In einer Zeit, in der Europa Gefahr läuft, dem Würgegriff der rechtspopulistisch bis faschistisch orientierten Nationalistinnen und Nationalisten zu erliegen, wäre es eigentlich ein zwingendes Gebot der Stunde, alle demokratisch gesinnten Kräfte zu bündeln und vereint für ein starkes, offenes und vielleicht irgendwann auch wieder menschenrechtliches Europa anzutreten. Ein Pakt für ein offenes, demokratisches, partizipatives und Minderheiten schützendes Europa quer über alle Partei- und Landesgrenzen hinweg, wäre das politische Unterfangen mit höchster Dringlichkeit.

Zersplitterung statt Zusammenschluss

Anstelle dessen passiert das genaue Gegenteil. So lustig unterhaltend, wie in den Monty-Python-Filmen, wo die Volksfront von Judäa keinen größeren Feind kennt als die judäische Volksfront, ist das leider nicht.

Bei Betrachtung der aktuellen Situation in Österreich tritt das ernüchternde Drama zu tage: Wenn die einen "nicht einmal mehr anstreifen" wollen, während die anderen sich in beleidigter Eitelkeit ergehen, wenn alte fundamentalistische Dispute hervorgeholt werden, anstelle sich um die Herausforderung des politischen Moments zu kümmern, sieht es sehr schlecht für die Zukunft aus.

Für pro-europäische Werte sollten die demokratischen Kräfte auftreten.
Foto: AP/Vadim Ghirda

Mit der Zeit verstreichen die Chancen

Dabei werden zahlreiche "windows of opportunity" übersehen. Wie wäre es, wenn sich parteiübergreifend eine große Plattform zusammenfände, die ehrlich sich dem Kampf gegen Grenzen und Mauern, gegen Ausgrenzung und Diskriminierung, gegen Menschenverachtung und Hass stellt?

Wer zwischen Gruppen und Grüppchen, zwischen Altparteien und Kleinparteien, zwischen "noch nie Eingezogenen" und "längst nicht mehr Neuen" eine Grenze nach der anderen aufzieht, arbeitet aktiv an der Tarnung der alles entscheidenden Grenze: Denn die Grenze zwischen offener, partizipativer und Minderheiten schützender Demokratie und autokratischem, hetzendem und exkludierendem Rechtspopulismus gilt es klar und deutlich sichtbar zu machen.

Es ist eben unmöglich, "bisschen" menschenverachtend oder "ein wenig" hetzend das Leben eines Kontinents zu gestalten. Einem elegant auftretenden Schulbubengesicht mit "Ich habe mich auf mein Referat vorbereitet"-Niveau müssen die Konsequenzen der sich laufend betätigenden Erben der Nazis entgegengehalten werden. Nicht die Segelohren sind das Problem, sondern die opportunistische Taubheit.

Langjähriges Mitglied der Landesregierung kehrt ÖVP den Rücken

Der Parteiaustritt eines langgedienten ÖVP-Granden in Salzburg, Arno Gasteiger, wäre für die österreichische Politlandschaft so ein mögliches "window of opportunity": Was wäre, wenn alle, von Gasteiger, Konrad, Rendi-Wagner, Meinl-Reisinger, Kogler, Stern, Voggenhuber gemeinsam mit linken Parteien, diversen Kleingruppen und Initiativen eine echte pro-europäische und grenzüberwindende Paktgemeinschaft bilden würden?

In fast allen Parteien und Listen gibt es solche und solche, gibt es Offene und Ausgrenzende. Es wären viele Überwindungen notwendig, wenn Parteigrenzen und ideologische Feinheiten angesichts des Grundsätzlichen weniger wichtig werden sollen.

Nur gemeinsam ist es zu schaffen

Die Kraft eines derartigen Grundsatzpaktes könnte aber ein deutliches Zeichen für eine Zukunft setzen. Wenn dies nicht gelingt, könnten wir in einem vorgestrigen Europa aufwachen. Es ist einfacher, weiterhin im Klein-Klein seine Süppchen zu kochen. Aber das kann nicht gut gehen, zumal die rechtsfaschistischen Strömungen kein Problem haben, sich ihrerseits schlagkräftig zu koordinieren. Die Überwindung der Denk-, Partei- und der Ideologiegrenzen zu Gunsten eines großen gemeinsamen Ganzen könnte eine Antwort auf postdemokratischen Turbokapitalismus sein, der nicht nur Europa an den Abgrund treibt. Daher bleibt demokratischen Kräften eigentlich nichts anderes, als die große gemeinsame Anstrengung. Überwindung kostet immer Überwindung. (Bernhard Jenny, 25.2.2019)

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