ARBEITSUNWILLIGE

Schon bald nach ihrer Angelobung erläuterten Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und sein Vize Heinz-Christian Strache (FPÖ), dass sie die Hilfen für Arbeitslose umkrempeln werden: Wer nur kurz eingezahlt hat und sich beim AMS mit Ausreden "durchzuschummeln" versuche, müsse damit rechnen, dass auf sein Vermögen zugegriffen werde, erklärte Kurz damals. Die Verantwortung der Allgemeinheit sei es nämlich nicht, diese Personen zu finanzieren. Fast wortident formulierte auch Strache, dass man "Durchschummler" bald nicht mehr "durchtragen" werde.

Kurz, Strache, Kickl und Co arbeiten sich regelmäßig an selbstgeschaffenen Feindbildern ab.
Foto: APA / Hans Klaus Techt

Vergangene Woche ventilierte Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) im größten Kleinformat des Landes eine Arbeitspflicht für anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte – sie sollten etwa als Erntehelfer in der Landwirtschaft eingesetzt werden.

Zwei Tage später stellte sie klar, dass nie eine Gesetzesänderung für einen Zwangsdienst vorgesehen war – wohl aber hielt Kurz Seite an Seite mit Strache fest, dass es einen strengeren Vollzug bei der Arbeitsvermittlung brauche, denn: "Das System kann nicht dafür gemacht sein, dass Menschen nicht arbeiten wollen, obwohl sie jung und gesund sind." Und dabei gehe es sicher "nicht um Herkunft oder Hautfarbe".

Die Zahlen zur Debatte: Im Jahr 2018 waren laut Statistik Austria durchschnittlich 220.100 Personen arbeitslos, was einer Quote von 4,9 Prozent entspricht. Rund 33.000 Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte sind derzeit arbeitslos gemeldet beziehungsweise in Schulung.

ASYLWERBER und FLÜCHTLINGE

Kaum eine Woche vergeht, in der Kurz, Strache, Kickl und Co nicht neue Härten für Asylwerber und Flüchtlinge verkünden. Ihr jüngster Coup: Weil Asylwerber aus Sicht des blauen Innenministers zu viel verdienen, wenn sie während ihrer Grundversorgung Hilfstätigkeiten verrichten, schickt Herbert Kickl (FPÖ) am Montag einen Gesetzesentwurf in Begutachtung, der ihren Stundenlohn auf 1,50 Euro drückt. Ihn stört, dass manche Länder und Gemeinden den Grundversorgten mehr auszahlen, als Zivil- und Präsenzdiener für ihren Wehr(ersatz)dienst bekommen.

Solche Vergleiche schüren freilich erneut Neiddebatten, obwohl Asylwerber schon derzeit monatlich bloß 110 Euro plus 80 Euro für jedes weitere Familienmitglied verdienen dürfen, ohne Einbußen befürchten zu müssen.

Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) unterstützt Kickls Vorgehen explizit, denn: "Ähnliches habe ich schon gefordert, mit der SPÖ war dies aber nicht zu machen." Konkret hatte Kurz als Integrationsminister 2016 verpflichtende gemeinnützige Ein-Euro-Jobs für Flüchtlinge verlangt.

Opposition stellt sich vor Asylwerber

Die Opposition kritisiert das akkordierte Vorgehen scharf: SPÖ-Sozialsprecher und Gewerkschafter Josef Muchitsch spricht von einer klaren Strategie, gegen Ausländer und Asylwerber zu hetzen und die Gesellschaft zu spalten. Der Koalition gehe es darum, die Arbeit generell billiger zu machen und die Lohnspirale nach unten zu drehen. Jetzt-Klubchef Bruno Rossmann spricht von "Sündenbockpolitik". Die Regierung setze ständig Maßnahmen, die "das untere Einkommensdrittel treffen. Neos-Vizeklubchef Niki Scherak hält einen 1,50-Euro-Stundenlohn für "vollkommen verrückt", dies sei für die Betroffenen "unzumutbar" und "integrationspolitisch nicht sinnvoll". Asylwerber könnten damit "nicht im ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen". Dazu bringe der niedrige Lohn Unternehmer, die entsprechende Tätigkeiten für Gemeinden anbieten, unter Kostendruck. Und auch Oberösterreichs grüner Landesrat Rudi Anschober meint: "Keine Woche vergeht ohne Maßnahmen der Regierung zur Verschlechterung der Lebenssituation von Asylwerbern und zur Verschlechterung der Integration."

Für die Regierung gilt offenbar ein neuer Name als Programm: Mit März benannte Kickl die Erstaufnahmezentren für Asylwerber in Ausreisezentren um.

Die Zahlen zur Debatte: Mitte 2018 bezogen 51.109 Personen Grundversorgung, die die Wohn- und Verpflegungskosten von Asylwerbern, subsidiär Schutzberechtigten und frisch anerkannten Asylberechtigten abdeckt. Mehr als ein Drittel der Grundversorgten, damals 17.598 Personen, lebt in Wien. 2016 war man bei rund 90.000 Fällen gelegen.

CARITAS und DIAKONIE

Nach der Caritas kommt die Diakonie dran: NGOs, die sich nicht nur für Kranke und Betagte, für Arme und Obdachlose, sondern auch für Asylwerber und Flüchtlinge starkmachen, sind vor allem der FPÖ ein Dorn im Auge. Zuletzt hatte es die Direktorin der Diakonie, Maria Katharina Moser, gewagt, die von der Regierung geplante Bundesbetreuungsagentur für Menschen im Asylverfahren als "Blackbox" zu bezeichnen – weil damit der Zugang zu fairen Verfahren zu verschwinden drohe.

Kanzler Kurz mit Caritas-Präsident Landau im Dezember – wenige Wochen später nahm die FPÖ den Geistlichen ins Visier.
Foto: APA / Hans Klaus Techt

Prompt zog Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) beim Ministerrat über die Diakonie her – und erklärte, er verstehe schon, dass "man keine Freude damit hat", wenn "man einen Geschäftspartner verliert". Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) stand daneben – und schwieg zur Unterstellung, dass die karitative Organisation mit ihrer Asylberatung quasi Geschäftemacherei betreibe.

Noch härter traf es zum Jahreswechsel die Caritas, weil deren Präsident Michael Landau der Regierung angesichts der Kürzung der Mindestsicherung "ein Empathiedefizit" attestiert hatte. FPÖ-Klubchef Johann Gudenus sagte ihm "Profitgier" im Zusammenhang mit der Flüchtlingsbetreuung nach. Der blaue Generalsekretär Christian Hafenecker erklärte, die Hilfsorganisation sorge sich bloß um "ihren finanziellen Kuchen an der Asylindustrie". ÖVP-Staatssekretärin Karoline Edtstadler rief die Freiheitlichen, aber auch Landau zur Mäßigung auf.

Die Zahlen zur Debatte: Für die Caritas sind in Österreich rund 50.000 Freiwillige aktiv, dazu 16.000 hauptamtliche Mitarbeiter. Bei der Diakonie sind etwa 9.000 Menschen engagiert, davon 1.000 Freiwillige.

MUSLIME

Wenn die Regierung Flüchtlinge sagt, dann meint sie auch Muslime – und dann meint sie in einem Aufwaschen IS-Kämpfer, Jihadisten und Salafisten, insgesamt also eine Gefahr. Die Islamische Glaubensgemeinschaft hat Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) nun wegen Verhetzung angezeigt. Dieser hatte etwas verallgemeinernd gesagt, in Wiener Kindergärten würden die Kinder mit Hasspredigten zu Märtyrern erzogen. Außerdem warnte Strache angesichts der vielen Muslime hierzulande schon vor Bürgerkriegszuständen.

Im vergangenen Jahr startete die Regierung ihre größte Offensive gegen Muslime in Österreich. Nachdem 2015 ein eigenes Islamgesetz eingeführt worden war, ordnete die Koalition im Juni 2018 die Schließung von sieben Moscheen, die Auflösung der Arabischen Kultusgemeinde und die Ausweisung von 65 Imamen an – als Maßnahme gegen den politischen Islam. Vor den Höchstgerichten hielt das nicht. Alle Moscheen sind wieder geöffnet und legal in Betrieb, die Auflösung der Arabischen Kultusgemeinde wurde für rechtswidrig erklärt. Lediglich die Ausweisung der Imame ist rechtlich gedeckt.

Besonders die FPÖ wettert immer wieder gegen muslimische Bürger und verbindet das mit Terrorverdacht – auch gegen unschuldige Lehrlinge.

Die Zahlen zur Debatte: Der Islam ist seit 1912 als Religionsgesellschaft anerkannt. Nach Schätzungen lebten 2017 rund 700.000 Muslime in Österreich, das entspricht einem Bevölkerungsanteil von acht Prozent. Dieser Wert dürfte weiter stark steigen.

ORF-JOURNALISTEN

Schon im ersten Jahr der ÖVP-FPÖ-Koalition setzte es wilde Attacken auf Nachrichtenmacher des Öffentlich-Rechtlichen. Da lud Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) auf Facebook ein Meme hoch, das "ZiB 2"-Anchorman Armin Wolf mit der Headline zeigte: "Es gibt einen Ort, an dem Lügen zu Nachrichten werden. Das ist der ORF." Dazu fügte Strache den Vermerk "Satire!" und ein Smiley an – Wolf reichte Klage ein, später verglich man sich.

Vergangene Woche erlangten die Disziplinierungsversuche von ORF-Journalisten eine neue Qualität: Kanzler Kurz beschwerte sich nach dem Ministerrat über "Falschinformationen" von Ö3.
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FPÖ-Stiftungsrat Norbert Steger, mittlerweile Vorsitzender des ORF-Gremiums, missfiel die Berichterstattung zur Wahl in Ungarn, deswegen stellte er die Kündigung von Auslandskorrespondenten in Aussicht.

Vergangene Woche erlangten die Disziplinierungsversuche eine neue Qualität: Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) beschwerte sich nach dem Ministerrat – "bitte das nicht als Medienkritik zu verstehen!" – darüber, dass Ö3 in den Morgenstunden verkündet habe, dass die Regierung die Parteienfinanzierung anhebe und die Opposition dagegen sei. Kurz mahnte eine "Richtigstellung" ein und sprach von "einer ultimativen Form der Falschinformation" – was der Redakteursrat vehement zurückwies.

Noch am selben Tag beschlossen ÖVP und FPÖ im Verfassungsausschuss tatsächlich die Anhebung der Parteienförderung, wenn auch nicht, wie im Gesetz unter SPÖ-Kanzlerschaft festgelegt, um 7,8 Prozent, sondern um zwei Prozent.

Die Zahlen zur Debatte: Die ORF-Radioinformation besteht aus rund 120 Mitarbeitern. Mit 31,7 Prozent Höreranteil ist Ö3 reichenweitenstärkster Sender im Land.

SOZIALDEMOKRATEN

Um der eigenen Regentschaft Glanz zu verleihen und Kürzungen fürs Wahlvolk zu rechtfertigen, tut Türkis-Blau gern so, als ob das Land unter roter Kanzlerschaft kurz vor dem Ruin gestanden wäre.

Ein Jahr nach Amtsantritt dozierte Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) etwa, dass "wir jahrzehntelang eine unsoziale Entwicklung erlebt haben, wo (...) sozialistische Bundeskanzler, die ja nie wirklich wirtschaften konnten, doch immer auf Kosten der Gesamtbevölkerung mehr ausgegeben haben, und das holt irgendwann einmal die Bevölkerung ein". Kein Wort davon, dass der Koalitionspartner ÖVP schon seit 32 Jahren in der Regierung sitzt und auch für Fehlentwicklungen verantwortlich wäre.

Von Strache auch schon gehört: "Die SPÖ ist die Zuwanderungs- und Islampartei und lässt die Österreicher im Stich." Sowie: "Die sozialistische Partei spaltet dieses Land in vielen Bereichen."

Angesichts der Wahlkampfkostenüberschreitung bei der Nationalratswahl erklärte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in Richtung der Oppositionspartei, die 7,4 Millionen ausgegeben hatte, es sei "nicht in Ordnung, dass andere schummeln und tricksen". Dabei hatte die ÖVP selbst die vorgeschriebene Höchstgrenze von sieben Millionen mit 13 Millionen, die FPÖ mit 10,7 Millionen gesprengt.

Die Zahlen zur Debatte: Bei der Nationalratswahl 2017 stimmten mehr als 1,36 Millionen Wahlberechtigte für die SPÖ – was knapp 27 Prozent entspricht. Die Partei hat rund 170.000 Mitglieder.

WIEN – UND DIE WIENER

Die Wiener geben ein prächtiges Feindbild ab. Die Hauptstadt ist rot-grün regiert – als einziges Bundesland in Österreich, das ist gewissermaßen der Gegenentwurf zu Türkis-Blau. Und wird von der Koalition auf Bundesebene entsprechend angegangen. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) attestierte Wien zu Jahresbeginn, dass dort immer weniger Menschen in der Früh aufstehen, um arbeiten zu gehen – konkret meinte er, dass "in immer mehr Familien nur mehr die Kinder in der Früh aufstehen, um zur Schule zu gehen". Das führte zu einem Aufschrei der rot-grünen Früh- und Normalaufsteher.

Kurz geht es um die Mindestsicherung, die jetzt zur Sozialhilfe wird und seiner Ansicht nach in Wien zu lasch, zu großzügig gehandhabt wird. Mit einem Bundesgesetz soll Wien jetzt unterworfen werden. Die Arbeitslosigkeit in Wien liege bei 13 Prozent, 15.000 Personen seien obdachlos, jeder zweite Mindestsicherungsbezieher sei Ausländer, argumentiert Kurz.

Mit der großen Zahl an Islamkindergärten, die kaum kontrolliert wurden, trafen ÖVP und FPÖ einen wunden Punkt. Laut ihrer Darstellung musste man glauben, Wien sei Riad, was nicht der Fall ist. Tatsächlich hat die Stadtregierung bei der Kindergartenkontrolle aber ordentlich nachgebessert.

Die Zahlen zur Debatte: Wien hat 1,9 Millionen Einwohner, jeder dritte Wiener ist im Ausland geboren. Die SPÖ kam 2015 auf 330.000 Stimmen (39,6 Prozent), die FPÖ auf 256.000 (30,8 Prozent), die Grünen auf 99.000 (11,8 Prozent), die ÖVP war mit 77.000 Wählern einstellig (9,2 Prozent). (Michael Völker, Nina Weißensteiner, 25.3.2019)