Weshalb verhält sich die Dunkle Materie in Zwerggalaxien und Galaxienhaufen unterschiedlich? Resonanz könnte die Antwort sein.

Illustration: ÖAW/Harald Ritsch

Hamburg – Seit Jahrzehnten ist sie eines der zentralen Rätsel der Astrophysik: die sogenannte Dunkle Materie, von der es im Universum bedeutend mehr geben soll als von der herkömmlichen, sichtbaren Materie, die mit dieser aber nur über Gravitation interagiert. Ihre Gravitationskraft soll eine zentrale Bedeutung für die Bildung von Sternen und Galaxien haben – und damit letztlich auch für unsere Existenz. Allen Nachweisversuchen hat sie sich bisher aber entzogen.

Doch nicht nur das eigentliche Wesen der Dunklen Materie ist ein Rätsel – sie scheint auch einige Eigenschaften zu haben, die weitere Fragen aufwerfen. Eine davon betrifft ihre ungleichmäßige Verteilung – und dafür könnte man nun eine Erklärung gefunden haben, wie Wissenschafter des Deutschen Elektronen-Synchrotrons (DESY) und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften berichten.

Das Problem

Astronomen haben herausgefunden, dass die Dunkle Materie nicht so sehr zu verklumpen scheint, wie es bisherige Computersimulationen vermuten lassen. Wenn die einzige Kraft, durch die die Dunkle Materie interagiert, die Schwerkraft ist, dann müsste die Dichte der Dunklen Materie im Zentrum von Galaxien sehr hoch werden. Allerdings scheint die Dunkle Materie gerade in den Zentren kleiner, schwacher Galaxien, sogenannten Zwergsphäroiden, nicht so dicht zu werden wie erwartet.

Dieses Verhalten könnte erklärt werden, wenn die Dunkle Materie in der Lage ist, mit sich selbst zu interagieren. Wie auch immer geartete Einheiten aus Dunkler Materie würden demgemäß wie Billardkugeln miteinander kollidieren, sodass sie sich nach einer Kollision gleichmäßiger verteilen können. Ein Problem dieser Idee ist allerdings, dass sich die Dunkle Materie in größeren Systemen wie Galaxienhaufen doch zu verdichten scheint, nur in kleinen Systemen nicht. Die Frage ist: Weshalb verhält sich die Dunkle Materie in Zwerggalaxien und Galaxienhaufen unterschiedlich?

Faktor Resonanz

Resonanz könnte die Antwort auf die Frage sein, berichtet ein internationales Wissenschafterteam im Fachjournal "Physical Review Letters". Der chinesische Physiker Xiaoyong Chu von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erklärt: "Wenn Teilchen der Dunklen Materie nur mit einer niedrigen, aber sehr speziellen Geschwindigkeit aneinander streuen, kann dies oft in Zwergsphäroiden vorkommen, wo die Teilchen sich langsam bewegen, aber selten in Galaxienhaufen, wo sie sich schnell bewegen. Sie müssen eine Resonanz treffen, damit es zur Kollision kommt."

Das Team war jedoch nicht von Beginn an davon überzeugt, dass eine so einfache Theorie bisherige Messdaten richtig beschreiben würde. "Zuerst waren wir etwas skeptisch, ob diese Idee die Daten aus Beobachtungen erklären würde. Aber als wir es ausprobiert haben, hat es fantastisch funktioniert", sagt der kolumbianische Forscher Camilo Garcia Cely vom DESY.

Damit ihre Beschreibung funktioniert, muss die Resonanz sehr nah an der zweifachen Masse eines Dunkle-Materie-Teilchens liegen. Die Forscher glauben, dass es kein Zufall ist, dass die Dunkle Materie genau die richtige Resonanzenergie für die Kollisionen trifft. "Es gibt viele andere Systeme in der Natur, die ähnliche Zufälle aufweisen: Bei der Kohlenstoffproduktion in Sternen zum Beispiel treffen Alpha-Teilchen auf eine Resonanz von Beryllium, die wiederum auf eine Resonanz von Kohlenstoff trifft und so die Bausteine produziert, die alles Leben auf der Erde hervorgebracht haben", sagt Garcia Cely.

"Bei der Geburt getrennt"

"Dieses Verhalten der Dunklen Materie kann auch ein Hinweis darauf sein, dass unsere Welt mehr Dimensionen hat, als wir sehen. Wenn sich ein Teilchen in solchen Extra-Dimensionen bewegt, hat es eine gewisse Bewegungsenergie. Wir, die wir die zusätzlichen Dimensionen nicht sehen, beobachten die Energie als Masse, dank Einsteins Formel E=mc2 – Energie und Masse sind äquivalent. Vielleicht bewegt sich ein Teilchen in der zusätzlichen Dimension doppelt so schnell, sodass seine Masse genau doppelt so groß ist wie die Masse der Dunklen Materie", sagt Chu.

Im nächsten Schritt will das Forscherteam die Theorie mit Beobachtungsdaten untermauern. Eine detailliertere Beobachtung verschiedener Galaxien könne zeigen, dass die Streuung der Dunklen Materie tatsächlich von ihrer Geschwindigkeit abhängt. Hitoshi Murayama von der University of California Berkeley beschreibt den Antrieb für die Suche nach der geheimnisvollen physikalischen Größe so: "Die Dunkle Materie ist in gewisser Weise unsere Mutter, die uns alle zur Welt gebracht hat. Aber wir haben sie nie kennengelernt; irgendwie wurden wir bei der Geburt getrennt. Wer ist sie? Das ist die Frage, der wir nachgehen." (red, 27. 2. 2019)