Überzeugter Vollbartträger Sebastian Fellner und Sechs-Tage-die-Woche-Rasierer Eric Frey.
Foto: Heidi Seywald/Matthias Cremer

Pro

von Sebastian Fellner

Wie vieles in meinem Leben hängt mein Vollbart mit meiner Faulheit zusammen: Es ist einfach weniger zeitaufwendig, ihn wachsen zu lassen, als zu rasieren. So sorgfältig muss man die borstigen Haare im Gesicht erst einmal pflegen, dass das anders wäre. Gleichzeitig – das ist das noblere Argument – ist mein Bart politisch.

Das wurde er aber erst mit der Zeit. Überhaupt wuchs die Gesichtsbehaarung spät in mein Leben – zu spät zumindest für mein pubertäres Ich, das mit seinem Babyface Schwierigkeiten hatte, seinem Alter entsprechend zu wirken. Und Bier zu kaufen, ohne einen Ausweis zeigen zu müssen. Ich hatte den Anfang meiner Zwanziger schon hinter mir, als ich zum ersten Mal einen flächendeckenden Dreitagebart tragen konnte (für den ich den Rasierer allerdings wochenlang unberührt lassen musste). Nach einem längeren Urlaub ohne Trimmen erkannte ich erst, wie gut der Bart zu mir passt. Weil er gar nicht zu mir passt.

Denn natürlich sind sie lächerlich, die selbsternannten Archetypen der Männlichkeit, die ihren Holzfällerbart mit der teuren, maskulin etikettierten Pomade pflegen und sich alle zwei Wochen beim Hipsterbarbier einfinden, um dort Gin Tonic zu trinken und mit anderen Bartträgern über ihr Fitnessprogramm zu reden. Für sie ist der Bart ein Statussymbol: Sie tragen ihr Bekenntnis zum Mannsein mitten im Gesicht, als Gegenbewegung zum zunehmenden Verschwimmen der Geschlechtergrenzen, als Versuch einer Wiederherstellung der alten Bilder von Männlichkeit und Weiblichkeit. Dieser harte Kern der Supermänner hat die Abgrenzung zum Ziel.

Das ist für jemanden, der keinerlei Wert auf die Identifikation als Mann legt, schwierig zu verstehen: Ich habe früh gelernt, dass ich mit den Ansprüchen, die gemeinhin an Männer gestellt werden, nichts anfangen kann. Was als männlich gilt (Bart, Muskeln, Familie ernähren) und was nicht (Vegetarismus, Zärtlichkeit, Weinen), empfinde ich als willkürliche Zusammenstellung, die uns Männern und allen um uns herum mehr schadet als nutzt. Dagegen trete ich auf, und ich halte mich in Gesprächen nicht zurück, meine Unmännlichkeit zum Thema zu machen – weil ich glaube, dass man als Gegenbeispiel ein bisschen etwas dazu beitragen kann, Stereotype aufzubrechen.

Enttäuschte Erwartungen

Da hilft es ungemein, wenn der erste Eindruck ein ganz klassisch männlicher ist – auch wenn mir das mit der Gesichtsbehaarung eher aus der eingangs erwähnten Faulheit heraus passiert ist. Mein leuchtend roter Bart ist ein Blickfang: Selbst wer mich öfter sieht, spricht ihn an (Beliebt ist vor allem der Ausruf: "Der wird ja immer länger!"). Wer mich nicht kennt, ordnet mich wohl als männlichen Mann ein, immerhin trage ich einen langen Bart. Ich täusche die Erwartungen meines Gegenübers und hoffe, so genau diese Erwartungen beim nächsten Mal abzuschwächen. Sieh an, Männer können auch schwach, emotional und zurückhaltend sein. Und null Interesse an Autos haben.

Ich trage meinen Bart als Ablenkungsmanöver im Kampf gegen die toxische Männlichkeit. Und alles, was ich dafür tun muss, ist, meiner Faulheit zu frönen. Ich kann mir nichts Besseres vorstellen.

Kontra

von Eric Frey

Bei der Gesichtspflege bin ich erblich vorbelastet. Das Bild von meinem Vater, der vor dem Spiegel im Badezimmer steht und sich nassrasiert, gehört zu meinen frühesten Kindheitserinnerungen. Er selbst ist keinen Tag seines erwachsenen Lebens unrasiert geblieben.

Ich begann mich mit 14 selbst zu rasieren und ließ mir im Sommer vor der Matura einen Bart wachsen. Aber statt hart und männlich war mein Gesicht nach ein paar Wochen mit weichem, löchrigem Flauschteppich umhüllt. Das war nicht der Effekt, auf den ich gehofft hatte.

Im Oktober rasierte ich den Bart wieder ab und folge seither mehr oder weniger der väterlichen Routine. Sechs Tage in der Woche rasiere ich mich gleich nach der Morgendusche. Bloß sonntags bleiben Rasierapparat und Schaum im Schrank, dann darf der Bart 48 Stunden lang sprießen. Und auch im Urlaub lasse ich zwischendurch einen Tag aus – aber niemals mehr.

Die tägliche Rasur ist ein kurzes, aber intensives Vergnügen. Sie dauert gerade vier Minuten, kaum länger als die Zahnpflege. Das geht sich auch aus, wenn ich verschlafen habe. Dafür fühle ich mich dort besonders sauber, wo ich am sichtbarsten bin. Die Kosten sind gering: Eine gute Klinge hält einen Monat, dazu etwas Gel und Aftershave – ein Frappuccino bei Starbucks kostet mehr.

Rebellion oder Zeitgeist

Umso erstaunter beobachte ich, wie immer mehr Kollegen und Freunde, deren Gesicht ich bisher gut kannte, plötzlich dieses mit Haaren verdecken.

Ist es ein Männlichkeitsritual? So wirklich testosterongeladen schauen diese Strubbelbärte meist nicht aus. Ist es ein Zeichen des Nonkonformismus, gar der Rebellion gegen das Establishment? Wenn schon der Präsident der Wirtschaftskammer Vollbartträger ist, dann geht diese Rechnung nicht auf.

Bartmode ist stets eine Sache des Zeitgeists. In der Monarchie trugen junge Männer Bart, um älter und gesetzter auszusehen. Heute geht es meist ums Gegenteil. Aber jünger wird man mit Haaren im Gesicht auch nicht.

In manchen Erdteilen zwingt die Religion zu einem bestimmten Bartstil, dann wieder drücken die Träger eine Weltanschauung oder politische Loyalität zu einem starken Führer damit aus. Saddam Hussein, Josef Stalin, nicht zu vergessen Adolf H.: Gerade der Oberlippenbart wird häufig zum politischen Signal.

Von dem sind Hipster und andere neue Bärtige in den Wiener Szenelokalen weit entfernt. Ihnen geht es wohl am stärksten um den Ausdruck ihres Individualismus. Und tatsächlich ist die Vielfalt und damit die Verwandlungsfähigkeit der Bärte fast unbegrenzt: kurz oder lang, spitz oder breit, geschniegelt oder wild, an den Wangen, am Kinn oder auf der Oberlippe – und das in unzähligen Kombinationen. Weder mit einer Frisur noch mit der tollsten Kleidung lassen sich so unterschiedliche Erscheinungsformen schaffen.

Und doch, liebe Bartträger, muss ich euch enttäuschen: Der Bart macht euch nicht einzigartig. Er macht euch zur Type. Und das will ich nicht sein. Meine etwas zurückgesetzte Mundpartie gibt es hingegen kein zweites Mal. Die gehört nur mir.

(DER STANDARD, 23.2.2019)