Ein graues Haus, auf der einen Seite eine Baustelle, auf der anderen ein Parkplatz, die Umgebung ist trist. Man würde nicht vermuten, dass es hier um Leben und – wie Abtreibungsgegner sagen – auch den Tod geht. Aktion Leben heißt der Verein, der im 15. Bezirk sein Wiener Büro hat. Viele kennen die Beratungsstelle von ihren Schildern in U-Bahn-Stationen, auf denen ein Stück Schokolade und eine Essiggurke abgebildet ist, darüber die knappe Frage: "Schwanger?"

Drinnen sind die Beratungszimmer bunt eingerichtet, eine Couch, ein Tisch, Blumen. "Wir arbeiten ergebnisoffen", sagt Christina Gerstbach, eine von fünf Sozialarbeiterinnen im Haus. Soll heißen: Die Schwangere trifft am Ende allein die Entscheidung, ob sie das Kind behält oder nicht. Der Verein unterstütze Frauen in der Schwangerschaft und danach genauso wie vor und nach Abtreibungen.

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"Mein Bauch gehört mir" war der kämpferische Slogan der Frauenbewegung der 1970er Jahre. Bis heute wird über Abtreibungen kontrovers diskutiert.
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Das Ziel von Aktion Leben ist es dennoch, "dazu beizutragen, dass es zu möglichst wenigen Schwangerschaftsabbrüchen kommt" – so steht es in der eigenen Infobroschüre. "Wir sind gegen die Verharmlosung von Abtreibungen. Es geht um viel, und genau das macht ja auch die Sache so schwierig", formuliert es Martina Kronthaler, Generalsekretärin der Organisation, die auch eine politische Agenda hat: "Es ist in Österreich leichter, einen Abbruch zu bekommen als Unterstützung für ein Leben mit Kind. Das ist doch der falsche Zugang."

Unterstützung von ganz oben

Das Thema ist plötzlich wieder aktuell. Viele Jahre lang galten die Strafrechtsbestimmungen zur Abtreibung (siehe WISSEN unten), eine Errungenschaft der Frauenrechtsbewegung im Jahr 1975, als quasi unantastbar. Doch eine Bürgerinitiative bringt das Thema nun wieder aufs Tapet: #Fairändern drängt etwa auf eine verpflichtende Bedenkzeit vor einem Abort. Für das meiste Aufsehen sorgt aber die Forderung, dass Spätabbrüche verboten gehören. Derzeit ist es straffrei möglich, eine Schwangerschaft mit einem Kind, das mit einer schweren Fehlbildung geboren würde, über die Dreimonatsfrist hinaus abzutreiben. #Fairändern hält das für "Eugenik" und eine Diskriminierung von Menschen mit Behinderung.

Die Bürgerinitiative "#Fairändern" übergibt die Forderungen an Wolfgang Sobotka.
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Initiativen wie diese gab es immer wieder. Das Besondere an #Fairändern ist, dass es von hochrangigen Vertretern der Regierungsparteien unterstützt wird: ÖVP-Behindertensprecherin Kira Grünberg, FPÖ-Verkehrsminister Norbert Hofer, mehrere blaue und türkise Nationalratsabgeordnete, Ex-Landeshauptmann Erwin Pröll – sie alle stehen namentlich und mit Foto hinter der Bewegung. Was ist hier im Gange?

Konservative Verbindungen

Jedenfalls ist #Fairändern kein spontaner Zusammenschluss. Die Initiatoren engagieren sich seit Jahren gegen Schwangerschaftsabbrüche, der Verein ist eng mit radikalen Abtreibungsgegnern aus dem christlichen Milieu verstrickt.

Erstunterzeichnerin Petra Plonner ist etwa stellvertretende Vorsitzende der "Österreichischen Lebensbewegung", die auch Schwangerschaftsberatungen durchführt. Der Verein geriet wegen seiner Praktiken schon öfter in die Kritik. So propagiert er die Existenz eines "Post-Abortion-Syndroms", für das es wissenschaftlich keine Belege gibt. Basierend darauf wird behauptet, dass Frauen, die abgetrieben haben, ein Leben lang plötzlich Beschwerden wegen eines auch lange zurückliegenden Aborts erleiden können. Carina Marie Eder, Vorsitzende von #Fairändern, war hingegen schon bei "Jugend für das Leben" aktiv. Im Jahr 2015 sagte sie als deren Sprecherin: "Der Widerstand wird nicht verstummen, bis alles dafür getan wird, dass Abtreibungen undenkbar werden."

Neben der personellen Vernetzung in die Szene gibt es auch organisatorische Überschneidungen. So teilt sich #Fairändern die Büroanschrift mit "Marsch fürs Leben" und "Vision 2000", einem "Verein zur Neuevangelisierung", der ein eigenes Magazin herausgibt. In der Ausgabe vom Mai 2018 wirbt Plonner für ihre "Initiative für die Ungeborenen". Im selben Heft erschien ein Text von dem für seine radikalen Positionen bekannten Weihbischof Andreas Laun mit dem Titel "Nein zur Verhütung heißt Ja zur Liebe". In einer anderen Nummer wird als erfolgreichste Methode gegen die Verbreitung von HIV "Keuschheit" empfohlen.

Bei Feministinnen läuten die Alarmglocken

#Fairändern gibt sich gemäßigter und betont, dass die Vereine die Bewegung zwar unterstützen, aber eine andere Ausrichtung hätten. Bei Frauenrechtlerinnen läuten dennoch die Alarmglocken. Sie befürchten, dass der Vorstoß ein erster Schritt ist, wie die Fristenlösung nach und nach aufgeweicht und zerpflückt werden soll. Innerhalb weniger Tage bildete sich ein Bündnis gegen die Initiative. SPÖ, Jetzt und Grüne haben sich in alter Tradition der feministischen Bewegung parteiübergreifend zusammengetan, auch die Initiatorinnen des Frauenvolksbegehrens und der Frauenring sind mit an Bord.

Mit Sorge beobachten sie die Vorgänge und sehen die hiesigen Abtreibungsgegner auf den Spuren der Warschauer Regierung wandeln. In Polen wird fortwährend über Verschärfungen des ohnehin strengen Abtreibungsgesetzes gestritten, massenhafter Protest inklusive. "Wir wehren uns dagegen, dass die reproduktiven Rechte von Frauen beschnitten werden", sagt Lena Jäger vom Frauenvolksbegehren.

Das Bündnis "Keinen Millimeter" rüstet sich für Proteste. V.l.n.r.: Klaudia Frieben (Frauenring), Maria Stern (Liste Jetzt), Andrea Brunner (SPÖ Frauen), Ewa Dziedzic (Grüne Frauen), Lena Jäger (Frauenvolksbegehren), Christian Fiala (Mediziner Gynmed)
Foto: SPÖ/Peschat

Gerstbach von Aktion Leben verfolgt die öffentliche Debatte "mit Anstrengung", wie sie sagt. "Es gibt eine Seite, die nur die Perspektive der Frauen sieht. Und es gibt eine Seite, die nur die Perspektive der Kinder sieht. Mit beiden Positionen wird man den Frauen nicht gerecht. Sie spüren und wissen, dass es beide Aspekte gibt." In der Beratung suchten Betroffene in erster Linie Halt und Unterstützung. "Wir sollten mehr darüber diskutieren, wie man die Rahmenbedingungen für junge Familien verbessern kann", findet Gerstbach.

Entscheidungen von Fall zu Fall

Auch Feministin Jäger plädiert für mehr Ursachenforschung: "Man sollte darüber nachdenken, warum eine Frau ein beeinträchtigtes Kind nicht auf die Welt bringen möchte", sagt sie.

Allein kann eine Frau diese Entscheidung schon jetzt nicht treffen. Ist die dreimonatige Frist überschritten, muss für einen Abbruch eine medizinische Indikation vorliegen – und darüber urteilt ein Arzt. Einen fixen Kriterienkatalog, nach dem vorgegangen wird, gibt es nicht. Entschieden wird von Fall zu Fall.

Wolfgang Arzt ist Vorstand des Instituts für Pränatalmedizin am Kepler-Universitätsklinikum in Linz. Dort werden Abbrüche nach der Dreimonatsfrist durchgeführt. Bei drei bis fünf Prozent der Untersuchungen mit Pränataldiagnostik werde eine Fehlbildung festgestellt. Sei diese schwerwiegend, könne sich die Frau die Frage stellen, ob sie das Kind bekommen möchte.

Diagnose Trisomie 21

Ein umstrittener Grund für späte Abbrüche ist die Diagnose Trisomie 21 – jene Genmutation, die landläufig als Downsyndrom bekannt ist. Behindertenverbände verweisen auf den Wert des Lebens Betroffener und Studien, die besagen, dass Eltern von Kindern mit Downsyndrom im Durchschnitt genauso glücklich sind wie Eltern von sogenannten normalen Kindern. Die Schwangeren befinden sich, wenn sie den Befund für ihr Baby erhalten, meist in der 11. bis 14. Woche. Rund 95 Prozent der Frauen entscheiden sich in dem Fall für eine Abtreibung, sagt Arzt.

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Zehntausende Menschen protestierten in Polen unter dem Hashtag #Czarny gegen die Verschärfung der ohnehin strikten Abtreibungsregelungen.
Foto: Reuters

Man muss dazu sagen: Es gibt keine offiziellen Zahlen zu Schwangerschaftsabbrüchen in Österreich. Abtreibungen sind weder meldepflichtig noch werden die Kosten von der Krankenkasse übernommen – wodurch sie auch statistisch erfasst würden. Schätzungen gehen insgesamt von 30.000 bis 35.000 Abbrüchen pro Jahr aus. Der Anteil an Spätabbrüchen dürfte gering sein, genau weiß man es nicht. Auch das Gesundheitsministerium kann auf STANDARD-Nachfrage keine Angaben machen.

Unterscheiden muss man aber jedenfalls zwischen den verschiedenen Stadien, in denen Abbrüche durchgeführt werden, sagt der Pränatalmediziner Arzt. Von einem Spätabbruch sei fachlich präzise erst dann die Rede, wenn der Fötus die Lebensfähigkeit erreicht hat – also ab der 22. Woche. Dann würde das Kind bei Einleitung der Geburt wahrscheinlich lebend auf die Welt kommen. Ein Spätabbruch inkludiert daher meist einen Fetozid – die Tötung des Fötus im Mutterleib. Bevor es dazu kommt, tritt eine Kommission zusammen, die dem Eingriff einstimmig zustimmen muss.

Höllische Schmerzen

Ein Grund wäre etwa eine schwere Gehirnfehlbildung oder Knochenbildungsstörungen, die höllische Schmerzen zur Folge hätten. Von insgesamt 50 bis 70 Abbrüchen nach der Dreimonatsfrist, die an der Klinik in Linz pro Jahr durchgeführt werden, sind zwei bis fünf Spätabbrüche, sagt Arzt.

Sonja Wehsely, Sandra Frauenberger, Johanna Dohnal, Gabriele Heinisch-Hosek und Renate Brauner bei einem Protest gegen Einschränkungen der Möglichkeiten zum Schwangerschaftsabbruch 2009.
Foto: Urban

Die Initiative #Fairändern tritt im Fall, dass ein Kind nicht lebensfähig ist, für eine "palliative Geburt" ein, durch die es "bestmöglich und schmerzfrei sterben kann", wird auf Anfrage erklärt. Darüber hinaus dürfe "die Tötung" von Kindern in einer "zivilisierten, humanen Gesellschaft" keine Antwort auf lebensbedrohliche Krankheit und Behinderung sein, heißt es. Der Bewegung gehe es um die Streichung des Paragrafen im Strafgesetzbuch, in dem geregelt ist, dass ein Schwangerschaftsabbruch straffrei ist, wenn "das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde". Liegt eine Gefährdung der körperlichen oder geistigen Gesundheit der Frau vor, sollen Abtreibungen erlaubt bleiben.

Forderung nach statistischer Erfassung

Kronthaler, Chefin von Aktion Leben, kann der Initiative etwas abgewinnen, betont aber, dass ihr Verein darin nicht involviert ist. Ihr seien vor allem die statistische Erfassung von Abtreibungen sowie eine umfassende Motiverforschung in dem Bereich ein Anliegen. Das würde dann auch zu einer Versachlichung der Debatte führen, ist sie überzeugt.

Im Warteraum der Beratungsstelle stehen inzwischen mehrere Frauen, die Termine vereinbart haben. Von einer verpflichtenden Beratung vor Abtreibungen hält die Sozialarbeiterin Gerstbach nichts. Frauen sollten aber wissen, dass sie kostenlos Unterstützung bekommen, wenn sie das wollen – auch dann, wenn eine Abtreibung schon länger zurückliege, sagt Gerstbach.

Herausforderung Kind

Ihre Kollegin Johanna Jagoditsch rät auch dazu, den Entscheidungsprozess rund um eine Abtreibung für sich selbst zu dokumentieren. "Manche Frauen haben Jahre später das Gefühl, sie hätten es vielleicht doch geschafft. Dann kann man nachlesen, warum der Entschluss in dem Moment damals so getroffen wurde." Denn fest stehe: "Ein Leben mit Kind bedeutet, viel Verantwortung zu übernehmen. Es gibt Situationen, in denen ist sie leichter zu tragen, in anderen viel schwerer." (Katharina Mittelstaedt, Vanessa Gaigg, Fabian Schmid, 24.2.2019)