnte ohne ausländische Saisonarbeitskräfte zusperren. Gerade oberösterreichische Industriebetriebe engagieren sich explizit für Asylwerberlehrlinge. Manche Unternehmen wie die Voest bekennen sich offensiv dazu, ein diverses Unternehmen zu sein.

Gibt es trotzdem bei vielen Vorbehalte gegen Nichtösterreicher?

Die AMS-Wien-Chefin Petra Draxl sieht das Problem eher bei der Erwartungshaltung. Sie beschreibt diese so: "Es gibt in Wien so viele Arbeitslose, weshalb der Wiener Franzi nach Tirol gehen müsste. Wir aber schicken nicht den Franzi, sondern den Wiener Ali." Unternehmer im Westen wüssten häufig wirklich nicht, wer die Wiener Arbeitslosen sind, und glaubten, man enthalte ihnen die echten Wiener vor. Das Problem ließe sich lösen, wenn die Firmen besser vorbereitet werden.

Unter Wiener Arbeitssuchenden haben mehr als 60 Prozent Migrationshintergrund.
Foto: Corn

Martin Gleitsmann von der Wirtschaftskammer, der im obersten AMS-Lenkungsgremium, dem Verwaltungsrat, sitzt, anerkennt das Problem. Es sei schwierig, Menschen in Wien dazu zu bringen, die Stadt zu verlassen. "Es ist aber richtig, dass es auch in Betrieben manchmal Irritationen darüber gibt, wer aus Wien kommt." Die Lösung sieht auch er in genaueren Informationen.

Druck auf Jobsuchende

Der Fall zeige, dass man die Probleme bei der überregionalen Vermittlung nicht allein dadurch löst, dass "Druck auf Jobsuchende ausgeübt wird", sagt Gernot Mitter, der die Arbeitnehmer im AMS-Verwaltungsrat vertritt.

Um überregionale Vermittlung erfolgreich zu machen, sollten sich auch die Bundesländer im Westen mehr engagieren. Neben guten Angeboten für Arbeitssuchende, Stichwort Unterkunft und Kinderbetreuung, müsse mit Unternehmern gearbeitet werden.

Nachsatz: "Offensichtlich ist der Fachkräftemangel noch nicht so groß, dass man Vorbehalte gegen bestimmte Arbeitnehmergruppen überwindet."

Maschinenbauer, Informatiker, Metalltechniker: Im Westen gibt es auch abseits des Tourismus mehr offene Stellen als im Osten.
Foto: AFP

Finanziell betonen alle Involvierten, dass sich die überregionale Vermittlung trotz der Kosten des oberösterreichischen Projektes rasch rechnet. Die Ausgaben beim AMS Wien lagen bei rund 12.000 Euro. Bleiben die beiden vermittelten Mitarbeiter auf Dauer beschäftigt, liegen die öffentlichen Einnahmen über Steuern und Versicherungsbeiträge rasch über diesem Betrag.

Als Folge des frustrierenden Ergebnisses hat das Wiener AMS vier zusätzliche Industriebetriebe in Oberösterreich aufgestellt, die Mitarbeiter suchen, und 17 der 40 Bewerber aus der Gruppe nochmal nach Wels zu Vorstellungsgesprächen geschickt. Diese zweite Runde war mit sechs Jobzusagen erfolgreicher. Es waren andere Betriebe, und offenbar waren sie auf die Herkunft der Bewerber vorbereitet, heißt es beim AMS. (András Szigetvari, 5.2.2019)