Kaja Kallas kann wohl bald regieren.

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Den Esten steht ein Regierungswechsel bevor: Aus der Parlamentswahl am Sonntag ist die liberale Reformpartei als stärkste Kraft hervorgegangen. Insgesamt holte die Partei unter ihrer neuen Vorsitzenden Kaja Kallas – Tochter des früheren estnischen Ministerpräsidenten und EU-Verkehrskommissars Siim Kallas – 28,8 Prozent der Stimmen und 34 der 101 Sitze in der Staatsversammlung Riigikogu. Das sind vier Sitze mehr als noch vor vier Jahren. Kallas erklärte sich bereit, Koalitionsverhandlungen zu beginnen.

Die bisherigen Regierungsparteien mussten allesamt Verluste hinnehmen. Die linksliberale Zentrumspartei bekam 26 Sitze, und damit einen weniger als zuvor, die konservative Vaterlandspartei "Issaama" verlor zwei Sitze und stellt nun nur noch zwölf Abgeordnete. Noch stärker stürzten die Sozialdemokraten ab, die im Parlament künftig nur noch mit zehn statt 15 Abgeordneten vertreten sein werden. Zusammen kommt diese Koalition also nicht mehr auf eine Mehrheit.

Rechtspopulisten gewinnen dazu

Größter Gewinner hingegen ist die rechtspopulistische Estnische Konservative Volkspartei (EKRE), die 19 Mandate (plus zwölf) gewinnen konnte – in erster Linie mit Parolen gegen Migranten, Kritik an der EU, aber auch am Nachbarn Russland. Die EKRE ist mit ihren revanchistischen Forderungen nach der Rückgabe der heute russischen Stadt Petschory (estnisch Petseri) allerdings in Tallinn nicht koalitionsfähig. Als einzige Partei im Parlament lehnt sie auch die Ratifizierung eines Grenzvertrags mit Russland ab.

Unklar ist, mit wem die Reformpartei koalieren will. Kallas nannte zunächst Sozialdemokraten und Vaterlandspartei als mögliche Juniorpartner. Theoretisch ist auch ein Zusammengehen mit der Zentrumspartei möglich, doch gibt es Streit um den Umgang mit der russischsprachigen Minderheit im Land. Diese Minderheit – immerhin ein Viertel der Bevölkerung – wählt zu 80 Prozent die Zentrumspartei.

Gegensätze gibt es bei der Bildungs-, Sprach- und Einbürgerungspolitik: Will die Zentrumspartei russischsprachige Schulen und Kindergärten erhalten, fordert die Reformpartei eine estnischsprachige Bildung vom Kindergarten an. Kallas wirft der Zentrumspartei vor, das duale Schulsystem zu unterhalten, um "die Trennung der beiden Gemeinschaften aufrechtzuerhalten."

Pässe für Nichtbürger

Immerhin sprechen sich alle Parteien für eine bessere Integration der russischen Minderheit aus. So soll die Ausgabe der grauen Pässe für sogenannte Nichtbürger (immerhin noch 76.000) eingestellt und die Ausgabe estnischer Pässe auch an die russischsprachige Minderheit erleichtert werden. Bei den Details gehen die Vorstellungen der einzelnen Parteien jedoch noch weit auseinander, sodass sich die Koalitionsverhandlungen hinziehen können. (André Ballin, 4.3.2019)