Bild nicht mehr verfügbar.

Im Vatikan treffen sich Bischöfe aus aller Welt, um über Missbrauch zu reden. Die Konferenz soll Bewusstsein für das Thema schaffen.

Foto: AP Photo/Gregorio Borgia

Die katholische Kirche steckt in einer Krise, die noch größer ist als zu Zeiten der Reformation! Mit dieser These beschreibt der Kirchenhistoriker Hubert Wolf die derzeitige Situation. Es spricht viel dafür, dass er recht hat. Die römisch-katholische Kirche hat ihre moralische Glaubwürdigkeit verspielt. Es täte ihr daher gut, sich selbst ein Moratorium für sexualmoralische Bewertungen aufzuerlegen.

Dass die Bischöfe den Missbrauch nicht nur ermöglicht, sondern noch dazu oft genug vertuscht und schlussendlich kaum, oft gar nicht aufgearbeitet haben, gibt ihnen eine Mitverantwortung für das, was geschehen ist. Wie sie damit umzugehen gedenken, wird eine wesentliche Stellschraube an der Frage sein, wie sich die Kirche in der Zukunft gestaltet, versteht und ihr geglaubt wird.

Interne Aufklärung?

Die Deutschlandfunk-Journalistin Christiane Florin fragte in der Pressekonferenz zur Vorstellung der MHG-Studie – jener Studie, die den sexuellen Missbrauch in Deutschland aufarbeitet -, ob einer der auf der Vollversammlung anwesenden Bischöfe die Verantwortung für sein Nichthandeln übernommen habe und zurückgetreten sei. Die Antwort? Nein. Kein weiteres Wort der Erklärung – einfach nein. Daraus lässt sich folgern, dass aus eigenem Antrieb, aus intrinsischer Einsicht wohl auch künftig niemand Konsequenzen ziehen wird. Es gibt kaum unabhängige Kommissionen, die aus eigener Vollmacht diese Konsequenzen verlangen könnten. Als monarchische Heilsanstalt dreht sich die römisch-katholische Kirche in einer ihrer schwersten Krisen um sich selbst und auch noch im Kreis ihrer eigenen Leitung.

Mit dieser Hypothek startet heute die Konferenz in Rom. Dass sie überhaupt stattfindet, ist begrüßenswert. Aber: Kann eine Institution sich selbst aufklären? Kann sie, die sie doch das Problem ist, sich selbst an den Haaren herausziehen? Nicht nur Münchhausen konnte dies nicht und machte seine Lügengeschichte zum geflügelten Sprichwort. Auch historisch ist nicht erst seit der Aufklärung das Prinzip der Gewaltenteilung als Kontrollinstrument eingeführt worden, um Auswüchsen von Willkür und Machtmissbrauch Einhalt zu gebieten.

Neue Gewaltenteilung

Eine Art der Gewaltenteilung fordern nun immer mehr Bischöfe und Kleriker für die katholische Kirche, so zuletzt auch Kardinal Schönborn. Sie erkennen einen inneren Zusammenhang zwischen Machtmissbrauch und sexueller Gewalt an. Vorgesehen ist die Gewaltenteilung, wie wir sie heute verstehen, in der römisch-katholischen Kirche freilich nicht, denn sie sieht vor, dass die drei Gewalten in der einen Person des Bischofs vereinigt werden.

Und dennoch: Undenkbar ist eine Form der Gewaltenteilung auch in der katholischen Kirche nicht. Historisch gesehen hat die Kirche über Jahrhunderte vor allem eines bewiesen: dass sie in der Lage ist, sich den Zeiten gemäß zu strukturieren und mit Krisen umzugehen. Sie hat diese Kompetenz nicht immer konstruktiv, oft nicht früh genug und selten ohne Eigennutz gelebt, doch absprechen kann man ihr dies nicht. Und deshalb gibt es durchaus verschiedene Modelle klerikaler Machtausübung und Machtaufteilung, auf die zurückgegriffen werden könnte, wenn eine Veränderung wirklich gewollt wäre.

Keine Demokratie

Die römisch-katholische Kirche wird von ihrem Selbstverständnis keine Demokratie werden, aber es steht auch nirgends geschrieben, dass sie eine absolute Monarchie zu sein hat. Die Modelle für eine Teilung der Gewalten, für eine Subsidiarität in den Entscheidungen, für eine Kollegialität in der obersten Leitung stehen als theologisches und historisches Wissen erforscht und aufbereitet zur Verfügung. Sie müssten nur von den Bischöfen, von den Kardinälen, vom Papst abgefragt werden. Auch für eine erneuerte Priesterausbildung könnten aus den Erkenntnissen der Studien zum sexuellen Missbrauch und aus dem durch Wissenschaft seit über 40 Jahren bereitgestellten Faktenwissen Erkenntnisse gezogen werden.

Doch die Hypothek ist sogar noch größer. Denn die Aufklärung hat uns nicht nur unser neuzeitliches Verständnis von Gewaltenteilung beschert, sondern auch die mittlerweile doch recht flächendeckende Erkenntnis, dass bürgerliche Rechte auch für Frauen gelten. Der Soziologe José Casanova steht daher keineswegs allein mit seiner Meinung, wenn er die Frauenfrage als eine der großen Herausforderungen für die römisch-katholische Kirche ansieht. Wird diese nicht gelöst, werden noch mehr Frauen die Kirche verlassen – Frauen, die Glauben nicht nur leben und mitgestalten, sondern auch heute noch in der Hauptsache an die nächste Generation weitergeben.

Es geht um das Ganze

An der Antwort auf die Frage, wie viele Frauen bei der Konferenz dabei sind – und wie viele sonstige Laien, aber auch Theologinnen und Theologen – ließe sich leicht ablesen, ob sich die Organisatoren wirklich in die Karten schauen lassen wollen. Vom Umgang mit den Betroffenen des Missbrauchsskandals an erster Stelle, mit Machtmissbrauch und allen weiteren Themen, mit denen sich die Kirche in ihrer heutigen Krise konfrontiert sieht, wird abhängen, ob sie ihren Anspruch als den Alltag begleitende und positiv bestimmende Größe im Leben der Gläubigen behalten kann.

Wenn wir den von Hubert Wolf gezogenen Vergleich der heutigen Situation mit der Reformation ernst nehmen, dann können wir nicht absehen, in welchen Gestalten die Kirche Jesu in Zukunft weitergelebt werden wird und kann. Es geht um das Ganze – auch und gerade mit Blick auf die interkulturelle universale Dimension der gegenwärtigen Krise. Es ist den Herren in Rom zu wünschen, dass sie sich dieser Herausforderung für die Zukunft der Kirche stellen. (Gunda Werner, 21.2.2019)