Die Regierung von Kanzler Kurz und Vize Strache eignete sich die Besetzungspraxis der österreichischen Konsensdemokratie rasch an, deren Resultat ist dennoch anders als früher zu bewerten.

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Das Besondere an der Zweiten Republik war ihr konsensdemokratisches Verständnis. Für diesen Demokratietypus kennzeichnend ist, dass die politischen Eliten Folgendes akzeptieren: eine moderne Gesellschaft ist pluralistisch, die heterogenen Interessen werden legitim von zahlreichen Akteuren wie Parteien, Verbänden und Zivilgesellschaft repräsentiert, und dieses breite Spektrum ist in den politischen Prozess strukturell eingebunden. Nicht die Mehrheitsregel ist das Maß der Dinge, sondern der Kompromiss und die soziale und politische Mitte bilden den Orientierungsanker.

Die vormaligen Großparteien entwickelten und praktizierten Instrumente, die in sozialen und wirtschaftlichen Fragen den Konsens beförderten. Divergierende Interessen wurden in institutionelle Kanäle gespeist, rechts und links, sozial- und wirtschaftspolitische Repräsentanten saßen an Verhandlungstischen. SPÖ und ÖVP waren, im Tandem mit der Sozialpartnerschaft, bis in die späten 1990er-Jahre die Garanten für diese spezifische Politik- und Entscheidungsform. Zumindest soweit es sich um soziale und wirtschaftliche Themen handelte, war das Modell erfolgreich; in ökologischen Anliegen und in der Bildungspolitik hingegen weniger.

Alter Konsens und Proporz

Zur österreichischen Konsensdemokratie gehört auch der Proporz. Bereits in der Regierungserklärung vom April 1945 festgehalten, sollte dieses Instrument der proportionalen Beteiligung der politischen Parteien in Regierung und Verwaltung unüberbrückbare Konflikte erst gar nicht mehr aufkommen lassen, sondern Positionen und Persönlichkeiten eingliedern, um den Ausgleich zu fördern. Aufgrund der wirtschaftlichen Situation nach 1945 erhielten die Parteien als Eigentümervertreter der verstaatlichten Wirtschaft auch Gatekeeper-Funktionen. Dies betraf staatliche Unternehmen wie die Energiewirtschaft und die ÖBB. Von Oppositionsparteien, aber auch von Intellektuellen wurde diese Praxis seit den 1980er-Jahren als Verfilzung des politischen Systems sowie als Postenschacher kritisiert.

Neuer Postenschacher

Von dieser nachkriegsbezogenen Proporzlogik abgesehen, sehen demokratische Systeme vor, dass die Mehrheitspartei nicht nur die politischen Ämter und Funktionen personell bestückt, sondern auch über das Personal in der Verwaltung und selbst über jenes in Kontrollinstitutionen wie Rechnungshof, EuGH oder Verfassungsgerichtshof verfügt. Darüber hinaus werden auch Positionen in Institutionen besetzt, die idealerweise von der Politik unabhängig agieren sollten, wie etwa Nationalbank oder ORF. Die gegenwärtige Regierung eignete sich diese Besetzungspraxis rasch an – obwohl von einem Teil, der FPÖ, vorher stets heftig kritisiert. Und doch ist das Resultat heute anders als früher zu bewerten.

  • Es kommt teilweise wenig qualifiziertes Personal zum Zug, wie zuletzt die Diskussionen um das vierte Mitglied im Direktorium der Nationalbank nahelegen. Loyalität wird vielmehr zum vordersten Kriterium, Können und Leistung erscheinen in diesem Geiste zweitrangig. Der Innenminister spricht offenherzig von "Vertrauensleuten", die in staatsnahen Bereichen, in Verwaltung und Politik legitimerweise installiert würden.

  • Die Regierungsparteien besetzen politische, politikkontrollierende, politiknahe Institutionen mit diesen Vertrauensleuten, die ausschließlich einen Herkunfts-hintergrund im rechten beziehungsweise rechtsextremen Lager der Burschenschaften vorweisen. Die Regierung, bestehend aus rechts (ÖVP) und rechtsextrem (FPÖ), besetzt die Republik. Denn anders, als in manchen Kommentaren gern kommuniziert, regiert nicht nur die ÖVP – wie zwischen 1966 und 1970 -, es regiert eine Koalition zwischen ÖVP und FPÖ.

  • Der Message-Control der Regierung nicht unterworfene Positionen werden als ungerechtfertigt verworfen. Dabei wird immer wieder gern die alte Faschismuskeule aufgefahren (siehe "Vitalisierte, nicht illiberale Demokratie!", DER STANDARD vom 13. 2. 2019), um abweichende Positionen und Meinungen lächerlich zu machen. Ein Beispiel für die Delegitimierung von Meinungen war in jüngster Zeit die Zurechtweisung der Volksanwaltschaft, deren personelle Zusammensetzung aus den Parlamentsparteien resultiert. Die Volksanwaltschaft sollte, nachdem sie eine kritische Stellungnahme zu Asylverfahren abgegeben hatte, nach Ansicht eines FPÖ-Funktionärs gleich abgeschafft werden. Der Verdacht kommt auf, dass jene, die nicht allein der Bestellungspraxis der Regierung obliegen, bei abweichender Meinungsäußerung rasch ins Reich des Überflüssigen verwiesen werden.

Vor dem Hintergrund der vorhin skizzierten politischen Charakteristika, nämlich Parteienstaat und Kompromissneigung, geht derzeit ein gravierender Wandel des politischen Systems über die Bühne. Dieser ist qualitativ mehr als ein in Demokratien üblicher Regierungs- und Kanzlerwechsel. Viele Interessen werden marginalisiert und bleiben außerhalb der Institutionen, in regierungsnahe Institutionen werden Vertrauensleute geschickt.

Über dem Gesetz

Österreich ist dabei, seine Machtbalance und den an der politischen Mitte orientierten Interessenausgleich zugunsten der rechten/rechtsextremen Parteienmehrheit zu verlieren. Mit Ausnahme des direkt gewählten Bundespräsidenten sind die meisten Einrichtungen bereits auf rechte Personallinie gebracht, die Sozialpartnerschaft als institutionalisierte Form der Konfliktaustragung ebenso wie die Caritas als Wohlfahrtsorganisation sind geschwächt. Und der Föderalismus wird über das Wien-Bashing beständig an den Pranger gestellt. Zentralisierung ist das Instrument. Und wer sich gegenwärtig als die Mehrheit versteht, stellt sich auch schon einmal über das geltende Gesetz, wie zum Beispiel über die Menschenrechtskonvention (EMRK).

Polarisierung als Ziel

Wenig ist der rechten Mehrheit heilig, zumindest scheinen es nicht Institutionen, Rechte und die soziale Mitte zu sein. Polarisierung ist vielmehr das Ziel, wenn auch weniger zwischen Arbeit und Kapital, denn diese Konfliktlinie wird heruntergespielt, sondern mehr zwischen Stadt und Bund, zwischen jenen mit und ohne Staatsbürgerschaft. Mehrheitsdemokratie könnte auch anders funktionieren, die aktuelle Parteienkonstellation und ihr Machtverständnis transformieren sie aber zur alleinigen Mehrheitsherrschaft. (Sieglinde Rosenberger, 18.2.2019)