Von der Einführung des Euros als gemeinsame Währung haben die Mitgliedsländer in unterschiedlichem Ausmaß profitiert. Während etwa Deutschland besonders innerhalb der Eurozone seine Exporte deutlich steigern konnte, verloren andere Länder wie etwa Italien und Griechenland den wirtschaftlichen Anschluss. Als Folge davon entstanden in der Eurozone wachsende Ungleichgewichte, die zum Beispiel in starken Leistungsbilanzüberschüssen und -defiziten der Mitgliedsländer ihren Ausdruck finden. Dieser Beitrag diskutiert den möglichen Einfluss von Arbeitsmarktinstitutionen anhand des Zentralisierungsgrads von Lohnverhandlungen für die Entstehung und Dauer von Ungleichgewichten innerhalb der Eurozone.

Ökonomische Ungleichgewichte im Währungsaum

Mit dem Beitritt zu einer Währungsunion gibt ein Land die autonome Geldpolitik und damit eines seiner wichtigsten Instrumente zur makroökonomischen Stabilisierung auf. Ob die Mitgliedschaft in einer Währungsunion für eine Volkwirtschaft vorteilhaft ist, hängt somit davon ab, ob der Nutzen der Währungsunion (Reduktion in Transaktionskosten, direkter Preisvergleich zwischen Ländern, et cetera) oder die Kosten des Verlusts einer autonomen Geldpolitik überwiegen. Diese einfache Überlegung ist die Basis der Theorie der Optimalen Währungsräume, die bereits in den 1960er-Jahren vom Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Mundell entworfen und von anderen Ökonomen wie Ronald McKinnon oder Peter Kenen weiterentwickelt wurde.

Die Aufgabe der eigenen Währung führte bei einigen Ländern dazu, dass sie den wirtschaftlichen Anschluss verloren haben.
Foto: APA/AFP/PHILIPPE HUGUEN

Wenn einzelne Länder einer Währungsunion einen Konjunktureinbruch erleiden, muss die makroökonomische Stabilisierung mangels der Verfügbarkeit einer länderspezifischen Geldpolitik über andere (angebotsseitige) Kanäle erfolgen. Ein zentraler Anpassungsmechanismus ist die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit eines Landes innerhalb der Währungsunion durch sogenannte innere Abwertungen, das heißt durch eine Abwertung des realen Wechselkurses (also des relativen Preisniveau) gegenüber anderen Mitgliedsländern. Da der nominale Wechselkurs fixiert ist, kommt es zu realen Wechselkursänderungen (-abwertungen), wenn in einem Land die Löhne und Preise relativ zu jenen anderer Länder im gemeinsamen Währungsraum sinken.

Die Entwicklung der realen Wechselkurse über die Zeit gibt daher Aufschluss über die Veränderung der Wettbewerbsfähigkeit von Ländern in einer Währungsunion und enthält wertvolle Informationen über den potentiellen Aufbau von ökonomischen Ungleichgewichten im Währungsraum. Bei der Erklärung dieser realen Wechselkursentwicklung spielen gemäß der Theorie der Optimalen Währungsräume die Mobilität der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital sowie die Ähnlichkeit von Arbeits- und Kapitalmarktinstitutionen unter Ländern (das ist, die Ähnlichkeit in Gesetzen und Programmen die das Geschehen auf dem Arbeits- und Kapitalmarkt regulieren) eine besondere Rolle.

Zentralisierungsindex

Die Länder der Eurozone zeichnen sich durch unterschiedlichen Entwicklungen ihrer realen Wechselkurse in den letzten zwei Jahrzehnten aus. Während starke innere Aufwertungen (also ein Verlust der relativen Wettbewerbsfähigkeit) in einigen Peripherie-Ländern wie Estland, Litauen, der Slowakei oder Griechenland seit deren Beitritt zum Euroraum zu beobachten sind, kann für Deutschland eine graduelle reale Abwertung, also ein Anstieg der Wettbewerbsfähigkeit, festgestellt werden.

Entstehen solche Ungleichgewichte in Ländern der Währungsunion mit inneren Auf- und Abwertungen, stellt sich die Frage, welche Faktoren dazu beitragen können, diese relativ rasch wieder zu korrigieren, um ein nachhaltiges langfristiges Gleichgewicht zu wahren. Als Bestimmungsfaktor dieser Dynamik sind Lohnveränderungen besonders wichtig. Arbeitsmärkte beeinflussen also die Möglichkeit von inneren Auf- und Abwertungen als Korrekturmechanismen der Wettbewerbsfähigkeit innerhalb des Euroraums. Die Effizienz und Geschwindigkeit, mit der makroökonomische Schocks über Lohnveränderungen in einer Währungsunion abgefedert werden können, wird von der Struktur der Lohnverhandlungssysteme beeinflusst.

Es kann beispielsweise relevant sein, ob Lohnverhandlungen auf der individuellen Unternehmensebene oder für die gesamte Branche durchgeführt werden. Die ICTWSS-Datenbank (Database on Institutional Characteristics of Trade Unions, Wage Setting, State Intervention and Social Pacts), die vom Soziologen Jelle Visser aufgebaut wurde, beinhaltet anhand eines "Zentralisierungsindex" Information über den Zentralisierungsgrad von Lohnverhandlungen in einzelnen Ländern. Dieser Zentralisierungsindex berücksichtigt drei institutionelle Dimensionen des Arbeitsmarktes: die Konzentration der Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretung, das Niveau, auf dem Lohnverhandlungen stattfinden (Unternehmen, Branchen, landesweit einheitlich) und den Organisationsgrad der bei den Verhandlungen eingebundenen Interessensvertretungen.

Korrekturgeschwindigkeit des realen Wechselkurses und Zentralisierung von Lohnverhandlungen.
Grafik: Crespo Cuaresma

Wichtig für die Beseitigung der Ungleichgewichte

Die Abbildung zeigt die Korrelation zwischen diesem Index und der Geschwindigkeit des Abbaus von Ungleichgewichten durch innere Auf- und Abwertungen (Anteil von der Abweichung vom Gleichgewicht, der innerhalb eines Jahres korrigiert wird) für eine große Stichprobe von europäischen Ländern. Die Daten legen den Schluss nahe, dass Unterschiede im Zentralisierungsgrad der Lohnverhandlungen innerhalb Europas einen Einfluss auf die Dauer von internen Auf- und Abwertungsprozessen haben. In Ländern mit Arbeitsmärkten, die von relativ zentralisierten Lohnverhandlungen dominiert sind, wurden in den letzten Jahrzehnten Über- und Unterbewertungen der realen effektiven Wechselkurse langsamer reduziert als in Volkswirtschaften, deren Lohnsetzung verstärkt dezentral organisiert ist. Solche Unterschiede führen dazu, dass Ungleichgewichte in manchen Ländern langsamer abgebaut werden, als in anderen.

Dabei wird deutlich, wie wichtig die Institutionen und die Ausgestaltung des Arbeitsmarkts für eine Währungsunion sind und dementsprechend auch ein zentraler Anknüpfungspunkt, wenn es um das Beseitigen von Ungleichgewichten innerhalb der Währungsunion geht. Damit spiegeln sie das Spannungsfeld zwischen der nationalen Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsmarktinstitutionen wider, deren Mangel an Harmonisierung die ökonomische Nachhaltigkeit der Europäischen Währungsunion langfristig in Gefahr bringen könnte. (Jesus Crespo Cuaresma, 26.3.2019)