Kernfusion bringt die Sterne zum Leuchten. Forscher versuchen, die Fähigkeit der Sonne, unglaubliche Mengen an Energie freizusetzen, auf der Erde kontrolliert zu imitieren – eine enorme Herausforderung.
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Als im Jahr 1985 der Präsident der USA, Ronald Reagan, und der Generalsekretär der KPdSU, Michail Gorbatschow, die gemeinsame Erforschung der Kernfusion als Energiequelle beschlossen, war das ein Zeichen der Annäherung im Kalten Krieg.

Man verfolgte gemeinsam einen Reaktorbau nach dem russischen Tokamak-Prinzip. Eingeschlossen in leistungsfähige Magnetfelder sollten, ähnlich wie im Inneren der Sonne, Atomkerne verschmelzen und somit Energie freigesetzt werden.

Heute, mehr als 30 Jahre später, haben sich die Rahmenbedingungen geändert. Anstelle einer Entspannungspolitik zwischen Ost und West ist es der Klimawandel, der die Fusionsforschung befeuert. Nebst Aussichten auf Gewinne bringt er nun private Investoren dazu, Millionen in Start-ups zu pumpen, die die Energiegewinnung nach Vorbild der Sonne auf der Erde endlich Wirklichkeit werden lassen.

Tech-Milliardäre rittern um vordere Plätze

Tech-Milliardäre wie Amazon-Gründer Jeff Bezos buttern Geld in junge Unternehmen wie General Fusion aus Kanada oder Commonwealth Fusion Systems, ein Spin-off des Massachusetts Institute of Technology (MIT). Dutzende solcher Start-ups rittern mittlerweile um einen vorderen Platz bei der zukünftigen Energiegewinnung.

Doch ob ihr Streben schneller zur sauberen Energie führt, bleibt fraglich. Noch gilt die magnetische Fusion, die in Nachfolge von Gorbatschows Vorschlag verfolgt wird, als die vielversprechendste Variante. Sie ist auch das Kernstück des internationalen Gemeinschaftsprojekts Iter im südfranzösischen Cadarache, wo seit 2007 ein großangelegter Reaktor entsteht.

Seit 2007 entsteht im französichen Cadarache der Forschungsfusionsreaktor Iter. Nach vielen Verzögerungen wird 2025 mit "First Plasma" gerechnet.
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Dennoch: Den ersten Fusionsstrom aus der Steckdose erwartet man auch hier erst um die Mitte des 21. Jahrhunderts. Dann könnte der Iter-Nachfolger Demo fertig sein und testweise ins Netz einspeisen. Mit Betonung auf "könnte". Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Verzögerungen ein wesentliches Merkmal des Wegs zur Fusionsenergie sind.

Friedrich Aumayr ist Vorstand des Instituts für Angewandte Physik der TU Wien und wissenschaftlicher Direktor des österreichischen Fusionsforschungsprogramms, das von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) koordiniert wird. Für ihn liegt der Grund für die Verzögerungen nicht nur in den technischen Herausforderungen. Auch der Charakter als Gemeinschaftsprojekt von EU, den USA, Russland, China, Südkorea, Japan und Indien fordere seinen Tribut. 2009 ging man etwa von einer geplanten Plasmaerzeugung im Jahr 2018 aus. Heute stehen wir bei "First Plasma" im Jahr 2025.

Komplizierte Zusammenarbeit

Nicht nur hat die Verteilung des resultierenden geistigen Eigentums unter den Mitgliedsstaaten die Anwälte jahrelang beschäftigt. Auch das Erbringen der Leistungen, etwa der aufwendige Bau von Magnetfeldspulen, musste koordiniert und auf die teilnehmenden Staaten verteilt werden. "Wenn man ein Auto bauen will, bei dem der linke Vorderreifen von einer anderen Firma kommt als der rechte, müssen die erst einmal zusammenpassen", veranschaulicht Aumayr. Immerhin: "2018 war die halbe Anlage fertiggebaut. Im Moment liegen wir gut im Zeitplan."

Viele der technischen Herausforderungen hängen damit zusammen, das Plasma, in dem es bei Temperaturen von über 100 Millionen Grad zur Fusionsreaktion kommen soll, innerhalb starker Magnetfelder zu stabilisieren. "Zusätzlich zu den magnetischen Feldern, die wir von außen anlegen, entstehen elektrische und magnetische Felder auch im Plasma selbst. Durch die komplexen Wechselwirkungen und Rückkoppelungen ist es sehr schwierig, das Plasma stabil zu halten", sagt Aumayr.

Die Folge können sogenannte ELMs sein, "Edge-localized modes" – ein Problem, das Tokamak-Anlagen, wie auch Iter eine sein wird, vorbehalten ist. Der gute Einschluss des Plasmas bricht dabei kurzfristig zusammen. Ein Teil des Plasmas geht an die Wand, bevor es sich innerhalb von Millisekunden wieder stabilisiert, erklärt Aumayr. "Gegenstrategien können sein, das elektrische Feld am Plasmarand zu verwirbeln oder viele kleine ELMs künstlich auszulösen, um große Ausbrüche zu verhindern."

Gerade die Randzone des Plasmas und die heikle Interaktion mit den Reaktorwänden sind auch Schwerpunkte der Fusionsforschung in Österreich. An Aumayrs Institut wird – neben anderen Projekten an der TU Wien, die sich der Plasmadiagnostik und der Entwicklung von Isolationsmaterialien für supraleitende Magnete widmen – etwa das Bombardement von Ionen auf den Wandmaterialien nachgestellt, um die Abtragungseffekte zu untersuchen.

Am Erich-Schmid-Institut für Materialwissenschaft des ÖAW in Leoben steht die Suche nach einer extrem hitzebeständigen Materialmischung für die Reaktorwände im Vordergrund. Sowohl an der Universität Innsbruck als auch an der TU Graz vertiefen sich Physiker in die Analyse des Plasmas – einerseits auf theoretischem Weg, andererseits etwa durch experimentelle Sonden für die Plasma-Randbereiche. Organisiert ist die Forschung im Programm "Fusion@ÖAW", mit dem Österreich Teil des Eurofusion-Konsortiums der EU ist.

Verzehnfachung der Energie

Mit vereinten Kräften möchte man mit Iter letztendlich eine Leistung schaffen, die mit der Formel Q=10 beschrieben wird. Sie bedeutet, dass der Energieoutput aus Fusionsprozessen zehnmal so hoch sein soll wie jene Energie, die hineingesteckt wird, um die Fusion zu ermöglichen. Zum Vergleich: Auf das bisher beste Ergebnis kam der britische Jet-Reaktor mit einem Q-Wert von etwas unter 0,7. Noch niemals kam also bei der Kernfusion zur Energiegewinnung auf der Erde mehr Energie heraus, als hineingesteckt wurde. Für die Marktfähigkeit sollte Q allerdings viel höher als 10 sein.

Das Iter-Video erklärt die Hintergründe und Mechanismen von Kernfusion.
iterorganization

In der Forschungsanlage Jet wird heute das Wandmaterial von Iter, das aus Beryllium und Wolfram bestehen wird, getestet. Ein Blick in die Richtung, die die Kernfusion nach Iter einschlagen könnte, gewährt schon jetzt der deutsche Wedelstein-7-X-Reaktor. Es ist das zurzeit weltgrößte Stellarator-Experiment. Bewährt es sich, könnte Demo auf das komplexere Bauprinzip umgestellt werden. Das Know-how des Iter-Projekts könnte zudem weltweit zu nationalen Weiterentwicklungen führen, die nicht mehr auf internationale Koordination Rücksicht nehmen müssen. Aumayr betont, dass China etwa bereits eine eigene Forschungsanlage plant.

Bestechende Vorteile

Klar ist jedenfalls, dass die Kernfusion mit ihrem enormen technischen Aufwand in finanzieller Hinsicht keine günstige Energieform sein wird. Doch die Vorteile sind bestechend: keine Super-GAUs wie in der Kernspaltung, keine CO2-Emissionen mit Einfluss auf das Weltklima. "Um ein Jahr lang ein Gigawatt Elektrizität zu gewinnen, benötigt man 2,7 Millionen Tonnen Kohle, aber nur 350 Kilo Deuterium/Tritium-Gemisch", veranschaulicht Aumayr die Dimension der Einsparungen.

Und was hält der an Iter beteiligte Experte nun eigentlich von den Fusions-Start-ups, die da und dort aus dem Boden schießen? "Sie haben die Probleme, die beim Hochskalieren der Technologie entstehen und die bei Iter zu vielen Verzögerungen geführt haben, noch vor sich", urteilt Aumayr. "Ich schließe aber nicht aus, dass es einmal eine clevere Idee geben wird, die kleinere Fusionskraftwerke ermöglicht." (Alois Pumhösel, 23.2.2019)