Bild nicht mehr verfügbar.

Die EU-Spitzen berieten am zweiten Gipfeltag über die Zukunft, etwa die Beziehung mit China.

Foto: AP Photo/Frank Augstein

Bild nicht mehr verfügbar.

Theresa May war zu diesem Zeitpunkt schon auf dem Weg zurück nach London.

Foto: AP / Olivier Matthys

Um die wirtschaftliche und sicherheitspolitische Zukunft der Europäischen Union geht es der britischen Premierministerin längst nicht mehr. Theresa May war am Freitag schon wieder von Brüssel nach London zurückgekehrt, als die Staats- und Regierungschefs sich am zweiten Tag des EU-Gipfels Fragen nach einer Stärkung ihrer globalen Wettbewerbsfähigkeit zuwandten. Und China.

Die Gespräche mit den Chinesen seien "einfacher als jene mit Großbritannien, denn sie verlassen uns nicht", witzelte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. In den kommenden Wochen und Monaten wird vor allem der Ausbau der Beziehungen zu Peking im Mittelpunkt stehen, mit einem EU-China-Gipfel im April. Die Europäer sorgen sich wegen unfairer Handelspraktiken, Cyberspionage, um den Ausbau der neuen 5G-Netze und um Investitionsschutz.

Das angestrebte Prinzip der "Reziprozität", des gegenseitigen gleichberechtigten Marktzugangs, ist schwer zu erreichen. Man solle sich keinen Illusionen hingeben, Europa sei im digitalen Bereich im Hintertreffen, so Bundeskanzler Sebastian Kurz.

Fokus auf Zukunft

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron betonte demonstrativ, dass man sich nicht mehr lange mit dem Brexit – der Vergangenheit – beschäftigen sollte, sondern mit den brennenden Fragen, die für Wohlstand und Sicherheit der europäischen Bürger entscheidend seien.

May dürfte für solche rhetorischen Spitzen ihrer Kollegen und das Thema EU/China im Moment aber ohnehin kein Ohr haben. Für sie geht es nach der Einigung der EU-27 in der Nacht auf Freitag auf eine Verschiebung des Austrittstermins der Briten von 29. März auf zunächst 12. April – allerdings nur unter gewissen Bedingungen – jetzt ums politische Überleben zu Hause.

Turbulente Sitzung

Die Anwesenheit in EU-Institutionen ist reduziert: "Ich werde hart daran arbeiten, dass der Austrittsvertrag durchgeht", hat sie die Partner in der Nacht auf Freitag in einer turbulenten Sitzung wissen lassen. Mit allen Mitteln wolle sie "ihren" Deal realisieren. Dabei zählt nun jeder Tag. In einem Brief an die Abgeordneten hat May am Freitag damit gedroht, den Austrittsdeal nicht noch einmal zur Abstimmung zu bringen, wenn es keine ausreichende Unterstützung dafür geben werde. Dann gebe es einen ungeordneten Austritt.

Einen geordneten Brexit, wie ihn alle auf der höchsten politischen Ebene der Union wollen, kann es nur geben, wenn das Unterhaus den Austrittsvertrag binnen dreier Wochen über die Bühne bringt. Die EU-27 haben Mays Regierung für das weitere Vorgehen nur noch zwei Optionen offengelassen (siehe unten). Sie haben die Verantwortung, ob Großbritannien in einem No-Deal-Szenario "über die Klippe springt" oder nicht, wie EU-Ratspräsident Donald Tusk in seiner mitternächtlichen Pressekonferenz sagte, ganz auf Mays Regierung und das britische Parlament abgeladen.

Nicht mehr auf Zeit gespielt

Der Gipfel hat beim Brexit jedenfalls an einem "sehr intensiven und auch sehr erfolgreichen Abend" (Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel) spürbar eine Wende gebracht und den "Ernst der Lage" vor Augen geführt. Bisher hatten die EU-27 stets demonstrativ ihre Einheit gegenüber den Briten betont, auf Zeit gespielt. Diesmal war es anders. Es gab nach übereinstimmenden Berichten von Diplomaten in den Verhandlungen ohne May ziemlich "engagierte Gespräche" und Streit darüber, wie hart man die Linie gegenüber London fahren sollte.

Dabei dürfte sich Macron, stark unterstützt von den Beneluxländern, mit seinen strikten Vorgaben durchgesetzt haben. Der französische Präsident ist bereits im Wahlkampfmodus. Er sieht sich als Antreiber eines erneuerten Europa, als einer, der EU-Reformen nach den Europawahlen so rasch wie möglich angehen will. Die Briten hat er abgeschrieben.

Chaos-Brexit rückt näher

Die deutsche Kanzlerin hielt mit einer weicheren Linie dagegen, wollte mehr Spielraum offenhalten, sollte sich die Lage in Großbritannien nicht so rasch drehen wie erhofft und sollte man bei einem weiteren Sondergipfel im April alles neuerlich auf den Prüfstand stellen müssen.

Aber schließlich war es Premierministerin May selbst, die wenig Zweifel daran aufkommen ließ, dass ihr bei einem Scheitern des Austrittsvertrags im Unterhaus ein chaotischer EU-Ausstieg lieber ist als ein Hinausschieben oder gar die Abhaltung eines neuen Referendums. Laut Kurz ist man dem No-Deal-Brexit nähergekommen.

Danach sieht es in Großbritannien aus. Die nordirischen Unionisten beharren weiter darauf, im Unterhaus gegen Mays Paket zu stimmen. Auch Labour-Chef Jeremy Corbyn, der am Donnerstag EU-Chefverhandler Michel Barnier getroffen hat, will weiter auf seinen Bedingungen bestehen: keine Zustimmung ohne Zusicherung einer künftigen Zollunion mit der EU. Bereits am Mittwoch könnten laut Corbyn im Parlament Probeabstimmungen zu alternativen Austrittsvorschlägen abgehalten werden.

Ratspräsident Donald Tusk hält nach dem Lottoprinzip bis 12. April "alles für möglich". Wenig beruhigend resümierte er: "Wir sind auf das Schlimmste vorbereitet und hoffen auf das Beste." (Thomas Mayer aus Brüssel, 22.3.2019)