Außenministerin Karin Kneissl besucht am Montag Moskau. Anlass ist die Aufnahme des "Sotschi-Dialogs". Auch ein Treffen mit ihrem Amtskollegen Sergej Lawrow steht auf dem Programm.

FOTO: APA/ROLAND SCHLAGER

Der eindrucksvolle Gestalter des Wiener Kongresses nach den Napoleonischen Kriegen, Klemens Wenzel Lothar von Metternich, taucht öfter auch in der österreichischen Beurteilung über Außenpolitik auf. Er hat in der Tat ein System der Kongressdiplomatie geschaffen, die heute noch nachwirkt und nicht zuletzt auch von außenpolitischen Experten bewundert wird. Kritisch muss man anmerken, dass wir nicht nur in der europäischen, sondern auch internationalen Diskussion von solch klugen Bezügen, wie der Verfolgung einer Strategie, heute sehr weit entfernt sind.

Österreich nutzt gegenwärtig die Chance, durch die besondere internationale Präsenz des Bundeskanzlers auf unsere und seine Rolle hinzuweisen, aber offen gestanden ist darin eigentlich keine Konzeption für die Zukunft Österreichs betreffend Europa und der Welt erkennbar. Wahrscheinlich darf man auch nicht anspruchsvoll sein, denn wir sind seit Metternich zu einem kleinen Land geworden, das vor allem darauf zu achten hat, in Europa mitzureden und mit den Nachbarn beste Beziehungen zu haben. Die Außenministerin wäre hier in der Pflicht, eine Strategie für Österreichs außenpolitische Interessen zu formulieren.

Mehr Zeit bei Nachbarn

Unseres Erachtens sind wir hier zu sehr allein von wirtschaftlichen Interessen bestimmt. Diese sind gut und notwendig, aber auch nicht in jener Intensität genutzt, die wir uns wünschen würden. Es wäre wohl gut, wenn alle außenpolitisch Engagierten in Österreich mehr Zeit bei unseren Nachbarn verbringen. Ungarn hat zehn Millionen Einwohner, Tschechien auch zehn, Kroatien vier, Slowakei fünf, Slowenien zwei und Österreich acht bis neun Millionen. Dieser mitteleuropäische Raum umfasst circa vierzig Millionen Menschen und ist fast so groß wie die ehemalige Monarchie. Gerade unser Interesse müsste sein, dass diese Länder mit einer Stimme in vielen außenpolitischen und europapolitischen Fragen sprechen, statt das zu tun, was uns Deutschland vorschlägt.

Wir treten stark dafür ein, dass Deutschlands und Frankreichs Dominanz in Europa durch eine Kooperation dieser Länder ausbalanciert werden sollte, um die Interessen der Kleineren zu berücksichtigen und gleichzeitig die innere Situation der EU auszubalancieren. Hier wäre es auch notwendig, dass wir nicht in den stark vorhandenen Fehler verfallen, die EU mit Europa gleichzusetzen. Gerade in Richtung übriges Europa, nicht nur Russland, sondern Ukraine, Moldawien, Weißrussland et cetera gäbe es noch viel zu tun. Bosnien ist der nächste Druckkessel, von dem es eine Frage der Zeit ist, bis dieser – in welcher Form auch immer – hochgeht. Die politischen Grabenkämpfe lassen Schlimmes erahnen. Bis zu diesem Zeitpunkt haben die Europäer das Heft des Handelns in der Hand, um diesen zu entschärfen, mit welchen Methoden auch immer. Vorbild hierfür könnte Jean Monnets Konzept sein, eine ökonomische Strategie zu verfolgen und so den Druck rauszunehmen.

Deutsch-französisiche Dominanz brechen

Außer Frage: Frankreich und Deutschland haben die europäische Einigung vorangetrieben, aber die gegenwärtige Situation beider Länder lässt die Vermutung zu, dass sie ihre dominante Rolle in Europa nicht beibehalten können und auch nicht unbedingt überzeugend auf die übrigen Europäer wirken. Auch der Stärke Deutschlands ist es nicht gelungen, eine gewisse globale Position europäischer Technikunternehmen zu erreichen. Noch immer ist Silicon Valley bedeutender als alles, was sich hier in Europa abspielt. Das aber wäre dringend notwendig, denn sonst sind wir keine Spieler auf dem Feld, was den zukünftigen Kampf der Daten betrifft. Hier eröffnet sich ein weites Feld von Aktivitäten, wobei wir darauf aufpassen sollten, nicht nur anekdotisch (Putins Hochzeit et cetera) vorzukommen.

China will in Europa mit ihrem Hersteller Huawei das 5G-Netz ausrollen – und wir nehmen es achselzuckend hin. Die Chinesen investieren in den Ausbau der Bahnstrecken zwischen Piräus und Budapest – warum machen das nicht die Europäer? Es gibt auch keine Antwort zur chinesischen Strategie, die aus der Erinnerung an die Seidenstraße entstanden ist. Wir haben zu all diesen Dingen keine Antwort, weil wir untereinander zu gespalten sind und uns nicht bemühen, mehr Zusammenarbeit zu forcieren. Es gab dabei sehr bemühte Kommissare der Regionalpolitik, zum Beispiel Johannes Hahn, aber eindrucksvolle Ergebnisse sind bisher noch nicht gelungen.

Keine Think-, sondern Do-Tanks

Gegenwärtig gehen durch alle Medien die Erinnerungen an den Fall des Eisernen Vorhangs und die damit verbundene Wiedergewinnung von Europa. Inzwischen müssen wir allerdings die Frage beantworten, ob diese Chance, unseren Kontinent wieder gestalten zu können, genutzt wurde? Mit Schmerzen muss man sagen: nein. Viele haben versucht, auf die entscheidende Rolle Mitteleuropas zu verweisen, waren in Richtung der Stabilisierung des Balkan bemüht und haben auf die notwendige Brücke zum östlichen Mittelmeer und zum Nahen Osten verwiesen. Heute bringt uns der Hinweis von Donald Trump, dass wir für jene Europäer verantwortlich sind, die in Syrien für Jihadisten tätig waren, schon in Verlegenheit. Haben wir völlig vergessen, dass wir einmal einen bedeutenden Menschenrechtsgerichtshof in Den Haag errichtet haben?

Auf die Dauer ist es nicht von Erfolg begleitet, wenn wir den alten Wiener Spruch verfolgen: "Ein jeder denkt an sich, nur ich denk an mich!" Da helfen auch die Analysen zu Neonationalismus, Populismus, Rechtsruck nicht. Daher eine Aufforderung an uns alle: Keine Analysen, sondern konkrete Handlungen! Wir brauchen nicht mehr Think-Tanks, sondern Do-Tanks. Keine europäische Regierung ist daran gehindert, ein solcher Do-Tank zu sein. (Erhard Busek, Muamer Bećirović, 11.3.2019)