Theresa May will mehr Zeit vom britischen Parlament.

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Theresa May pokert weiter. Zur Lösung der Brexit-Krise brauche die britische Regierung mehr Zeit, sagte die Premierministerin am Dienstag im Unterhaus. Die Parlamentarier sollten sich bis Ende des Monats gedulden und nicht schon diese Woche die konservative Minderheitsregierung in Zugzwang bringen. "Wir müssen die Nerven behalten", forderte die Regierungschefin, denn die Verhandlungen mit Brüssel seien "in einer entscheidenden Phase". Dafür erntete May höhnisches Gelächter der Opposition. In Wirklichkeit verschwende May die verbleibenden wenig mehr als sechs Wochen bis zum angepeilten Austrittstermin, lautete der Vorwurf von Labour-Oppositionsführer Jeremy Corbyn.

Wie bei ähnlichen Gelegenheiten in den vergangenen Monaten stand die 62-Jährige auch diesmal dem Parlament gut zwei Stunden lang Rede und Antwort. Inhaltlich Neues hatte May nicht zu bieten. Offenbar haben sich auch die meisten Parlamentarier damit abgefunden, dass bei den für Donnerstag geplanten Abstimmungen über das Brexit-Verfahren keine Überraschungen bevorstehen.

Mays Erinnerungsarbeit

May erinnerte die Parlamentarier daran, dass sie vor zwei Wochen Zustimmung zum vorliegenden Verhandlungspaket aus Austrittsvertrag und politischer Erklärung signalisiert hatten für den Fall, dass in weiteren Gesprächen mit Brüssel die Auffanglösung für Nordirland abgewandelt würde.

Darauf besteht aber weder in der irischen Hauptstadt noch bei den EU-Verhandlungspartnern Appetit, wie May vergangene Woche bei Besuchen in Brüssel und Dublin herausfand. Am Dienstag warben ihr De-facto-Vize David Lidington sowie Brexit-Minister Stephen Barclay bei EU-Parlamentariern in Straßburg um Entgegenkommen (siehe unten).

Bereits am Mittwoch wollen Regierungsangehörige mit Abgesandten von Oppositionsführer Corbyn zusammentreffen. Dieser hatte vergangene Woche der Premierministerin Entgegenkommen signalisiert für den Fall, dass diese einer dauerhaften Zollunion mit der EU zustimmt. May lehnte den Vorschlag nicht rundheraus ab. Die wütende Reaktion der Brexit-Ultras bei den Konservativen verdeutlichte den Zweck: Die Regierungschefin will mit der Drohung eines "weichen" Brexits ihre eigenen Hardliner unter Druck setzen. Umgekehrt eröffnet Corbyn durch sein Zugehen auf May den Labour-Hinterbänklern die Möglichkeit, auch ohne Zustimmung der Parteispitze Mays bisherigem Deal zuzustimmen.

Der sogenannte Backstop soll die Grenze zwischen der Republik Irland und der einstigen Bürgerkriegsregion Nordirland offen halten. Er würde nur dann in Kraft treten, wenn sich das Königreich und die EU bis zum Ende der geplanten Übergangsfrist – wohl Ende 2022 – auf keinen Freihandelsvertrag geeinigt haben. Einer Umfrage von Sky Data zufolge stehen die Iren mit großer Mehrheit hinter ihrem Regierungschef Leo Varadkar: 79 Prozent raten ihm zur Härte selbst für den Fall, dass es dann keinen Deal gibt.

Wirtschaft verzweifelt

Dieses Szenario wird angesichts des Stillstands in Westminster immer wahrscheinlicher und stürzt die britische Wirtschaft in Verzweiflung. Zu Wochenbeginn veröffentlichte Zahlen machen deutlich, dass immer mehr Unternehmen vor Investitionsentscheidungen zurückschrecken – ähnlich wie der Automobilhersteller Nissan, der sein neues Allradfahrzeug nicht wie bisher geplant im nordenglischen Sunderland bauen will. Im vierten Quartal 2018 wuchs die Volkswirtschaft um 0,2 Prozent, im Dezember schrumpfte sie sogar um 0,4 Prozent. Fürs vergangene Kalenderjahr verzeichneten die Statistiker 1,4 Prozent Wachstum und damit die geringste Quote seit 2009.

Wie wenig die Regierung auf den Chaos-Brexit vorbereitet ist, verdeutlichte ein Eingeständnis von Außenhandelsminister Liam Fox: Kaum einer der angestrebten Handelsverträge, welche die EU-Vereinbarungen mit 70 Ländern ersetzen sollen, sei rechtzeitig zum 30. März unterschriftsreif. Die Ausnahme dazu bildet eine am Montag unterzeichnete Vereinbarung mit der Schweiz. Hingegen bleiben die zukünftigen Handelsbeziehungen mit wichtigen Absatzmärkten wie Japan, Korea oder Kanada ungeklärt. (Sebastian Borger, 12.2.2019)