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Jobsuchende wollen oft nicht aus Wien weg. Die Gründe sind vielfältig. Viele wollen die Wohnung nicht aufgeben oder ihr Haustier nicht verlassen.

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Petra Draxl: In der Vergangenheit war überregionale Vermittlung ein Ad-hoc-Thema. Das funktioniert so nicht.

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Das AMS versucht mit aufwendigen Projekten die Vermittlung von Wiener Arbeitssuchenden in die westlichen Bundesländer zu forcieren. Immerhin ist die Arbeitslosenquote in Wien aktuell mehr als doppelt so hoch wie in Oberösterreich, Tirol und Salzburg. Doch die Zahlen sind überschaubar: Im Zuge der gezielten Initiativen hat das AMS Wien im vergangenen Jahr gerade 144 Jobsuchende erfolgreich überregional vermittelt. Dabei ist die Rechtslage recht eindeutig. Arbeitssuchende sind verpflichtet, Jobs in anderen Bundesländern anzunehmen, sofern ihnen adäquater Wohnraum angeboten wird und dem keine zwingenden Betreuungspflichten entgegenstehen.

STANDARD: Ist es nicht nachvollziehbar, dass viele Menschen, auch wenn sie keinen Job finden, aus der Großstadt Wien mit all ihren Angeboten nicht wegwollen?

Draxl: Ich kann nachvollziehen, dass man Wien und die städtische Community liebt, hier seine Freunde und Familie hat. Zu uns hat mal ein junger Mann im Hinblick auf eine Vermittlung nach Bad Gastein gesagt: Dort ist doch kein Leben! Was ich allerdings nicht verstehe, ist, wenn Menschen nicht bereit sind, eine Chance zu ergreifen – zumindest für eine bestimmte Zeit. Ich würde nicht sagen, dass ein Wiener Arbeitsloser nach Kufstein oder Rohrbach ziehen soll und bis zur Pensionierung dort leben muss. Was aber zumutbar sein muss, ist, ein oder zwei Jahre woanders zu arbeiten. Wenn sie in Oberösterreich eine Zeit bei einem Industriebetrieb unterkommen, erhöht das ja auch ihre Chancen, in Wien später etwas zu finden.

STANDARD: 144 gezielte Vermittlungen aus Wien hat das AMS 2018 geschafft. Ist diese Zahl nicht deprimierend niedrig?

Draxl: Es sind noch keine großen Zahlen, aber es gibt eine Steigerung. Das sind außerdem nur die unmittelbaren Vermittlungen aus unseren Aktivitäten. Wir sehen nebenbei, dass mehr Wiener über die Bundeslandgrenze hinweg zu arbeiten beginnen. Die Auseinandersetzung mit dem Thema nimmt zu, und wir lernen dabei viel. In der Vergangenheit war überregionale Vermittlung ein Ad-hoc-Thema. Da hat es plötzlich geheißen, ein steirischer Betrieb braucht Arbeitskräfte, und 20 Wiener sollen dort anfangen. Das funktioniert so nicht. Wenn überregionale Vermittlung erfolgreich sein soll, braucht das längerfristige Planung, längerfristige Perspektive und auch einen längeren Atem. Wir dürfen nicht immer gleich schreien: Buh, da wurden nur fünf Menschen vermittelt.

STANDARD: Das AMS betreibt aber einen ziemlich Aufwand: Sie organisieren Betriebsbesuche von Wienern in den Bundesländern, vermitteln überregional Speeddatings für Jobsuchende. Zahlt sich dieser Aufwand bei so wenigen Menschen aus?

Draxl: Die überregionale Vermittlung hat aus meiner Sicht zwei Effekte. Der eine ist, dass ich überzeugt bin, dass die Regionen als Folge der Auseinandersetzung mit dem Thema anfangen werden mehr zu tun, um Arbeitskräfte zu gewinnen. Das heißt, sie werden ihre Angebote verbessern, was auch notwendig ist. Deshalb werden mehr Menschen bereit sein, woanders hinzugehen. Aber bis sich das zahlenmäßig wirklich auswirkt, wird es Zeit brauchen. Wir reden da über Zeiträume von zehn Jahren. Der zweite Effekt, und diesen sehen wir bereits, ist, dass Menschen nun in Wien rascher eine Arbeit aufnehmen.

STANDARD: Weil?

Draxl: Menschen überlegen eher, nehme ich nicht doch den angebotenen Job in Wien an, bevor sie zum Beispiel hinausgehen müssen nach Salzburg. Seit wir überregional vermitteln, ist die Zufriedenheit mit dem AMS Wien in der Hotellerie und Gastronomie stark gestiegen. Die Unternehmer sagen, sie bekommen jetzt mehr Bewerbungen.

STANDARD: Sie sagen, die Regionen müssen mehr tun. Was meinen Sie?

Draxl: Ich wünsche mir, dass vor Ort wirklich überlegt wird: Was bedeutet es, wenn wir eine aufnehmende Gemeinde, ein aufnehmender Bezirk oder auch eine aufnehmende Kleinstadt sein wollen? Regionen, die Arbeitskräfte suchen und die ähnlich sind, müssen sich zusammenschließen. Das Ergebnis daraus kann sein, dass zum Beispiel im Rathaus ein Büro eingerichtet wird und jede zugereiste Arbeitskraft dort hingehen kann, um zu erfragen, wo der Gesangsverein und der örtliche Tischtennisklub zu finden ist. Kümmern muss man sich vor Ort vor allem um Wohnraum: Entweder bauen die Gemeinden selbst etwas, oder sie bemühen sich, dass vorhandener Wohnraum vermietet wird. Kümmern muss man sich vor Ort aber auch darum, wo die Kinder in die Schule oder in den Kindergarten gehen können. Da müssen Gesamtpakete angeboten werden, die durchaus in Kooperation mit den AMS erstellt werden, die von Region zu Region unterschiedlich sein werden.

STANDARD: Gibt es dafür Vorbilder?

Draxl: Diese Gesamtpakete sind nicht nur für die überregionale Vermittlung Thema, wir werden das auch brauchen, wenn wir Spitzenkräfte aus dem Ausland holen wollen. Wir haben uns vor kurzem angesehen, was die deutsche Bundesagentur für Arbeit macht, um Mechatroniker aus China nach Deutschland zu bringen. Die Kollegen schauen sich an, wo die Spitzenkräfte zu finden sind. Dann gehen sie gezielt dorthin und bieten Gesamtpakete an: Da wird die Schulfrage behandelt, aber auch, wo der Partner in Deutschland künftig arbeiten könnte. Da kann ein interessantes Modell für die überregionale Vermittlung sein.

STANDARD: Arbeitslose wollen aus vielen Gründen nicht weg aus Wien. Weil sie ihre Wohnung nicht aufgeben wollen, weil ihre Freunde hier leben oder wegen der Haustiere. Welche Rolle spielt, dass ein großer Anteil der Arbeitssuchenden in Wien Migranten sind?

Draxl: Das spielt eindeutig eine Rolle. Sich damit auseinanderzusetzen, dass der Wiener Arbeitslose mehrheitlich Migrationshintergrund hat, ist ein Lernprozess für die Regionen. Wir erleben wirklich, dass Unternehmer zu uns sagen: Wieso schickt ihr uns nicht die Wiener? Dann sagen meine Kollegen: Das sind die echten Wiener, die wir geschickt haben. Ich will niemandem etwas unterstellen, es sind, meiner Erfahrung nach, die Bilder im Kopf, die nicht zusammenpassen. Ein zweites Problem in diesem Zusammenhang betrifft die Frage, welche Nationalitäten zusammenarbeiten können. Wir hatten einen Hotelier bei uns, und da wollte unbedingt ein junger Mann hingehen, ich glaube, er war Syrer. Alles hat gepasst – bis dem Hotelier die Mannschaft aufgeschrien und gesagt hat: Den wollen wir nicht haben. Das war aufgrund der Nationalität, sie haben den Mann gar nicht gekannt. Das ist für das Management herausfordernd.

STANDARD: Sind Wiener Unternehmer da anders, was den Migrationshintergrund betrifft?

Draxl: Ja, in Wien gibt es kaum Fragen diesbezüglich, weil das selbstverständlicher ist.

STANDARD: Sie sagen, das ist ein Lernprozess, dass sich also die Unternehmer vor allem darauf einstellen müssen, wer da aus Wien kommt. Was macht Sie da so optimistisch?

Draxl: Das Projekt, das jetzt am längsten in puncto überregionale Vermittlung läuft, heißt b.mobile. Dabei geht es um die Vermittlung von jungen Asylberechtigten aus Wien auf Lehrplätze in den Bundesländern. Wir sehen heuer das erste Mal, dass die Aktion richtig erfolgreich ist. Das hat sich verändert, in den ersten Jahren haben wir um zwei Leute gekämpft, damit sie irgendwo anfangen können. Wir haben das Gefühl, je mehr wir tun und je mehr wir aufklären und je mehr wir mit motivierten Leuten irgendwo ankommen, umso mehr sehen Unternehmer im Westen: Die hackeln wirklich was. Ich würde die Migrationsgeschichte insgesamt nicht überbewerten. Es ist meist ein Mix aus Gründen, der zu Ablehnung führt. Da spielt auch eine Rolle, wenn jemand zu alt ist, nicht die richtige Berufserfahrung hat, die sich ein Unternehmer wünscht, oder kein Auto oder Moped zur Verfügung steht, also der Jobsuchende nicht mobil ist. (András Szigetvari, 6.2.2019)