Schon am Tag nach dem gewaltsamen Tod eines jungen Deutschen im Vorjahr ist es in Chemnitz zu Kundgebungen von Rechtsextremen gekommen. Die Polizei konnte Ausschreitungen nicht verhindern.

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Was genau in der Nacht auf den 27. August im sächsischen Chemnitz geschah, ist bis heute unklar. Viele Menschen sind unterwegs und feiern beim Stadtfest. Im Zentrum geraten einige Männer offenbar in einen Streit, den der 35-jährige Daniel H., ein Deutsch-Kubaner aus Chemnitz, nicht überlebt. Er stirbt durch fünf Messerstiche.

Einen Tag später werden zwei Tatverdächtige dem Haftrichter vorgeführt: ein 22-jähriger Asylwerber aus dem Irak und ein 23-Jähriger aus Syrien. Nur wenige Stunden später versammeln sich am berühmten Karl-Marx-Denkmal in der Innenstadt rund 6000 Demonstranten zu einer Kundgebung, zu der die rechtspopulistische Initiative "Pro Chemnitz" aufgerufen hat. Unter den Demonstranten sind gewaltbereite Neonazis und Hooligans, man sieht, wie der Hitlergruß gezeigt wird. Bei Ausschreitungen werden 20 Personen verletzt, die Polizei ist mit zu wenigen Kräften vor Ort.

Tagelange Demos

Tagelang demonstrieren Rechtsextreme und ein buntes Bündnis gegeneinander. Noch mehr heizt sich die Stimmung auf, als ein Video auftaucht, auf dem zu sehen ist, wie einige Männer hinter Ausländern herlaufen. Man dulde in Deutschland keine "Hetzjagden", erklärt danach Kanzlerin Angela Merkel, der damalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen hingegen will solche nicht erkennen.

"Es hat lange gedauert, bis sich die Lage wieder beruhigte", sagt Torsten Kleditzsch, Chefredakteur der Chemnitzer Freien Presse, zum STANDARD. Dass Chemnitz ein Hort von Nazis sei, wie nach den Ausschreitungen in aller Welt berichtet wurde, weist er zurück: "Wir waren im Sommer der Ort, den es getroffen hat. Aber was geschehen ist, hätte an vielen Orten passieren können, wenngleich nicht an jedem. Ausgetragen wurde ein Konflikt, den wir in Deutschland und im gesamten Westen haben."

Haftbefehl im Internet

Die Ermittlungen gegen den jungen Iraker wurden eingestellt, der tatverdächtige Syrer muss sich ab heute vor dem Landgericht Chemnitz verantworten, ihm wird Totschlag vorgeworfen. Allerdings findet der Prozess nicht in Chemnitz statt, sondern aus Sicherheitsgründen in der sächsischen Landeshauptstadt Dresden.

Ricarda Lang, die Anwältin des Angeklagten, hätte die Verhandlung überhaupt gerne in ein anderes Bundesland verlegt, da in Sachsen "mit rechtsgerichteten und ausländerfeindlich motivierten Demonstrationen sowie mit massiven von der Polizei nicht beherrschbaren Ausschreitungen zu rechnen" sei. Zudem befürchtet sie, dass "das Gedankengut der rechten Demonstranten seitens der Justizmitarbeiter geteilt werde". Der Haftbefehl gegen den jungen Iraker war von einem Justizmitarbeiter im Internet veröffentlicht worden – samt vollem Namen und der Anschrift. Danach brauchte der Iraker monatelang Polizeischutz.

Doch der Bundesgerichtshof hat eine Verlegung in ein anderes Bundesland abgelehnt. Sachsen sei wohl in der Lage, einen solchen Prozess durchzuführen, es gebe auch keine Anhaltspunkte, dass die sächsischen Richter "das Gedankengut rechter Demonstranten teilen".

Umstrittene Fußball-Aktion

Chemnitz ist derzeit wieder in den Schlagzeilen, weil der FC Chemnitz kürzlich vor einer Regionalligapartie gegen die VSG Altglienicke eine Trauerfeier für einen verstorbenen rechtsextremen Fan abgehalten hatte. Der Stürmer Daniel Frahn zeigte dann während des Spiels ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift "Support your local Hools" (Unterstütze deine örtlichen Hooligans). Frahn wurde daraufhin gesperrt, der kaufmännische Geschäftsführer des FC Chemnitz, Thomas Uhlig, legte nach massiven Protesten sein Amt nieder. (Birgit Baumann, 17.3.2019)