Wien – "Erschüttert" zeigte sich Helge Fahrnberger am Dienstagabend. "Ich weiß nicht, was wir noch tun sollen. Der Spielball liegt bei der Politik", erklärte der Initiator einer Petition, die die verpflichtende Nachrüstung von Lkws mit Abbiegeassistenten forderte, im Gespräch mit dem STANDARD. Mehr als 69.100 Menschen hatten das Gesuch zu diesem Zeitpunkt unterstützt.

Vor dem Gipfel übergaben Schulkollegen jenes neunjährigen Buben, der in Wien bei einem Unfall mit einem Lkw ums leben gekommen war, die Unterschriften an Minister Norbert Hofer (FPÖ). Die Politik ließ sich davon nicht recht beeindrucken. Der von Hofer einberufene Lkw-Gipfel kam zu dem Schluss: keine Pflicht zur Umrüstung auf Abbiegeassistenten. "Das nächste tote Schulkind geht auf Minister Hofer", sagte dazu Fahrnberger.

Spiegel statt Assistent

Stattdessen habe man sich darauf geeinigt, das "System der Assistenzspiegel vermehrt einzusetzen" – für Hofer ein "Abbiegeassistent außerhalb des Fahrzeuges", berichtete der Minister bei einer Pressekonferenz. Dafür wolle man die "Kriterien für eine gefährliche Kreuzung definieren", sagte ÖVP-Verkehrssprecher Andreas Ottenschläger. Wenn eine Kreuzung als solche identifiziert wird, soll sie etwa durch die Verlegung von Fußgängerübergängen oder zusätzliche Spiegel entschärft werden.

Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) und die Abgeordneten Andreas Ottenschläger (ÖVP) und Christian Hafenecker (FPÖ) präsentieren die Ergebnisse des Lkw-Sicherheitsgipfels.
ORF

Die sogenannten Trixi-Spiegel könnten höchstens eine zusätzliche Maßnahme sein, reagierte der Verkehrsclub Österreich in einer Aussendung. Der Spiegel sei nur für einen speziellen Unfalltyp relevant. Er helfe vor dem Abbiegevorgang, aber währenddessen verschaffe er dem Lkw-Fahrer keine zusätzliche Sicht. Trotz der Spiegel bleibe die Gefahr des toten Winkels aufrecht. Der Verkehrsclub sprach sich für die verpflichtende Nachrüstung aus. Für die Regierung ergibt die Verpflichtung momentan keinen Sinn. Noch fehle es an "einheitlichen Kriterien für nachrüstbare Systeme", sagte FPÖ-Verkehrssprecher Hafenecker.

Zudem müsse man sich noch gedulden, bis die technischen Spezifikationen der EU vorliegen, damit es nicht zu unnötigen Investitionen komme und Assistenten in wenigen Jahren ausgetauscht werden müssen. Auch würden die derzeitigen Systeme oft zu Fehlalarmen führen. "Sensoren können noch nicht zwischen einem Hydranten oder einem Menschen unterscheiden", sagte Hafenecker. "Wir sind noch nicht so weit", bekräftigte Hofer am Abend auch im "ZiB 2"-Interview und versicherte: "Wir machen es zum frühestmöglichen Zeitpunkt."

Hofer im "ZiB 2"-Interview.
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Drängen auf frühere EU-Entscheidung

Die EU will Abbiegeassistenten für neue Lkws ab 2024 vorschreiben. Hier will die Regierung sich für eine frühere Umsetzung einsetzen. Hafenecker kann sich etwa das Jahr 2022 vorstellen. Ob auch hierzulande nur neue Lkws betroffen sind, wenn die Spezifikationen der EU vorliegen? "Man muss irgendwo beginnen", antwortete Hafenecker schlicht.

Kurzfristige Maßnahmen, so Hofer, stünden aktuell im Vordergrund. Dazu gehöre, dass falls eine Kreuzung nicht sicherbar ist, Gemeinden ein Rechtsabbiegeverbot für Lkws einführen können. Möglich wird das durch eine Änderung der Straßenverkehrsordnung. Darin soll Gemeinden eine diesbezügliche Verordnungsermächtigung erteilt werden.

Einen Schwerpunkt wolle man künftig auf die Bewusstseinsbildung setzen. Fünf Millionen Euro will das Ministerium für die Aus- und Weiterbildung von Berufskraftfahrern zur Verfügung stellen. Besonders gefährdete Gruppen wie ältere Verkehrsteilnehmer und Kinder sollen sensibilisiert werden, eine Informationskampagne zum toten Winkel gestartet werden. Parkplätze der Asfinag will Hofer mit Schablonen ausstatten, die bei der korrekten Ausrichtung der Lkw-Spiegel helfen sollen. Bei Mineralölfirmen will das Ministerium für ähnliche Plätze bei Tankstellen werben.

Wien will mehr

Für Wiens Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou (Grüne) sind die Ergebnisse zu wenig: "Wir bleiben bei unseren Forderungen", erklärte sie nach dem Gipfel: "Verpflichtender Abbiegeassistent für alle Lkws und die rechtliche Möglichkeit, Schrott-Lkws aus dem Stadtgebiet fernzuhalten." Wien hatte Hofer das Angebot gemacht, die Umrüstung der Lkws mit einer Million Euro zu fördern, wenn der Bund eine österreichweite Regelung einführt. Eine Förderung seitens des Bundes wurde zwar angekündigt, "wie ernst das zu nehmen ist oder die Höhe der Förderung bleibt leider ein großes Fragezeichen", sagte Vassilakou.

Breite Front für Nachrüstung

Im Vorfeld des Gipfels formierte sich eine breite Front, die sich für die verpflichtende Nachrüstung aussprach. Neben dem Verkehrsclub Österreich und dem Kuratorium für Verkehrssicherheit sprachen sich beispielsweise die beiden Autofahrerklubs ÖAMTC und ARBÖ für die Pflicht aus.

Die Wirtschaftskammer wiederum gab sich gespalten. Während die Wiener sich für die Pflicht ausgesprochen und mit der Stadtregierung bereits eine erste Förderung in der Höhe von einer Million Euro ausgemacht hatten, ging die bundesweite Sparte für Transport und Verkehr einen anderen Weg und pochte auf Freiwilligkeit bei der Umrüstung. (Oona Kroisleitner, 19.2.2019)

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Link zur Petition

Petition für Verpflichtende Abbiegeassistenten

Foto: Christian Fischer
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER
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