Swatina Wutha ist 26, Tänzerin und Schauspielerin, und sie wohnt allein in einer Wohnung in Wien. Das klingt zunächst gewöhnlich. Wutha allerdings ist eine ganz außergewöhnliche junge Frau, denn sie hat Trisomie 21 bzw. das Downsyndrom. Wie sie das jemandem erklären würde, der die Behinderung nicht kennt? "Wir brauchen oft einfach mehr Zeit. Also wir sind schon ein bisschen anders", sagt sie. "Dass wir krank sind, das ist Quatsch."

Das Downsyndrom, also das dreifache statt doppelte Vorliegen des Chromosoms 21, entsteht zufällig während der Zellteilung der Ei- oder Samenzellen und kann theoretisch jede Schwangerschaft betreffen (siehe unten).

Swatina Wutha und ihr Tanzpartner Felix Röper im Gespräch mit Doris Schmidauer und Bundespräsident Alexander van der Bellen. Wutha und Röper waren das erste Debütanten-Paar beim Opernball mit Trisomie 21.
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"Viele haben es schwerer als ich", sagt Wutha nach einer längeren Pause. Sie denkt länger nach, bevor sie ihre Antworten gibt. Manchmal stottert sie, das komme aber nicht von der Nervosität. "Ich gebe gerne Interviews", meint die Deutsche und lächelt. Sie ist vor eineinhalb Jahren von ihrer Heimatstadt Hamburg nach Wien gezogen, um eine spezielle Ausbildung zur Tanzassistentin abzuschließen. Mittlerweile ist die 26-Jährige fest angestellt bei einem gemeinnützigen Verein. Das war ein Meilenstein für Wutha, die allerdings schon neue Ziele hat – etwa einmal im Burgtheater aufzutreten. 2020 will sie außerdem bei den Special Olympics mittanzen. Beim Opernball 2018 hat sie das schon getan und ihn als Debütantin eröffnet.

Zwischen Engagement und Anstrengung

"Ich finde es schade, dass viele von uns keine Freiheiten bekommen. Auch wir wollen unser Leben gestalten." Das setze einerseits Engagement der Eltern voraus, dem eigenen Kind Dinge zuzutrauen und es zu ermutigen. Andererseits aber müsse man sich selber einsetzen und aktiv sein, "das kann auch anstrengend sein", sagt Wutha. Es haue nämlich nicht immer alles hin. "Aber ich frage immer gleich nach Hilfe, wenn ich weiß, dass ich sie brauche." Beim Arbeiten ist das etwa bei Bankgeschäften der Fall. Zu Hause beim Wäschewaschen. Irgendwann will Wutha auch das selber können.

Ob ihr Sohn ein ähnlich selbstständiges Leben wie Swatina Wutha führen wird, wissen Michelle Koch und Alejandro Bachmann noch nicht. Der kleine Béla ist erst zehn Monate alt, liegt in den Armen seiner, lächelt und streckt dabei die Zunge heraus. Auch er hat das Downsyndrom.

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Das Downsyndrom bezeichnet eine Chromosomenveränderung, bei der das Chromosom 21 in dreifacher statt in doppelter Ausführung vorhanden ist.
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Koch und Bachmann hatten bereits im Vorfeld der Schwangerschaft darüber gesprochen, was wäre, wenn sie die Diagnose Trisomie 21 bekämen. "Wir waren bei der Zeugung beide 37, und man weiß ja, dass das Risiko mit dem Alter steigt." Für beide war klar, dass die wahrscheinliche Behinderung kein Grund wäre, die Schwangerschaft zu beenden.

Gewissheit hatten Koch und Bachmann erst ein paar Tage nach der Geburt von Bela, ein Gentest machte die Behinderung offiziell. Eine Ahnung, dass ihr Sohn das Downsyndrom haben könnte, gab es allerdings schon länger: Um die 20. Schwangerschaftswoche wurde bei einer Untersuchung festgestellt, dass die Wahrscheinlichkeit dafür hoch ist. Im Rahmen des Ultraschalls wurde auch ein schwerer Herzfehler entdeckt, und kurzfristig war außerdem nicht klar, ob das Baby einen Magen hat. "Das war der richtige Schock für uns", sagt die Mutter. "Weil es dann um die Frage ging, ob das Leben des Kindes nur von Maschinen abhängig sein wird und ob wir das wollen würden."

Rechtfertigung vor Ärzten

Es folgten gute Nachrichten: Der Magen war vorhanden, der Herzfehler nicht so schlimm wie anfangs gedacht. Es blieb die hohe Wahrscheinlichkeit für das Downsyndrom. "Obwohl wir gesagt haben, dass wir ihn auch mit Behinderung wollen, redet man sich ein, dass das schon nicht so sein wird", sagt Bachmann und denkt kurz nach. "So ist der Mensch einfach, glaube ich."

Bachmann und Koch waren sich bei ihrer Entscheidung, das Baby zu behalten, ganz sicher. "Die Ärzte haben uns allerdings nicht unbedingt das Gefühl gegeben, dass das die richtige Entscheidung ist." Es habe zwar niemand ausgesprochen, dass sie die Schwangerschaft beenden sollten. "Aber bei jedem Arzt musste man sich wieder rechtfertigen", erzählt Koch. "Die haben einem ein richtig beschissenes Gefühl gegeben. Sie suggerieren, dass man nicht versteht, was diese Entscheidung bedeutet." Das Downsyndrom geht oft mit anderen gesundheitlichen Problemen einher, wie etwa den kleinen Löchern im Herzen von Bela, die nach der Geburt erfolgreich operiert wurden. "Wir wussten das natürlich, man informiert sich ja."

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In Österreich leben rund 9000 Menschen mit Downsyndrom, statistisch gesehen wird eines von 800 Neugeborenen mit dieser Chromosomenveränderung geboren.
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Nach der Geburt sei alles anders gewesen – auch das Auftreten vieler Ärzte. "Man ist dann übertrieben gesagt fast ein Heiliger", sagt Bachmann. Auch unterstützt worden seien sie ausreichend, wurden an zahlreiche Anlaufstellen und Netzwerke verwiesen.

Wie viele Schwangere sich gegen ein Downsyndrom-Kind entscheiden, ist unklar. Es gibt Schätzungen, wonach acht von zehn Babys nicht zur Welt kommen. Bachmann sieht eine "gesellschaftliche Doppelmoral" als einen Grund dafür: "Es gibt einen Konsens, der, zumindest abseits konservativ-rechtspolitischer Positionen, recht gut verankert ist, dass diese Menschen auch ein gutes Leben haben sollen. Und auf der anderen Seite gibt es ein neoliberales System, das alles durchzieht, die absolute Leistungsgesellschaft. Da passen behinderte Menschen nicht hinein."

Die andere Normalität

Momentan ist das Paar nur froh, dass ihr erstes Kind wohlauf ist. Aber natürlich wird auch an die Zukunft gedacht: Bachmann fragt sich, ob er selber immer gut mit der Situation klarkommen wird. "Es wird sicher Momente geben, die schwierig sind, wo ich vielleicht denke: 'Oh man, immer fallen wir auf.'" Seine Partnerin hat Respekt vor der Zeit, wenn die Unterschiede zu anderen Kindern größer werden.

"Ich habe sehr früh selber gemerkt, dass ich anders bin als die anderen Kinder", erinnert sich Wutha. Sie sei immer in Integrationsklassen gewesen, habe viel Kontakt mit anderen behinderten Kindern gehabt. "Nicht ganz normal zu sein, das war für uns normal." (Lara Hagen, 20.3.2019)