Noch ist nichts entschieden, doch Rechtsexperten warnen vor einem Urteil, dass den "Gleichbehandlungsanspruch für alle Unionsbürger grundlegend verändern" könnte.

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Die Maut-Einschätzung des EuGH-Generalanwalts sieht nicht nur Europarechtler Walter Obwexer, der das österreichische Verkehrsministerium berät, kritisch. Bedenken äußert auch Franz Leidenmühler von der Uni Linz: Die deutsche Pkw-Maut sei ein "Musterbeispiel für indirekte Diskriminierung". Sollte der EuGH der Empfehlung des Generalanwalts folgen, wären "jeder Diskriminierung über Steuern Tür und Tor geöffnet", warnt Leidenmühler vor dramatischen Folgen für die Grundfesten des EU-Rechts. Denn "das Diskriminierungsverbot ist der rote Faden des Unionsrechts".

Der Gleichbehandlungsanspruch für alle Unionsbürger würde sich grundlegend ändern, sagt auch Stefan Griller vom Salzburg Centre of European Union Studies der Uni Salzburg. Dass der Generalanwalt verneine, dass überhaupt eine Ungleichbehandlung vorliege, ist für Griller "weitab der EuGH-Judikatur". Er sieht wie auch Leidenmühler für Österreich weiterhin gute Chancen.

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Ob der EuGH die Rechtsmeinung von Generalanwalt Nils Wahl folgt, bleibt abzuwarten. Im österreichischen Verkehrsministerium erwartet man den Spruch des EuGH zum Fall C-591/17 in zwei Monaten, es könnte aber auch ein halbes Jahr dauern. Wie berichtet, empfiehlt der Generalanwalt dem Gerichtshof eine Ablehnung der Klage Österreichs gegen die neue deutsche Pkw-Maut. Der Umstand, dass Haltern von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen eine Steuerentlastung bei der deutschen Kfz-Steuer zugutekomme, die genau jenem Betrag der Infrastrukturabgabe entspreche, stelle "keine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar".

Demnach ist für die Reduktion der Kfz-Steuer das Landeskennzeichen ausschlaggebend, also in welchem Land das Auto angemeldet wird, und nicht die Staatsangehörigkeit des Fahrzeughalters. Seiner Beweislast, dass die deutschen Kontroll- und Vollzugsmaßnahmen (zum Beispiel stichprobenartige Überwachung, Erhebung einer Sicherheitsleistung, Untersagung der Weiterfahrt) zu einer mittelbaren Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit führen würden, sei Österreich nicht nachgekommen. Auch Beweise für Verletzungen des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs habe Österreich nicht beigebracht und vor allem keine Lösung für eine EU-konforme Ausgestaltung der Maut vorgeschlagen.

"Das ist nicht die Aufgabe der klagenden Partei", stellt Europarechtsprofessor Obwexer klar. Andererseits habe Österreich sehr wohl Begründungen für die potenzielle Behinderung des grenzüberschreitenden Handels vorgelegt, detaillierte Zahlen und Studien seien dafür aber nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht erforderlich.

"Gegengeschäft" problematisch

In der Kfz-Steuersenkung allein sieht Obwexer nicht das Hauptproblem bei der deutschen Mautregelung. Jedes EU-Land habe die Hoheit, Steuern und Abgaben festzulegen. Auch die Umstellung von der Budgetfinanzierung des Autobahnbaus auf Nutzerfinanzierung durch die Autofahrer sei unionsrechtlich möglich. Problematisch sei erst das "Gegengeschäft", diesfalls in Form der Senkung der Kfz-Steuer exakt in der Höhe der Fahrleistungsabgabe. Der Generalanwalt argumentiert hingegen, dass – egal wie hoch die Entlastung der inländischen Fahrzeughalter ausfällt – jeder Fahrzeughalter mit nichtdeutschem Kennzeichen verpflichtet ist, für die Benutzung deutscher Autobahnen einen Beitrag zu zahlen. Letzterer dürfte höchstens so hoch sein wie jener, der für Kfz mit inländischem Kennzeichen zu zahlen wäre. Denn die Kosten des Autobahnnetzes, die bisher vom Staat getragen wurden, müssten gleichmäßig auf alle Nutzer, einschließlich der Fahrer mit ausländischem Kennzeichen, aufgeteilt werden. Halter inländischer Kfzs hingegen wären einer unverhältnismäßig hohen Besteuerung unterworfen, wenn sie Infrastrukturabgabe und Kfz-Steuer zahlen müssten.

Obwexer verneint das vehement und warnt: "Sollte der EuGH wie der Generalanwalt entscheiden, würde das der Politik die Möglichkeit geben, eine reine Ausländermaut einzuführen." Wollte Österreich mit den Deutschen gleichziehen – immer vorausgesetzt, der EuGH folgte dem Schlussantrag des Generalanwalts -, dürften Kfzs mit österreichischem Kennzeichen nicht generell von der Vignettenpflicht entbunden werden (das wäre Diskriminierung). Vielmehr müssten der Vignettenpreis verdoppelt und die Kfz-Steuer für inländische Kennzeichen um diesen Betrag gesenkt werden. Diese Konstruktion hätte den Charme, dass die Einnahmen des Autobahnbauers Asfinag stabil blieben. Die jährlich 400 Millionen Euro an Erlösen sind notwendig, um Straßenausbau und -erhalt zu finanzieren. "Eine allfällige Neuregelung müsste aufkommensneutral sein", stellt man im Verkehrsministerium klar. Ausnahmen für Urlauber, etwa in Tirol für die Straßen bis Kitzbühel, schließt man aus.

Kollateralschaden droht

Folgte der EuGH dem Entscheidungsvorschlag, was er laut Obwexer in wichtigen Fällen nur zur Hälfte tue, drohe ein enormer Kollateralschaden. Für die von Österreich angestrebte (und von der EU-Kommission bekämpfte) Indexierung der Kinderbeihilfe könnte der Spruch ebenfalls Bedeutung haben. Es könnte argumentiert werden, dass Personen, deren Kinder in Österreich leben, und Personen, deren Kinder im EU-Ausland leben, sich nicht in der gleichen Situation befänden und daher ungleich behandelt werden könnten. Dann dürfte Österreich das Kindergeld für im Ausland lebende Kinder kürzen, ja sogar ganz abschaffen. (ung, APA, 7.2.2019)