Es gibt Wahrheiten, die man nicht wissen möchte. Die Webseite footprintcalculator.org liefert so eine. Man kann sich dort ausrechnen, wie viele Erden es bräuchte, wenn jeder Mensch so leben würde wie man selbst. Wenn jeder Mensch sich so fortbewegen, so wohnen, so essen, so reisen und konsumieren würde, wie man es selbst macht. Die Ergebnisse sind meist äußerst ernüchternd.

Mit Stand 1. Jänner 2019 leben 7,67 Milliarden Menschen auf diesem Planeten. Im Jahr 2050 werden es nach Einschätzungen der Vereinten Nationen um 2,5 Milliarden mehr sein. Wie aber ernährt man zehn Milliarden Menschen? Und zwar nicht nur so, dass alle satt werden, sondern auch so, dass der Planet nicht endgültig kollabiert?

Mitte Jänner versuchten Wissenschafter in der medizinischen Fachzeitschrift Lancet eine Antwort auf diese Frage. Der medienwirksam "Planetendiät" genannte Ernährungsplan soll die Gesundheit des Menschen und der Erde gleichermaßen schützen. Dafür wurde die exakte Menge, die man täglich von jeder Nahrungsmittelgruppe essen darf, errechnet – durchschnittlich, wohlgemerkt. Die vorgeschlagene Kost ist im Wesentlichen pflanzlich – viel Gemüse, Nüsse usw. Fisch und Fleisch sind erlaubt, aber nur in sehr geringer Menge. Es muss auf nichts grundsätzlich verzichtet werden, die Menge macht das Gift. Wer gerne Rumpsteak isst, darf das tun – aber eben nur alle anderthalb Monate.

Wir alle wissen das ohnehin

An der Studie sind vor allem die konkreten Mengenangaben neu, das von ihr adressierte Problem ist altbekannt: In weiten Teilen der Welt essen die Menschen heute so, dass Böden und Klima leiden. In Sachen Gesundheit entspricht die "Planetendiät" ungefähr dem, was Gesundheitsorganisationen und Ärzte seit Jahrzehnten predigen: mehr Gemüse und Hülsenfrüchte, Reduktion von Zucker und vor allem viel weniger Fleisch. Auch die Erkenntnisse in Bezug auf die Umwelt sind nicht neu. Jeder, der Limonade in PET-Flaschen kauft, in Plastik eingeschweißte Gurken oder das günstigste Schweinsschnitzel ins Einkaufswagerl legt, weiß, dass sich das nicht wirklich ausgehen kann – und macht es trotzdem.

Dabei wäre es ja gar nicht so schwer. Aus 31 Gramm Zucker, 250 Gramm Milchprodukten und 232 Gramm Vollkornprodukten (wie in der Planetendiät für einen Tag vorgesehen) lässt sich, wenn man die Zutaten sinnvoll kombiniert, durchaus Köstliches zubereiten (siehe Kasten rechts) – und wenn man Genussmittel als solche versteht, sie also nicht täglich isst. Schon wenn die westliche Welt nicht morgen großflächig auf die Planetendiät umsteigen, sondern erst einmal den Fleischkonsum halbieren würde, wäre das ein Anfang. Doch warum klappt selbst das nicht?

Essen gegen den Kollaps

In der Umweltpsychologie ist das Phänomen schon lange bekannt: Es gibt eine Kluft zwischen der Einstellung eines Menschen und seinem Handeln. Wir wissen, was richtig ist, tun es aber nicht. Es ist sogar noch komplizierter: Menschen, die aufgrund höherer Bildung viel über den Klimawandel wissen, haben oft die schlechtere Klimabilanz. Sie reisen öfter, können sich größere Autos leisten. Auch Journalisten, die über Umweltthemen schreiben, sitzen oft im Flieger.

Der Mensch ist gut darin, sein eigenes Handeln vor sich selbst zu rechtfertigen. Aber zur Heuchelei kommen strukturelle Probleme hinzu, die den viel beschworenen "ethischen Konsumenten" in und an der Praxis scheitern lassen.

Warum wir uns nicht ändern

Erstens brechen wir unseren Konsum in unserer Wahrnehmung stets auf unzählige kleine Einheiten herunter – von der jede für sich genommen nicht problematisch ist. Es ist die Summe all unserer Steaks, die dem Planeten schadet, nicht das einzelne Stück Fleisch. Und: Der Mensch handelt bevorzugt dann, wenn er das Gefühl hat, ein Problem beeinflussen zu können. Wenn er glaubt, dass sein Verhalten einen Unterschied macht. Dieses Gefühl stellt sich bei globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel nur bedingt ein.

Deswegen rechtfertigt man das eine Steak, die eine Flugreise immer wieder erfolgreich vor sich selbst. Zweitens sind bei unserem Konsum etliche strukturelle Schweinereien wie Tierleid und Emissionen kaum oder gar nicht berücksichtigt, was die Entscheidungen verzerrt. Natürlich ist es moralisch, mit der Bahn zu fahren, statt zu fliegen. Wenn der Flug aber nicht nur schneller, sondern auch billiger ist, werden falsche Anreize gesetzt. Das Ausmaß, in dem Verbraucher bereit sind, für qualitativ hochwertiges Biofleisch zu zahlen, ist begrenzt – einmal abgesehen davon, dass man sich das leisten können muss.

Drittens kommt etwas hinzu, was man in der Psychologie die Status-quo-Verzerrung nennt: Der Mensch bevorzugt das Bekannte unverhältnismäßig gegenüber neuen Handlungsoptionen. Auch das macht es schwierig, eingeübte Essgewohnheiten zu ändern. Wir Menschen sind psychologisch betrachtet träge Gewohnheitstiere.

Präsentation der Studie "EAT-Lancet".
United Nations

Fakten schaffen

An einer Umstellung der globalen Ernährungsweise führt kein Weg vorbei. Wie kann man uns trägen Konsumenten diese Umstellung erleichtern? Zum einen durch mutige politische Maßnahmen und Steuerung etwa über Preise: Wir finden uns mit politischen Entscheidungen, die den Fisch im Supermarkt verteuern, eher ab, als dass wir aus Überzeugung zur teureren Variante greifen. Es hilft auch, erwünschte Verhaltensänderungen möglichst einfach umsetzbar zu gestalten.

Die Planetendiät ist sinnvoll und medial gut aufbereitet, im Grunde kann man heute damit beginnen. Aber für die Langstrecke ist es wohl sinnvoll, Aussagen wie "Täglich sind 13 Gramm Ei erlaubt" in ein einfach zu verstehendes Handlungssystem zu zerlegen. Hinter dem Erfolg der Weight-Watchers verbirgt sich ja im Grunde auch einfaches Kalorienzählen. Nur dass es eben viel einfacher ist, Punkte zu zählen als Brennwerte. Würden alle Menschen so leben wie der Autor dieses Textes, bräuchten wir übrigens 2,2 Erden. Zeit für eine Diät. (Jonas Vogt, 24.2.2019)


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Ein Kilo Schweinefleisch (das beliebteste Fleisch in Österreich) verursacht gleich viel CO2 wie 100 Kilo Kartoffeln.
Foto: Getty/Roman Ivaschenko

Wieso Fleisch dem Planeten schadet

Unsere Essgewohnheiten beschädigen den Planeten, vor allem Fleisch wirkt sich fatal auf das Klima aus. 40 Prozent der weltweiten Landfläche verbrauchen wir, um unsere Nahrung herzustellen, 30 Prozent aller Treibhausgase geht auf die Kappe unserer Ernährungsform. Die Planetendiät (Text rechts) verspricht Abhilfe, sie will die Umwelt schonen und gesund sein.

Täglich dürfen 300 Gramm Gemüse und 200 Gramm Obst gegessen werden, außerdem 50 Gramm Nüsse, 75 Gramm Hülsenfrüchte, 250 Gramm Milchprodukte und 232 Gramm Getreide. Pro Woche sind höchstens 200 Gramm rotes Fleisch, 200 Gramm Hühnerfleisch und knapp 200 Gramm Fisch vorgesehen.

Angesichts der Durchschnittskost des gelernten Österreichers klingt das drastisch: Die meisten von uns essen täglich Fleisch, im Schnitt ein Kilo pro Woche. Das meiste davon kommt aus Massentierhaltung mit hohem Energieaufwand. Die Tiere, die wir in Österreich verspeisen, futtern ihrerseits jährlich rund sieben Millionen Tonnen Kraftfutter. Ein Großteil davon ist importiertes Soja, für das Regenwald gerodet wird.

Ein Kilo Schweinefleisch (das beliebteste Fleisch in Österreich) verursacht gleich viel CO2 wie 100 Kilo Kartoffeln. Um ein Kilo Fleisch zu produzieren, braucht es drei bis acht Kilogramm Getreide. Dadurch werden Pflanzen verdrängt, die der Mensch sonst essen könnte. Deckt der Mensch seinen Energie- und Eiweißbedarf wie bisher hauptsächlich mit Fleisch ab, braucht er viermal so viel Anbaufläche, als es der Fall wäre, wenn er auf pflanzliche Eiweißquellen setzen würde. (os)


Foto: Getty Images/iStockphoto/Omer Yurdakul Gundogdu

Ein Tag mit der Planetendiät

Mit etwas Wissen und Willen lässt sich die Planetendiät an sich relativ leicht umsetzen. Wie das geht, zeigen wir anhand dreier Rezeptbeispiele. Wichtig: Wer nicht selbst anbaut, sollte Obst und Gemüse regional, saisonal und verpackungsfrei kaufen. Erster Akt: das Frühstück.

  • In der Früh: Amaranth-Müsli mit Nüssen

Man nehme 100 g eiweißreiche heimische Getreideflocken (z. B. Hafer, Amaranth, Dinkel), ergänze sie mit regionalen Nüssen und einem Milchprodukt aus dem Pfandglas. Ein Stück regionales Obst hinein, dann bleibt für diesen Tag eines als Zwischenmahlzeit. Täglich sind 250 g Milchprodukte erlaubt.

  • Zu Mittag: Schnelle Hirsepfanne mit Mangold

Die Planetendiät sei keine Ernährung der Entbehrung, sagt Epidemiologe Walter Willet von der Uni Harvard, der das Konzept mitentwickelt hat. Will was heißen: Der Mann hat seine Kindheit auf einer Farm verbracht und laut eigener Aussage dreimal täglich Fleisch gegessen.

Hirse waschen und in Salzwasser kochen. Mangold waschen, in kochendem Wasser kurz blanchieren, abseihen, danach in Streifen schneiden. Knoblauch schälen, fein hacken. Öl in der Pfanne erhitzen, Knoblauch kurz anschwitzen. Hirse und Mangold dazugeben, kurz anbraten. Mit Kräutersalz und Pfeffer abschmecken.

  • Am Abend: Topfenlaibchen mit Fisolensalat (vier Personen)

Schmeckt die Planetendiät wirklich? Durchaus. Man muss sich eben auf ein paar Rezepte und Neues einlassen. Auf dem Teller regieren dann Frische, regionale Vielfalt und ein hoher Anteil an pflanzlicher Kost. Das sorgt für Farbe, Geschmack, Abwechslung. Auch abends.

1 Zwiebel hacken, in einer Pfanne anrösten, 1 EL Petersilie dazugeben und auskühlen lassen. 500 g Topfen und 1 Ei verrühren. 5 EL Brösel, 2 gehackte Knoblauchzehen mit der Topfenmasse vermischen. Würzen, flache Laibchen formen, in wenig Öl beidseitig braten. Dazu gibt es Fisolen-Karotten-Salat. (lima)

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Selber kochen ist angesagt. Wenn man es mit der Planetenrettung ernst nehmen will, muss man natürlich vor allem darauf achten, dass die Produkte regional und saisonal sind.
Foto: Getty Images

Die Planeten-Diät im Praxistest

Ich muss gestehen, ich würde gerne die Erde retten, ehrlich. Ich werde es aber mit der Planetendiät so bald nicht schaffen. Seitdem ich für kleine Kinder sorge, sind Essen-Einkaufen und Selbst-Kochen ein Wettlauf gegen die Zeit geworden. Alles muss schnell gehen, gesund soll es trotzdem sein. Da greift man zu Bewährtem und Vertrautem.

Der Wille für Neues ist trotzdem da: Die präzisen Angaben der Wissenschafter sind schnell hochgerechnet. Auf Blogs und Webseiten, die ich normalerweise nach Rezepten absuche, finde ich Gerichte, die in den neuen Ernährungsplan passen könnten.

Also Rezepte ausgedruckt und los. Wenn man es mit der Planetenrettung ernst nehmen will, muss man natürlich vor allem darauf achten, dass die Produkte regional und saisonal sind. Das Rezept, das ich von der Website eines Lifestylemagazins für Männer habe, verlangt Tomaten. Nun, die sind im Februar in Wien zwar überall in großer Vielfalt vorhanden, aber alles andere als saisonal.

Meine nächste Herausforderung ist es, den Kalorienbedarf für alle Familienmitglieder samt Kleinkind und Baby zu berechnen. Hier zeigt sich eine Schwäche des Ernährungsplans: Er passt nicht für alle Manschen in allen Lebenssituationen. Ein Bauarbeiter wird, um seinen Kalorienbedarf auf gesunde Weise zu decken, jede Menge Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte essen müssen. Für Kinder oder kranke Menschen mit Mangelerscheinungen gilt das ebenso.

Und am Abend, wenn das Tagwerk geschafft ist, greife ich wie gewohnt in diese Schublade: Aber Moment! Sieht dieser Ernährungsplan überhaupt Schokolade vor? (os)