Theresa May ging angeschlagen in die Debatte.

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Während draußen eiskalter Regen auf die Demonstranten beider Seiten niederprasselte, nahm Theresa May im Plenarsaal des Unterhauses am Dienstagnachmittag vor halbleeren Bänken einen zweiten Anlauf, die Zustimmung des Parlaments für ihr EU-Austrittspaket einzuholen. Doch die Regierungsvorlage wurde erneut abgelehnt – diesmal mit 391 zu 242 Stimmen.

ORF

Bereits Mitte Jänner hatten die Parlamentarier der konservativen Minderheitsregierung ihrer Parteifreundin May eine Niederlage historischen Ausmaßes zugefügt: Sie lehnten den im November ausgehandelten Austrittsvertrag sowie die politische Zukunftserklärung mit einer Mehrheit von 230 Stimmen ab. Am Dienstag erklärten mehrere damalige Tory-Rebellen, sie hätten ihre Meinung geändert und würden nun May unterstützen. Die Niederlage fiel jetzt deutlich geringer aus, stellt für May und ihr Team aber dennoch einen schweren Rückschlag dar.

Corbyn verlangt Neuwahlen

Diese Situation nützte Oppositionschef und Labour-Vorsitzender Jeremy Corbyn sofort für seine Zwecke: Das Votum habe deutlich gemacht, dass May mit ihrer Strategie gescheitert sei. Der Deal sei "tot". Statt auf Zeit zu spielen, solle man Großbritannien lieber in vorgezogene Neuwahlen schicken.

Vonseiten der EU zeigte man sich "enttäuscht, dass die britische Regierung es nicht geschafft hat, eine Mehrheit für das Austrittsabkommen zu erreichen, auf das sich beide Seiten im November geeinigt haben". Das gaben die Sprecher von Kommissionschef Jean-Claude Juncker und EU-Ratspräsident Donald Tusk am Abend bekannt. Die EU habe alles getan, was sie konnte, um das Abkommen durchzubringen, fügte EU-Chefverhandler Michel Barnier via Twitter hinzu. Die "No-Deal"-Vorbereitungen der EU seien nun wichtiger als jemals zuvor.

Führende EU-Parlamentsabgeordnete haben das britische Parlament aufgefordert, einen parteiübergreifenden Konsens zum Brexit zu suchen. Nur dann gebe es einen Ausweg aus der Krise, erklärte der Brexit-Beauftragte des EU-Parlaments, Guy Verhofstadt, am Dienstagabend. "Wenn dies passiert, werden wir uns voll engagieren."

Zum Abschluss ihrer achtwöchigen Versuche, die EU zu weiteren Zugeständnissen zu bewegen, war May am späten Montag noch einmal nach Straßburg gereist. Nach ihrem Gespräch mit Juncker gaben beide einen Zusatz zum Austrittspaket und zur politischen Zukunftserklärung bekannt.

Darin ging es erneut um die Auffanglösung für Irland, die die EU-Gegner in der konservativen Partei sowie bei der nordirischen Unionistenpartei DUP zu einem Problem erklärt haben. Dieser Backstop soll die innerirische Grenze offenhalten und so den Friedensprozess in Nordirland sichern, der im Karfreitagsabkommen 1998 besiegelt wurde.

Falls sich beide Seiten bis zum Ende der Übergangsperiode (bisher: Dezember 2020) nicht auf die zukünftige wirtschaftliche Zusammenarbeit geeinigt haben, würde dem Backstop zufolge Großbritannien in der Zollunion mit der EU verharren müssen. Dass dies kein Dauerzustand sein könne, haben zwar beide Seiten immer wieder beteuert; dennoch beharren die Brexit-Hardliner auf einer zeitlichen Einschränkung. Diese war auch in der neuen Vereinbarung nicht enthalten, wohl aber eine Regelung für die Anrufung eines neutralen Schiedsgerichts für den Konfliktfall.

Vorsichtige Bewertung

Der britische Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox sprach in seiner rechtlichen Beurteilung am Dienstag von einem "reduzierten Risiko", dass Großbritannien auf Dauer im Backstop verharren müsse. Zwar wurde der erfahrene Jurist in sehr viel nüchternerer Atmosphäre angehört als im Jänner, doch seine vorsichtige Bewertung nutzten die Brexit-Hardliner dazu, ihre Ablehnung des Vertragspakets zu bekräftigen.

Im parlamentarischen Fahrplan ist für Mittwoch eine Debatte und eine Abstimmung über den sogenannten "No Deal" vorgesehen – also das chaotische Ausscheiden ohne Vereinbarung. Entscheidet sich das Unterhaus mehrheitlich dagegen, steht am Donnerstag das Votum über eine Verlängerung der Verhandlungsphase an. May sprach Ende Februar von einer Periode bis Ende Juni; wichtige Hinterbänkler wollen bis Ende des Jahres verlängern, in Brüssel war zeitweilig sogar von zwei Jahren bis März 2021 die Rede.

Vorkehrungen der eigenen Art treffen seit Monaten Banken und Versicherungen in der City of London. Dem Thinktank New Financial zufolge haben mehr als 275 Firmen Vermögenswerte im Gesamtwert von 1,08 Billionen Euro aus London zu EU-Finanzplätzen wie Dublin, Luxemburg, Paris oder Frankfurt verlagert. In Wirklichkeit dürfte die Zahl noch höher liegen, glaubt der Finanzexperte William Wright: "Wir haben ausschließlich öffentliche Bekanntmachungen berücksichtigt. Unter dem Radar passiert sicher mehr."(Sebastian Borger aus London, 12.3.2019)