Schüler – im Bild niederländische – demonstrieren in ganz Europa für eine nachhaltigere Klimapolitik.

Foto: APA/AFP/ANP/REMKO DE WAAL

Mit einer Prognose könnten Matthias Horx und Daniel Dettling recht behalten: Wie die Dinge heute stehen, wird das Wort "Klimakatastrophe" im Jahr 2050 aus dem öffentlichen Wortschatz verschwunden sein. Aber nicht, wie die beiden "Zukunftsforscher" im STANDARD nahelegen, weil sich das Klimadesaster gleichsam von selbst aufgelöst haben wird – sondern einfach deshalb, weil die Menschen sich an die Katastrophe als neue Normalität gewöhnt haben werden.

In der Strömung des Magischen Realismus verschwimmen bekanntlich die Grenzen zwischen Realität und Fantasie. Das kann unterhaltsam und inspirierend sein. Aber Märchenerzählerei als "Zukunftsforschung" zu verkaufen ist zwar originell, aber wenig hilfreich. "Magie" kommt hier mehr als einmal vor, aber – man glaubt es kaum – das Wort "Politik" fehlt. Stattdessen Friede, Freude und Zauberei. Klar ist es großartig, das Drehmoment eines Elektroautos zu spüren. Aber was ist an der Hoffnung auf diese Mobilitätsform "ökorealistisch", wenn die Frage der Ressourcenverfügbarkeit für die Batterien nicht gestellt wird?

Rebound-Effekt

Auch das "Projekt eines spektakulären technischen Fortschrittes" klingt toll, aber was ist eigentlich mit der überwältigenden empirischen Evidenz, dass technische Effizienzverbesserungen aufgrund des "Rebound-Effekts" von durchaus begrenzter Effektivität sind? Und welche Rolle spielt in dieser Fantasiewelt die Tatsache, dass – wie der "Economist" gerade berichtet hat – eine sehr große Mineralölfirma plant, 2025 um 25 Prozent mehr Öl und Gas zu fördern als 2017?

Optimismus ist natürlich grundsätzlich eine sympathische Haltung. Aber man fragt sich angesichts der Ausblendung grundlegender Zusammenhänge schon, warum das Geschäftsmodell "Zukunftsforschung" funktioniert, also das Herumfuchteln mit bedeutsam klingenden Aussagen aufgrund von Vermutungen über das, was kommt. Darauf, das dann auch noch "Realismus" zu nennen, muss man erst mal kommen.

Das alles ist nicht nur äußerst verwunderlich und ärgerlich, sondern auch sehr schade, denn in einem wichtigen Punkt treffen die Horx/Dettling ins Schwarze: Eine "Ökologie der Schuld" funktioniert nicht. Die Rede vom "Sumpf von Besserwisserei, Pessimismus und Zynismus" ist vielleicht übertrieben, aber nur ein bisschen. Jedenfalls hat die "Nachhaltigkeit" ein Grundproblem: Sie ist für viele Menschen unattraktiv und fad, oder in den Worten von Horx/Dettling: Als Schuldmodell funktioniert sie nur für eine moralische Minderheit.

Betroffenheitsgesten

Der "Fall" Greta Thunberg zeigt, worum es hier geht. Alle, die der jungen Schwedin nicht umstandslos zujubelten, wurden (auch im STANDARD) heftigst kritisiert. Aber warum darf man nicht fragen, wer hinter Frau Thunberg steht? Warum muss man alarmistische Rhetorik und öffentlichkeitswirksame Betroffenheitsgesten toll finden, wenn man für Klimaschutz ist? Eine Erklärung ist wohl, dass hier die Schuld-Ökologie so gut ankommt wie schon lange nicht mehr. Sich seiner guten Gesinnung zu versichern ändert am Zustand des Klimas freilich überhaupt nichts.

Dennoch sollte man sich, wenn es um Nachhaltigkeit und Klima geht, lieber an die tausenden Schüler halten, die ihrer Sorge um das Klima vehement Ausdruck verleihen – und nicht an Leute, die technologische Fantasien für bare Münze nehmen. Natürlich braucht es, auch darin ist Horx/ Dettling zuzustimmen, technischen Fortschritt und "Lust auf Zukunft". Aber ohne Politik, Streit und Auseinandersetzungen wird die Sache nicht funktionieren.

Eine Gesellschaft, die sich nachhaltig entwickelt und katastrophalen Klimawandel verhindert, wäre eine ganz andere als die heutige. Derlei "große Transformationen" gehen nie ohne Kampf vonstatten, denn sie bedeuten, dass Gruppen auf Privilegien verzichten müssen. Das galt für die Abschaffung der Sklaverei und die Einführung des Frauenwahlrechts, und es wird für das Ende des fossilen Wirtschaftsmodells gelten. Auch die Transformation zur Nachhaltigkeit wird Privilegien kosten, und niemand sollte glauben, dass die Betroffenen artig Beifall klatschen werden.

Politik ist gefragt

So wichtig Optimismus ist, so unproduktiv ist er, wenn er über die Komplexitäten des Hier und Heute hinwegsegelt. Statt magischem "Ökorealismus" auf dem Leim zu gehen, sollte man so ehrlich sein zuzugeben, dass klimaschonende Innovationen, der Abschied von primitiven Technologien wie dem Verbrennungsmotor und Veränderungen bei der Ernährung eben nicht von alleine in die Welt kommen. Ja, es braucht den Einfallsreichtum einzelner Personen, aber ohne politische Maßnahmen und ohne Auseinandersetzungen kann es keine Nachhaltigkeit geben.

Der Klimawandel wird nicht durch "magischen Wandel" und "grüne Wunder" (Horx/Dettling) verhindert werden, sondern durch gesellschaftliche Aushandlungsprozesse, Konflikte und Streit über die richtigen Wege in die Zukunft. Nachhaltigkeit muss auch dahin gehen, wo's wehtut. Nur dann werden wir Fortschritt, Zukunftsfähigkeit und Schönheit zusammenbringen. Wetten? (Fred Luks, 13.2.2019)