Baba, Wien! Andrea Breth inszeniert – vorläufig – das letzte Mal am Burgtheater.

Bernd Uhlig

Klassikerspezialistin – Der 66-jährigen Regisseurin wurde kein anderer Titel öfter verliehen. Indes wehrt Breth bei derartigen Schubladisierungen ihrer Arbeit mit dem schönen Wort "Quark" ab. Breths intensive Auseinandersetzung mit dem Dramenkanon ist allerdings nicht von der Hand zu weisen. Sie hat mit Dichtern wie Schiller, Kleist, Tschechow oder Ibsen jeweils ganze Zyklen erarbeitet. Tatsächlich aber – es ist wahr – gehen auch ganz anders formatierte Arbeiten auf ihr Konto. Projekte wie die szenische Installation Nächte unter Tage bei der Ruhrtriennale. Aber immer wieder auch die Neugierde für angelsächsische Gegenwartsdramatik, siehe Motortown von Simon Stephens im Akademietheater Wien 2008.

Siebengestirn – Andrea Breth wird von einigen pathosmutigen Theaterleuten zum "europäischen Siebengestirn" der Regie gezählt. Eine Orientierungsliste, auf die sich zwangsläufig nicht alle einigen können. Mit Peter Brook, Peter Zadek, Luc Bondy, Peter Stein, Klaus Michael Grüber und Ariane Mnouchkine gehört sie dem Club jener außergewöhnlichen Regisseure an, die im Verlauf der Nachkriegszeit das mitteleuropäische Theater federführend geprägt haben: ein Literaturtheater, das unverbrüchlich an Sprachkunst und Figuren festhält.

Wien – Dem Kulturmanager Nikolaus Bachler war es zu verdanken, dass Andrea Breth ab der Jahrtausendwende das Burgtheater zu ihrer künstlerischen Heimstatt machte. Hier entstanden – nach Breths eruptiven Jahren als Leiterin der Berliner Schaubühne – so gloriose Aufführungen wie Das Käthchen von Heilbronn, Maria Stuart, Emilia Galotti oder Don Carlos. Mit beiden Letzteren wurde sie 2003 und 2005 zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Im April des Vorjahres wuchtete sie Eugene O' Neills familiären Totentanz Eines langen Tages Reise in die Nacht auf die Bühne. Und die Stadt Wien selbst? "Die Schönheit glotzt einen stets an."

Frau – Tatsächlich hat sich seit Anfang der 1980er-Jahre, als Andrea Breth ihren Durchbruch hatte, am Theater geschlechterpolitisch vieles weiterentwickelt. Damals aber noch war das Regiefach eine gut geschützte Männerdomäne ("Na, wer hätte denn da vor mir sein sollen", sagte sie dazu in einem Profil-Gespräch). Mit Arbeiten wie Bernarda Albas Haus oder Julien Greens Süden ebnete Breth den Weg. Sie bleibt eine Referenzfigur und Pionierin für nachkommende Regisseurinnen.

Schauspieler – Die intensive Zusammenarbeit mit Schauspielern kann, gesteht Breth, zu "gefängnisartigen" Beziehungen führen. Wie das genau aussieht, bleibt ein Geheimnis und lässt sich auch an lebendigen Probenfotos nicht ablesen. Breth ist eine Regisseurin der Innerlichkeit, die für ein erzählendes, psychologisch-dramatisches Theater eintritt. Jede Figur hat ihre Philosophie, dazu müssen die Darsteller bereit sein. Zu dieser immer wieder erweiterten Breth'schen Schauspielerfamilie zählen Persönlichkeiten wie Corinna Kirchhoff, Elisabeth Orth, Wolfgang Michael, Andrea Clausen, August Diehl, Sven-Eric Bechtolf, Roland Koch, Johanna Wokalek und Nicholas Ofczarek. Letztere vier sind nun bei Gerhart Hauptmanns Ratten wieder dabei.

Fontanellen – Den Grad der Verletzlichkeit, dem Schauspielerinnen und Schauspieler während der Probenzeit unterliegen können, hat Andrea Breth einmal anatomisch beschrieben: Sie laufen mit offenen Fontanellen herum!

Jelinek – Das ist kurz gesagt: never ever. Mit formal undramatischen Texten und solchen, die der Einheit von Figur und Gesagtem nicht mehr vertrauen, kann Breth herzlich wenig anfangen. Dann lieber noch eine Romandramatisierung (siehe Verbrechen und Strafe bei den Salzburger Festspielen 2008). Den Raskolnikow spielte damals übrigens ein gewisser Jens Harzer.

Darmstadt – Hier wurde Andrea Breth 1952 als Tochter eines Professors für Bodenmechanik geboren. Riesenprojekte wie Staudämme bestimmten seine Arbeit. Größenverhältnisse, die – rein mutmaßlich – auch auf die Tochter muteinflößend gewirkt haben könnten.

Oper – Andrea Breth hat im Verlauf ihrer Karriere zunehmend auch Opern inszeniert. Opern sind "verdichtete Gefühlsräume", so Breth, und für eine Regisseurin der Innerlichkeit, wie sie es ist, liegt die Verbindung zur Musik, die Nähe zum musikalischen Ausdruck auf der Hand. Vor allem in Daniel Barenboim hat sie dafür einen verlässlichen Partner gefunden, siehe Eugen Onegin bei den Salzburger Festspielen 2007. Hier hat übrigens, wie nun auch bei den Ratten, Martin Zehetgruber das Bühnenbild entworfen.

Abschied – Ja, warum denn? Andrea Breth gibt das Theater nicht auf. Aber sie verabschiedet sich ex aequo mit der scheidenden Burgtheaterintendantin Karin Bergmann. Diese versammelt in der finalen Spielzeit die prägendsten Künstler ihrer Burgtheaterzeit noch einmal, u. a. Claus Peymann. Dass Andrea Breth nie mehr am Burgtheater inszenieren wird, daran kann noch gerüttelt werden. Im Gespräch mit den Salzburger Nachrichten meinte sie: "Im Moment ist es für mich die letzte." Das sei bei einem Intendantenwechsel "normal". (Margarete Affenzeller, 27.3.2019)