Ein Polizeiauto vor dem Mannschaftshotel der ÖSV-Skispringer und -Langläufer in Seefeld.

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Wilhelm Lilge: "Das ist lächerlich, die Leute werden für blöd verkauft. Es ist undenkbar, dass Trainer, die immer dabei waren, nichts mitbekommen haben."

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"Ich bin sauber, ich mache das sauber, und ich möchte meine Leistungen einfach bringen, aber mich nicht zu viel mit dem Thema auseinandersetzen", sagte der in Seefeld festgenommene Max Hauke bei Olympia 2018.

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Seefeld – Der österreichische Antidopingexperte Wilhelm Lilge hält es für unglaubwürdig, dass das enge Betreuungsumfeld von Eigenblutdoping betreibenden Athleten nichts von den Manipulationen mitbekommt. Die Leistungssprünge durch Blutdoping seien innerhalb kürzester Zeit einfach zu groß, als dass das den Trainern nicht auffallen würde.

"Das ist lächerlich, die Leute werden für blöd verkauft. Es ist undenkbar, dass Trainer, die immer dabei waren, nichts mitbekommen haben. Das betreuende Umfeld muss hier etwas mitbekommen haben", sagt Lilge über die mutmaßlichen Blutdopingvergehen der ÖSV-Langläufer Dominik Baldauf und Max Hauke.

Zur Veranschaulichung führt er eine Passage aus einem vorliegendes Gerichtsurteil gegen einen Trainer an: "Wenn ein Trainer im Spitzensport, der nah am Mann arbeitet, nicht mitbekommt, dass ein Athlet dopt mit Blutmanipulation, dann ist er entweder ein schlechter Trainer oder ein Lügner."

Signifikante Leistungssteigerung

Die abrupte Leistungssteigerung durch Eigenblutdoping sei so signifikant, dass Betreuer das registrieren müssten. "Man hat innerhalb von Stunden einen Leistungssprung, der weit über dem liegt, was man mit Training in kurzer Zeit erreichen kann. Das muss auffallen", sagt der seit vielen Jahren als Trainer von Spitzenleichtathleten arbeitende Wiener.

Mit Blutdoping alleine könne man zwar aus einem Ackergaul kein Rennpferd machen, wenige Prozent Leistungssteigerung würden auf dem hohen Niveau des Spitzensports aber oft viel ausmachen. "Die letzten paar Prozent, die bedeuten in der Weltspitze einen Riesenunterschied", so Lilge. Dieser Unterschied entscheide zwischen Mitläufertum und Medaillengewinn.

Unwissenheit des nahen Betreuerumfeldes sei bei Eigenblutdoping jedenfalls völlig abwegig. "Das ist absolut auszuschließen." Im Bezug auf den "Vorzeigeverband" ÖSV stelle er sich die Frage, ob in diesem nach den Skandalen 2006 und 2014 die Strukturen und Personalien einen großen Ehrgeiz gehabt hätten, Doping auszumerzen. Die Antwort müsse angesichts der aktuellen Entwicklung wohl Nein lauten.

Hauke 2018: "Ich bin sauber"

ÖSV-Langläufer Max Hauke, der mit Kollege Dominik Baldauf am Mittwoch im Zuge einer Antidopingrazzia gegen ein international agierendes Netzwerk festgenommen wurde, bekräftigte noch vor einem Jahr bei Olympia in Pyeongchang, wo er 27. im Skiathlon war, keine illegalen Methoden anzuwenden: "Ich bin sauber, ich mache das sauber, und ich möchte meine Leistungen einfach bringen, aber mich nicht zu viel mit dem Thema auseinandersetzen." Für ihn sei es vor einem Jahr darum gegangen, den nächsten Schritt zu machen. "Jetzt war ich zwischen 20 und 30, nun muss ich schauen, mich langsam weiter nach vorne zu arbeiten", sagte der in Ramsau lebende Athlet Ende Jänner 2018.

Hauke hatte als Trainingspartner von Johannes Dürr den Dopingskandal um seinen Landsmann bei den Winterspielen in Sotschi 2014 hautnah miterlebt. "Im Lauf der Zeit konnte ich das so verarbeiten, dass ich gesagt habe, es ist passiert, aber das war nicht ich. Klar, das Damoklesschwert schwebt immer über dem Langlauf, so wie das jetzt mit den Russen ist, ist das immer Thema. Aber im Endeffekt gilt für mich, ich mache Langlauf, weil es das Schönste auf der Welt ist."

Er wolle sich daher mit dem Dopingthema gar nicht mehr so stark auseinandersetzen, erklärte Hauke. "Weil sonst ist man im Endeffekt irgendwie immer bedrückt. Das dauernde Hinterfragen, sind das natürliche Leistungen oder wird da nachgeholfen, das zermürbt auf Dauer." Er könne sich als Athlet nicht immer fragen, was da laufe. "Ich weiß ja nichts. Ich höre das auch nur über die Medien. Aber das Ende von Sotschi war schon nicht ohne. Da fällt man schon aus allen Wolken, es war nachher nicht einfach, damit umzugehen", sagte der Stams-Maturant damals.

Dürr: "Thema wird totgeschwiegen"

Den Stein ins Rollen brachte Dürr, der mit seinen Angaben gegenüber der Staatsanwaltschaft dazu beitrug, dass ein internationales Blutdopingnetzwerk aufgeflogen ist. Seine öffentlichen Aussagen über das Dopingsystem im Spitzensport in Interviews und einer TV-Dokumentation sollten eine breite Diskussion anstoßen, weil das Thema derzeit "totgeschwiegen wird", sagte der 2014 des Dopings überführte Dürr in einer ARD-Dokumentation im Jänner.

Den Vorwurf, dass er sich durch seine Auftritte als Opfer zelebriert, wies er zurück. "Ich bin ganz klar Täter natürlich, ich bin in einem System genauso zum Täter geworden, das leider einfach sehr, sehr viele Täter generiert, weil einfach niemand darüber redet, weil man es totschweigt", sagte der Niederösterreicher nach Beginn der nordischen WM in Seefeld und noch vor den Dopingrazzien am Mittwoch.

Der ehemalige Weltklasselangläufer hatte im Jänner die Hintermänner nicht genannt, diese aber später den bereits seit Monaten ermittelnden Behörden mitgeteilt. Es gehe nicht um vereinzelte Täter, sondern um die Gefahren des Systems aus verschiedensten Interessen von Sponsoren, Verbänden und Sportlern. "Diese unterschiedlichen Interessenstrukturen schaffen ein System, in dem sehr, sehr viele davon profitieren und eigentlich wenige daran ein Interesse haben, über Doping tatsächlich offen zu sprechen."

Durch eine möglichst breite Diskussion könne man Lösungen finden. Die Dopinggefahr sei ein Thema, das im Bewusstsein der jungen Sportler, der Menschen präsent sein müsse, damit man sich Präventionsmöglichkeiten überlegen könne. "Ich fände es unverantwortlich, wenn ich beim Schweigen mitgemacht hätte." Eltern, die ihre Kinder in den Leistungssport bringen, sollten wissen, in welche Gefahren man sich begeben könne. (APA, red, 28.2.2019)