Chuka Umunna verkündet am Montag den Austritt aus der Labour-Partei.

Foto: AFP/DANIEL LEAL-OLIVAS

London – Die britische Labour-Partei spaltet sich. Eine Gruppe von sieben Abgeordneten des Unterhauses hat am Montag ihren Austritt aus der größten Oppositionspartei des Königreichs erklärt. Die drei Frauen und vier Männer wandten sich vor allem gegen die Führung des Parteivorsitzenden Jeremy Corbyn. Die Gründe der dem moderaten Parteiflügel angehörigen Volksvertreter für die Abspaltung reichen von Corbyns Brexit-Politik über dessen Duldung von Antisemitismus in der Partei bis hin zur linksradikalen Agenda Labours bei der Wirtschafts- oder Sicherheitspolitik. Die sieben Abgeordneten werden sich fortan "Die unabhängige Gruppe" nennen und haben Abgeordnete aller Parteien eingeladen, sich ihnen anzuschließen.

Die Pressekonferenz der Rebellen am Montagmorgen sorgte für große Aufregung in London. Zumal die kritischen Worte der Abgeordneten über ihre ehemalige politische Heimstatt ziemlich vernichtend klangen. Luciana Berger, die hochschwangere, jüdische Abgeordnete für Liverpool, hatte in der Vergangenheit wegen ihrer Kritik an Corbyn massive judenfeindliche Angriffe erfahren. Sie erklärte Labour zu einer "institutionell antisemitischen Partei". Es wäre "peinlich und beschämend" zu bleiben.

Der stellvertretende Parteivorsitzende Tom Watson zeigt sich enttäuscht. "Ich liebe diese Partei, aber ich erkenne sie manchmal nicht mehr."

Der Nottinghamer Abgeordnete Chris Leslie beklagte die linksradikale Übernahme Labours. Sein Kollege Mike Gapes sagte: "Mich ekelt es, dass Labour heute eine rassistische, antisemitische Partei ist, und ich bin wütend, dass Jeremy Corbyn den Brexit ermöglicht." Und Chuka Umunna, insgeheim der Anführer der Gruppe, erklärte: "Die Politik ist kaputt. Keine einzige Partei verdient es zu regieren." Er strebt nichts weniger als einen Systemwechsel an.

Polarisierender Parteichef

Es rumort schon lange bei Labour. Die Fraktion ist unzufrieden mit ihrem Parteivorsitzenden, der andererseits große Unterstützung bei der Parteibasis findet: Seit Corbyns Amtsantritt 2015 ist Labour mit mittlerweile mehr als einer halben Million Mitgliedern zur größten politischen Partei Westeuropas angewachsen.

Schon im Sommer 2016 kam es zu einem Putschversuch, als 172 Labour-Abgeordnete, immerhin mehr als 80 Prozent der Fraktion, dem Vorsitzenden das Misstrauen aussprach. Doch Corbyn triumphierte bei der folgenden Urwahl. Seine Popularität litt jedoch unter dem Anti-Semitismus-Streit, der seit Anfang 2018 gärt. Aufgrund seiner propalästinensischen Einstellung hat sich Corbyn oft mit Antizionisten solidarisiert, die sich offen judenfeindlich gaben.

Luciana Berger prangert wie ihre sechs Kollegen den Antisemitismus und den Brexit-Kurs ihrer ehemaligen Partei an.
Foto: AFP/DANIEL LEAL-OLIVAS

Auch Corbyns Brexit-Strategie hat viele an der Basis verstört. Eine große Mehrheit der neugewonnenen und zumeist jüngeren Parteimitglieder ist gegen den Brexit und will ein "People's Vote" – ein zweites Referendum über den Verbleib in der EU. Doch Corbyn sträubt sich dagegen.

Das politische Programm der Labour-Partei hat sich zudem radikal vom einst wirtschaftsfreundlichen Kurs unter Tony Blair und Gordon Brown hin zu einer sozialistischen Agenda gewandelt. Eisenbahngesellschaften sollen ebenso wie Energiefirmen, Busunternehmen oder die Royal Mail verstaatlicht werden. Die reichsten fünf Prozent der Briten sollen stärker besteuert werden, während der Mindestlohn um zehn Prozent angehoben werden soll.

"Verräter"

Der Parteichef selbst erklärte am Montag lediglich, dass er "enttäuscht" sei über den Austritt seiner Ex-Genossen. Die Kommentare von anderen Labour-Mitgliedern klangen sehr viel schriller: "Verräter" war eine der milderen Beschimpfungen.

Labour hat schon einmal das Trauma einer Abspaltung erlebt, als 1981 die "Gang of Four" eine neue sozialdemokratische Partei gründeten. Das habe damals, warnte John McDonnell, der finanzpolitische Sprecher im Schattenkabinett, dazu geführt, dass die linke Stimme gespalten war und es Margaret Thatcher ermöglicht, zehn Jahre lang an der Macht zu bleiben.

Ob die "Unabhängigen" besser fahren werden, bleibt abzuwarten. Man versteht sich nicht als eine Partei und werde sich auch nicht, so unterstrich Umunna, anderen Parteien, wie den Liberaldemokraten zum Beispiel, anschließen wollen. Stattdessen forderte der Sohn eines nigerianischen Einwanderers Volksvertreter aller politischen Parteien auf: "Werdet unabhängig und schafft eine genuin neue Bewegung!" Spricht da ein britischer Macron? (Jochen Wittmann aus London, 18.2.20219)