Nach dem Terroranschlag in Christchurch wurde die neuseeländische Flagge beim Parlamentsgebäude in Wellington auf halbmast gesetzt.

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Rund 300 Menschen hatten eben mit dem Freitagsgebet begonnen, als in der Masjid-al-Noor-Moschee in Christchurch die ersten Schüsse fielen. Ein mit einem Schnellfeuergewehr ausgerüsteter Mann in schusssicherer Weste, Helm und einer Art Uniform tötete 41 Menschen, darunter auch Kinder. Kurze Zeit danach kam die Meldung, in der fünf Kilometer entfernten Moschee im Stadtteil Linwood seien ebenfalls Schüsse gefallen. Dort starben acht Menschen. Viele der Verletzten schwebten auch am Abend noch in Lebensgefahr, so das Krankenhaus in Christchurch.

Farid Ahmed beschrieb dem neuseeländischen Fernsehen die Szene in der ersten Moschee: "Es war sehr friedlich und ruhig, als das Gebet begann. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können." Dann seien plötzlich Schüsse gefallen. "Ich war in einem Seitenraum", so der Mann, der auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Dann habe er Menschen rennen gesehen. "Einige hatten Blut am Körper, einige hinkten." Er fuhr im Rollstuhl zu seinem Auto. Dort habe er die Schüsse gehört, "sechs Minuten lang".

"Das ist einer der finstersten Tage Neuseelands", sagte Premierministerin Jacinda Ardern in einer ersten Reaktion und sprach bald von einem "Terroranschlag". "Unsere Waffengesetze werden sich ändern", versprach sie.

Schusswaffen waren legal

Der Tatverdächtige habe im November 2017 einen Waffenschein erworben. Bei ihm seien fünf Schusswaffen gefunden worden, darunter zwei halbautomatische, die er legal habe erwerben können, sagte sie.

Es sei offensichtlich, dass der Angriff "gut geplant" gewesen sei. Nach kurzer Fahndung verhaftete die Polizei vier Verdächtige – drei Männer und eine Frau. Ein Fahrzeug war offenbar von Beamten gerammt und der Insasse festgenommen worden. Zwei Autos seien mit Sprengladungen versehen gewesen. Diese seien durch die Armee entschärft worden. Ein Mann wurde am Abend des Mordes angeklagt.

Rechtsextremes Manifest

Wie der australische Premierminister Scott Morrison am Abend erklärte, handelt es sich bei einem der Täter um einen 28-jährigen australischen Rechtsextremisten, der seit einiger Zeit in Neuseeland lebe. Der Mann hat im Internet offenbar nicht nur ein Video seiner Taten hinterlassen, sondern auch ein Manifest, in dem er seine politische Haltung klarmachte. Darin beschreibt er sich selbst als "normalen weißen Mann", bezeichnet Muslime als "Invasoren", die sein "eigenes Volk ethnisch ersetzen" wollen. Lobend erwähnt wird etwa US-Präsident Donald Trump sowie der norwegische Rechtsterrorist Anders Behring Breivik.

Abklärungen von Polizei, Gerichten und Geheimdiensten werden in den kommenden Wochen und Monaten zutage fördern, wie es zum folgenschwersten Massaker in der jüngeren Geschichte Neuseelands kommen konnte. Der oder die Täter waren offenbar mit Hochleistungswaffen ausgerüstet gewesen. Eine mögliche Erklärung: Neuseeländer sind begeisterte Jäger – Waffen haben einen Kultstatus. Trotzdem ist der Erwerb nicht so einfach wie etwa in den USA. "Wie war es möglich, dass ein Mann, der nur ein paar Wochen im Land war, ein solches Gewehr erwerben konnte?", fragte am Freitag der australische Terrorismusexperte Greg Barton. Neuseeland hat kein Waffenregister. In dem Land mit 4,8 Millionen Einwohnern befinden sich schätzungsweise eine Million Waffen.

Keine Hinweise auf ultrarechte Gruppen

Gegenstand der Untersuchungen wird auch sein, welche Rolle neuseeländische Nachrichtendienste und die Polizei gespielt haben. Obwohl die terroristische Bedrohungslage von Experten generell als gering eingeschätzt worden war, hätte die Vorbereitung der Attentate von den Behörden aufgedeckt werden sollen, so mehrere Kritiker in den Medien. Anscheinend gab es aber keinen Hinweis auf die Existenz ultrarechter Gruppen von substanzieller Größe.

Rund 50.000 Muslime leben in Neuseeland, etwa ein Prozent der Gesamtbevölkerung. Wie die große Mehrheit der Einwanderer sind sie gut integriert, Neuseeland gilt als vorbildliche multikulturelle Gesellschaft. In den vergangenen Jahren richtete sich die Opposition aus gewissen Kreisen der Bevölkerung jedoch gegen asiatische Einwanderer, die Immobilien kaufen und damit die Preise für Wohneigentum und Mieten dramatisch in die Höhe hätten steigen lassen, so Kritiker. Die Regierung Ardern schränkte jüngst die Möglichkeiten für Ausländer, Immobilen zu kaufen, ein.

Weltweite Trauer

Zahlreiche Weltführer kondolierten den Neuseeländern. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ über Twitter verlauten, sie "trauere mit den Neuseeländern um ihre Mitbürger, die friedlich betend in ihren Moscheen überfallen und aus rassistischem Hass ermordet wurden". Kanzler Sebastian Kurz teilte mit, er sei "schockiert und traurig". Papst Franziskus und Königin Elisabeth II., auch Staatsoberhaupt von Neuseeland, sprachen Premierministerin Ardern ihr Beileid aus.

US-Präsident Donald Trump sah nach dem Anschlag keine wachsende Gefährdung durch einen rassistisch inspirierten weißen Nationalismus. "Ich denke, das ist eine kleine Gruppe Menschen", sagte er am Freitag in Washington unter Bezug auf die Extremisten. Auf die Frage, ob weißer Nationalismus ein wachsendes Problem auf der Welt sei, antwortete er, er glaube das "wirklich nicht".

Dass es sich beim mutmaßlichen Haupttäter um einen Australier handelt, sorgte für Aufruhr in den australischen Medien und in der Bevölkerung. Ein Kritiker meinte, er habe die "gegen Einwanderer gerichtete Polemik der konservativen Regierung umgesetzt". Der ultrarechte Politiker Fraser Anning reagierte auf die Nachricht mit der Frage, ob "irgendjemand noch den Zusammenhang zwischen muslimischer Immigration und Gewalt" infrage stelle.

Er wurde sowohl von Premierminister Scott Morrison als auch anderen Politikern für die Bemerkung verurteilt. Die Grünen-Abgeordnete im australischen Parlament, Mehreen Faruqi, hingegen sagte, der Angriff sei "kein isolierter Vorfall mit mysteriösem Hintergrund. "Das ist eine Folge des islamophoben, rassistischen Hasses", der in Australien durch gewisse Politiker und Medien "normalisiert und legitimiert" werde. (Urs Wälterlin aus Canberra, 15.3.2019)