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Orbán macht für die Ungarn einen Spagat – und lässt sich dafür als Sieger feiern.

Foto: AP/Francisco Seco

In den Augen seiner Anhänger kehrte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán am späten Mittwochabend als Sieger aus Brüssel zurück. Zwar hatte der Vorstand der Europäischen Volkspartei (EVP) Stunden zuvor die Mitgliedschaft der Regierungspartei Fidesz wegen Orbáns fortgesetzten anti-europäischen Verhaltens suspendiert; doch schon in der Pressekonferenz vor seiner Abreise aus Brüssel hatte der Rechtspopulist klargestellt, dass sich der Fidesz gewissermaßen selbst aus der EVP hinaus-suspendiert hätte – sozusagen als selbstloses Opfer für die Bewahrung der Einheit der konservativen europäischen Parteienfamilie.

Die Regierungsmedien verbreiteten am Donnerstag Triumphbotschaften. "Das war ein sehr ernsthafter politischer Sieg!", jubelte der regierungsloyale Analyst Dániel Deák im Frühstücksfernsehen von Echo TV. "Ein Kompromiss wurde geboren, der die Fidsz-Mitgliedschaft aufrechterhält. Infolgedessen kann die Partei ihren Willen in den europäischen Debatten durchsetzen."

Den Realitäten entspricht das wohl nicht. Der betreffende EVP-Beschluss hält nämlich fest, dass die Orbán-Partei ihre Mitwirkungsrechte ab sofort und für die Dauer der Suspendierung verwirkt hat. Insbesondere darf Orbán nicht mehr in der illustren Runde der der EVP angehörigen Staats- und Regierungschefs sitzen, die sich jeweils am Vorabend von EU-Gipfeln trifft.

Pragmatische Flexibilität

Mit seinem Spagat hat aber Orbán durchaus pragmatische Flexibilität bewiesen. Zum einen ist die EU in Ungarn unter den Menschen sehr populär. Unter den Fidesz-Wählern halten sich Befürworter und Gegner der EU in etwa die Waage. Für viele Bürger erschien der Konflikt mit der EVP wie ein Konflikt mit der EU – auch das ist eine Folge der hemmungslosen Anti-EU-Propaganda der Orbán-Leute. Ein EVP-Austritt wäre ihnen wie ein EU-Austritt erschienen. Mit der Abwendung eines definitiven Bruchs mit der EVP trug Orbán dem bedeutenden EU-freundlichen Segment seiner Wählerschaft Rechnung.

Zum anderen hatten die Regierungsmedien im Vorlauf zur entscheidenden EVP-Sitzung massiv gefordert, Orbán möge das "unwürdige Schauspiel" beenden und von sich aus austreten. Die EVP hätte sich ohnehin ihren christlichen und konservativen Ursprüngen entfremdet und sei zu einer Ansammlung kryptolinker und kryptoliberaler Parteien geworden.

"Magyar Nemzet", das eigentliche Sprachrohr des Orbán-Stabs, schrieb sogar am Donnerstag noch im Leitartikel, dass weiterhin "nichts für und alles gegen die Mitgliedschaft des Fidesz in der EVP spricht". Während der Vorstandssitzung habe Orbán die ausgefüllte Austrittserklärung – sein Druckmittel – nicht aus der Hand gelegt. "Niemand hat gesehen, dass er dieses Papier zerrissen oder ins Feuer geworfen hätte", orakelte das Blatt.

Siegende Verlierer

Widerspricht die eigene Parteizeitung dem mächtigsten Mann des Landes? Das ist auszuschließen. Orbán muss schließlich auch das beträchtliche EU- und EVP-feindliche Segment seiner Anhängerschaft bedienen. Zudem ist es ein Merkmal des modernen Rechtspopulismus, dass nichts fix scheint; dass heute dies, morgen das gelten kann; dass ein Satz und sein Gegenteil wahr sein können. Im faktenbefreiten, scheinbar unlogischen Universum der Populisten konstituiert sich die "Wahrheit" auf der Metaebene: "Wahr" ist, was den Machtinteressen des populistischen Führers dient.

Oder wie ein Budapester Passant im Pensionistenalter in einem Straßeninterview mit dem Portal "24.hu" den Auftritt Orbáns und seiner Leute in Brüssel einschätzte: "Sie haben gewonnen. Sie gewinnen selbst dann, wenn sie verlieren." (Gregor Mayer aus Budapest, 21.3.2019)