"Liebesg'schichten und Heiratssachen"-Macherin Toni Spira ist tot – das wurde am Samstag bekannt.

Foto: APA / Herbert Neubauer

Nachtragend war Elizabeth T. Spira nicht. Jahrelang hatte DER STANDARD ihre Alltagsgeschichten kritisch begleitet, ehe es zum ersten Interview mit der Fernsehreporterin kam. Beim Händeschütteln im Schutzhaus auf der Schmelz, wo sie immer ihre Pressetreffen abhielt, grinste sie spöttisch und sagte: "DER STANDARD? Ich wunder' mich: Ihr lassts euch in meine Niederungen herab?"

Das Gespräch verlief anregend. Elizabeth T. Spira war nicht nur nicht nachtragend, sondern auch nicht empfindlich. Und so kamen wir wieder und immer wieder. Ein einziges Mal wäre es dann zwar doch zum Abbruch eines Interviews gekommen. Die Geschichten von den manipulierten und vorgeführten Menschen in den Alltagsgeschichten – nicht schon wieder! Spira war grantig und gelangweilt, aber im Jahr darauf war schon wieder alles vergeben und vergessen. Spira teilte aus, konnte aber auch einstecken – und sich dabei nichts anmerken lassen.

Außenseiter in den "Alltagsgeschichten"

Das lernt man als Journalistin, noch dazu als eine, die es sich auf die Kunst versteht, der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten. In den Alltagsgeschichten tat sie es, sehr zum Gaudium eines Millionenpublikums, das immer die anderen und nie sich selbst in den abgebildeten Außenseitern sehen konnte.

Mit der Art, wie sie das tat, eckte sie natürlich an. Kritiker – eben auch jene im STANDARD – sahen ein Vorführen von sozial unterprivilegierten Menschen und warfen ihr vor, die bisweilen trashige Szenerie zusätzlich noch anzustubsen. Dergleichen Vorwürfe muten heute, in der Post-Big-Brother-Ära, fast schon rührend moralinsauer an. Damals hatte es Gewicht.

Immer sangen sie Ständchen

Es gefiel halt nicht jedem, wenn Spira, egal wo sie war, ob im besagten Gemeindebau, oder in der Markthalle, im Waschsalon, an der Raststätte, im Schrebergarten, am Stammtisch, beim Heurigen, am Würstelstand, im Park, in der U-Bahn, auf der Donauinsel und etlichen Brennpunkten auf am Leben verzweifelte Menschen traf, denen Leberwerte und Cholesterinspiegel ziemlich powidl waren. Sie lachten, weinten, schimpften, der Gspritzte und das Krügerl hatten Saison, und fast immer sangen die Protagonisten ein Ständchen. Die Stimmbänder vibrierten, die Schwimmreifen um die Körpermitte zitterten, Spira hielt die Kamera drauf, frei nach dem Motto: "Na, blöd werd' ich sein."

Ihr journalistisches Gespür schulte die Toni, die ihren zweiten Vornamen nach dem Decknamen ihres Vaters im antifaschistischen Widerstand und den ersten nach der britischen Queen bekommen hatte, schon früh. Die jüdischen Eltern emigrierten nach Glasgow, wo sie 1942 zur Welt kam. 1946 kehrten sie zurück, die kleine Elizabeth wuchs in Wien auf. Als Studentin der Publizistik war Spira bei diversen Tageszeitungen und Zeitschriften tätig, 1972 landete sie beim Profil.

Mit den Menschen plaudern

"Irgendwo mit der Kamera hinkommen und mit den Menschen plaudern" – das war, was sie wollte. Bei Claus Gatterers Magazin Teleobjektiv im ORF tat sie es. Ein kurzes Gastspiel gab sie dem Inlandsreport, der ihre Sache nicht war: "Politische oder wirtschaftliche Skandale waren nie meins." Mit dem Historiker Michael Mitterauer entwickelte sie 1985 die Alltagsgeschichten. 60 Folgen entstanden daraus und gelten heute als historische Dokumente der österreichischen Gesellschaft. Die man sich übrigens immer noch ansehen kann und Bezüge zur Gegenwart entdecken wird. Die österreichische Seele, sie hat sich gar nicht so sehr verändert.

Die Alltagsgeschichten endeten am 2. März 2005 an der Bundesstraße 54. Ihr Gespür für die "guade G'schicht" hatte sie da schon weiter getragen – zu den einsamen Herzen in Liebesg’schichten und Heiratssachen. Mit ihnen half sie dem ORF ab 1997 jedes Jahr im Sommer über das Quotenloch hinweg. Mit Schlagermusik und Kitschengel untermalt ging sie in die Wohnzimmer der sehnsüchtigen Herzen und brachte neben Stickdeckerl und Seidenblumenarrangement noch mehr Skurriles zutage. Es ging um Menschenporträts, um Wohnkultur, um Liebe, Freude, Leidenschaft – das pure Leben eben.

Eine aufrechte und politisch bewusste Journalistin

Zur Pensionistin eigne sie sich nicht, sagte Spira. Die Liebesgschichten und Heiratssachen machte sie seit Jahren, wie sie stets endgültig sagte, zum letzten Mal. Jetzt aber wirklich. Wenige Wochen später ließ sie wissen, na gut, einmal noch. Aber dann ist wirklich Schluss. So geschehen auch bei der kommenden Staffel, für die sie bis zuletzt arbeitete.

Elizabeth T. Spira war eine aufrechte und politisch bewusste Journalistin mit einem hohen Interesse an der Volksmeinung. Die Stimmen gingen ihr ins Ohr, ihre Stimme ging uns ins Ohr, und sie hielt sich kein Blatt vor den Mund. Sie bezeichnete sich als "Linke". Ihre Abneigung gegen die türkis-blaue Regierung verheimlichte sie nicht. Den Kanzler hielt sie für einen "Blender", in Attacken der FPÖ auf den ORF sah sie eine neue Dimension. Sie hasste die Gescheitmeier unter Politikern und Journalisten. Jene Beleidsbekundungen, die am Tag des Bekanntwerden ihres Todes von Amtsträgern des Staates dargebracht wurden, hätte sie mit hoher Wahrscheinlichkeit mit spöttischen Grinsen beantwortet. Wie damals beim ersten STANDARD-Interview.

Elizabeth T. Spira ist in der Nacht auf Samstag im Alter von 76 Jahren verstorben. (Doris Priesching, 10.3.2019)