1 Kandidat für 1 Europa: Johannes Voggenhuber will wieder ins Europäische Parlament.

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Das Manifest der "Initiative 1 Europa" von Johannes Voggenhuber ist die Bekenntnisschrift eines ungeduldigen Europäers, dem das Versprechen einer immer engeren Union nicht weitreichend genug ist und nicht schnell genug vonstattengeht. Folgt man Voggenhuber, dann sind die eigentlichen Träger der europäischen Kultur die Regionen und Städte, während die "zukunftsunfähigen" Nationalstaaten die "politische Einigung Europas zu einer handlungsfähigen Union" behindern und als eigentliche Quelle europapolitischer Obstruktion ausgemacht werden müssen. Die entscheidenden Problemlösungsmechanismen in der Sozial- und Wirtschaftspolitik, der Klima-, und nicht zuletzt der Asyl- und Migrationspolitik liegen nicht auf nationalstaatlicher, sondern auf europäischer Ebene, weshalb die europäischen Kompetenzen gestärkt, jene der Nationalstaaten zurechtgestutzt werden müssen. So weit die Analyse jener Seite in der Auseinandersetzung um den politischen Kurs des alten Kontinents, die sich als "proeuropäisch" versteht.

"Proeuropäisches" Ideal

Doch diese Analyse hat ein Problem, das sich in den letzten zehn Jahren überdeutlich gezeigt hat: Sie formuliert ein Ideal, dessen Zeit noch nicht gekommen ist und das nicht als durchgehende Handlungsanleitung für das Europa der Nationalstaaten taugt, das die "glühenden Europäer" lieber heute als morgen hinter sich lassen würden. Von der Eurokrise bis zur Flüchtlingskrise zieht sich ein europäisches Muster politischer Schönwetterkonstruktionen, die die Integration zwar rasch, aber ohne Nachhaltigkeit und vor allem ohne Krisenfestigkeit vertieft haben und deren mögliches Scheitern das gesamte europäische Projekt auf eine ernste Probe stellt. Zugleich wurden leidlich funktionierende nationalstaatliche Mechanismen ausgehebelt und Zuständigkeiten an eine europäische Ebene delegiert, die dafür noch nicht die erforderlichen Kompetenzen hat.

Griechenland etwa hätte sich ohne gemeinsame Währung nicht auf ähnlich dramatische Weise verschulden können – in die alte Drachme war eine Schuldengrenze in Form hoher Zinszuschläge eingebaut – und wäre ohne Schengen auch nur in geringerem Maß zum Magneten einer Massenmigrationsbewegung geworden, die nach West- und Nordeuropa drängt. So wurde es zum Opfer einer europäischen Politik, die zwar richtige Ziele setzt, sich von der Nichtverfügbarkeit der dafür nötigen Mittel aber nicht weiter bekümmern lässt und eine Problemverschleppung ermöglicht, die antieuropäische Tendenzen auf gefährliche Weise befeuert. So paradox es auch klingen mag: Wer mehr Europa will, muss manchmal weniger Europa fordern.

Feindbild Nationalismus

Doch Europa ist Bekenntnismaterie und die Debatte daher nicht auf Differenzierung angelegt. Die Abstraktheit der europäischen Debatten und ihre mangelnde Liebe zum Detail könnte die europäische Idee im Ergebnis allerdings stärker schwächen als jener dumpfe Nationalismus, den die glühenden Europäer als Feindbild ausgemacht haben. Auch der Nationalismus verfügt freilich über keine nachhaltigen Lösungen, aber die Fortentwicklung des europäischen Projekts muss von jenen geleistet werden, die weniger Begeisterung, aber auch weniger Ressentiment versprühen und die Europa aus dem schönen und hehren Ideenhimmel auf den harten Boden hochkomplexer politischer Realprobleme herunterholen. Europa braucht weniger Appelle, intellektuelle Warnschilder und diskursiv vermintes Gelände und auch nicht jene sich weltoffen gebende, aber unsagbar kleingeistige Mentalität, die auf jedes kritische Fragen das Etikett "antieuropäisch" klebt. Die größte Gefahr für das europäische Projekt ist heute möglicherweise nicht der wiedererstarkende Nationalismus, sondern eine weitere vertiefte Integration ohne kritische Begleitung.

Riskanter Kurs

Der kommende Wahlkampf lässt eine hochplakative Auseinandersetzung zwischen glühenden Europäern und den Verfechtern eines alten Nationalismus befürchten. Den einen wird es nie genug sein, den anderen immer schon zu viel. Auf der Strecke werden jene leiseren Stimmen bleiben, die die sperrige Europamaterie mit Wohlwollen, aber auch mit kritischer Distanz betrachten. Noch könnte die "Initiative 1 Europa" mit Differenzierung punkten; hat man sich rhetorisch bereits vergaloppiert, wird das kaum mehr möglich sein. Auch für die Liste Jetzt ist dieser Kurs riskant. Zwar hält man den unkontrollierbaren Kandidaten mithilfe einer ausgelagerten Liste von der innerparteilichen Reißleine fern, doch auch diese Konstruktion könnte die Zentrifugalkräfte in dieser Partei ohne Programm und echten Markenkern weiter befördern. Auf der anderen Seite bietet sich auch eine Chance: Wenn "Jetzt" Voggenhuber nicht schalten und walten lässt, wie er will, sondern moderierend in die Debatte eingreift, könnte sich die Europamaterie auf kritische Weise fortentwickeln lassen. Noch sind die Weichen nicht gestellt. (Christoph Landerer, 6.2.2019)