Experte Thomas Seelig leitet die Fotografische Sammlung des Museums Folkwang in Essen.

Foto: Anne Morgenstern

Hanna Putz und Sophie Thun, "Paar 4" aus dem Jahr 2019.

Foto: Hanna Putz & Sophie Thun

Die Diskussion über ein österreichisches Haus der Fotografie schwelt schon länger: Im Herbst gab Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) schließlich eine Machbarkeitsstudie in Auftrag, die unter anderem Fragen nach dem genauen Ort, der Struktur und der Finanzierung klären soll. Sie wird von Bernd Stiegler erstellt, Professor an der Universität Konstanz, und soll laut Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP) Grundlage weiterer Entscheidungen sein.

STANDARD: Was spricht für ein Haus der Fotografie in Österreich?

Seelig: Nicht sehr viel. In den vergangenen zehn, 15 Jahren hat sich die Fotografie so ausdiversifiziert, dass sie kaum mehr unter einen Begriff subsumiert werden kann. Es ist der falsche Zeitpunkt, sich heute über ein reines Haus für Fotografie zu definieren. Es geht darum, die Grenzen zu öffnen, sich die Ränder anzuschauen. Der Begriff Fotografie ist schlichtweg zu eng.

STANDARD: Obwohl wir noch nie von so vielen Fotos umgeben waren?

Seelig: Es hat damit zu tun, welche Rolle man einem Museum der Zukunft zusprechen möchte. Ist es die klassische Vorstellung von Fotografie, oder geht es darum, dass jeder Mensch heute Fotograf und Editor ist? Viel spannender, als über ein reines Fotomuseum nachzudenken, fände ich, ein Haus als Bildmuseum zu definieren, in dem ein Diskurs geführt wird, wie wir heute mit visuellen Erzeugnissen umgehen.

STANDARD: Ein Bildmuseum?

Seelig: Wir stolpern als visuelle Amateure durch die heutigen Bildwelten. Unsere Kinder sind oft wesentlich gewandter im Umgang als wir. Wir sind eine Generation, die aus einem analogen Verständnis kommt, aber ins digitale Zeitalter gestoßen wurde.

STANDARD: Was könnte in einem solchen Bildmuseum gezeigt werden?

Seelig: Wenn ich über Fotografie nachdenke, dann grüble ich meistens über die Haltung eines Fotografen. Eine Haltung hat auch jemand, der einen Instagram-Account hat oder der einen Blog macht. Die Frage ist, wie man das als Phänomen in der Zeit abbilden und eventuell auch sammeln kann.

STANDARD: Sie skizzieren ein Haus, das nach vorn schaut. Ist es nicht wichtig, sich erst einmal mit der Geschichte zu beschäftigen?

Seelig: Es gibt den Fotohof in Salzburg, die Camera Austria in Graz, die Ars Electronica in Linz: Das sind Institutionen, die sich stark mit Fotografie beschäftigen, auch mit ihrer Geschichte. Durch eine Zentralisierung dieser Institutionen würde die Tektonik ins Rutschen kommen, gewachsene Institutionen unter Umständen verdrängt werden.

STANDARD: Gibt es international Institutionen, an denen man sich orientieren könnte?

Seelig: Das Haus der Kulturen der Welt in Berlin zum Beispiel oder der Medienkunstverein in Dortmund. Eine spannende Adresse ist auch das Eye Filmmuseum in Amsterdam.

STANDARD: Könnte das Medium durch eine eigenständige Institution nicht eine ganz andere Strahlkraft gewinnen?

Seelig: In der österreichischen Museumslandschaft gibt es bereits eine große Vielfalt. Man muss sich fragen, ob der Sättigungsgrad nicht erreicht ist. Was man neu definieren könnte, sind die Vermittlung und die Verwahrung von Fotografie. Da sehe ich mehr Potenzial als im Ausstellungswesen.

STANDARD: Der Bereich Kunstfotografie wird gut durch die existierenden Museen abgedeckt, für große Fotoausstellungen fühlt sich in Österreich aber niemand zuständig.

Seelig: Wäre es nicht besser, bestehende Häuser denken über ihre Ausrichtung nach und fragen sich, wie sie diese Doppelgleisigkeiten vermeiden könnten? Es muss nicht immer gleich ein neues Haus sein.

STANDARD: Wofür würden Sie in der jetzigen Situation in Österreich plädieren?

Seelig: Eine schwierige Frage. Meines Wissens schaut sich Bernd Stiegler nicht nur die Konstruktion eines möglichen neuen Hauses an, sondern fragt sich, welche Player im Spiel, welche Aufgaben abgedeckt sind, welche nicht. Vieles ist etabliert, manches vielleicht unterbelichtet. Die Ergebnisse wird man sich trocken anschauen müssen. (Stephan Hilpold, 20.3.2019)