Der Mangel an Frauen in den Computerwissenschaften hat systemische Ursachen.

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Dass sich die Kultur in den Informationstechnologien automatisch ändert, wenn Frauen in die Teams kommen, ist ein Wunschgedanke. Auch die Rahmenbedingungen müssen sich ändern, fordern die Forscherinnen Magdalena Wicher und Anita Thaler im Gastkommentar.

Egal wie viele systemische Ursachen für einen Mangel an Informatikerinnen analysiert und wissenschaftlich belegt werden, am hartnäckigsten hält sich noch immer das gute alte Argument der "Technikferne der Frauen" (siehe etwa "Warum so wenig Frauen den Code knacken wollen"), die möglichst schon im Kindergarten bekämpft werden müsse. Richtig ist, dass wir bereits in der Ausbildung auf Vorschulniveau beginnen müssen, das Interesse für Technologien zu wecken, und diese Thematik in die Ausbildung der angehenden Pädagoginnen und Pädagogen für die Kleinsten sowie alle anderen Schultypen bis hin zur Hochschulbildung integriert werden sollte. Richtig ist ebenso, dass nach wie vor stereotype Rollenbilder und auch Berufsbilder vorherrschen, die Männer als technikaffin und Frauen als sozial begabt darstellen.

Gleichzeitig weisen die im STANDARD-Artikel korrekt dargestellten Fakten – der Anteil an Progammiererinnen ist historisch geprägt und geografisch stark unterschiedlich – darauf hin, dass das Interesse an der Materie und der Mangel an Frauen in den Computerwissenschaften kein "Frauending" sind, sondern systemische Ursachen in Fach- und Organisationskultur haben.

Technologische Grundbildung für alle

Wie im Artikel gefordert, empfehlen auch wir basierend auf unseren Studien und wissenschaftlichen Erkenntnissen eine technologische Grundbildung für alle – also im Pflichtschulbereich –, die sowohl Anwendungsfähigkeiten wie Coding als auch Reflexionswissen zu sozialen und ökologischen Implikationen von Technologien umfasst. Schließlich geht es in unserem von Technologien durchdrungenen Alltag darum, mittels technologischer Kompetenz an gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen aktiv teilhaben und mitbestimmen zu können. Weiter betrachtet geht es nicht um Ausbildung und Aneignung unterschiedlicher Programmier- und Computerfertigkeiten, sondern um Bildung und Ermächtigung zum Erhalt demokratischer Kompetenzen und Werte.

Institutionelle Diskriminierung

Damit wir diese Fähigkeiten stärken und erhalten und Technologie für alle spannend vermitteln können, muss sich eben auch die Fach- und Organisationskultur in der Informationstechnologie ändern, sie muss durchlässiger werden für alternative Ansätze und für diverse Menschen. Und weil sich Organisationen nicht automatisch ändern, wenn "untypische" Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (hinsichtlich Geschlecht, Sexualität, Hautfarbe, Religion, Alter) ins Team kommen, besteht die Gefahr, dass diese Menschen aufgrund ihres Andersseins subtilen Diskriminierungen oder gar expliziten Ausgrenzungen ausgesetzt sind.

Nicht wegen ihres mangelnden Interesses geben sie auf beziehungsweise werden hinausgedrängt, sondern infolge ihrer subjektiv empfundenen "Nichtpassung" ins System. Dies geschieht meist subtil und unreflektiert, weshalb auch von ambivalentem Sexismus beziehungsweise institutioneller Diskriminierung gesprochen wird. Es geht nicht um die Frage nach dem Willen, sondern um die Möglichkeiten und Voraussetzungen, die Personen, die den stereotypen Vorstellungen im System nicht entsprechen, vorfinden.

Der Wunschgedanke vom automatischen Kulturwandel

Die Ansicht, dass sich durch die Integration einiger Frauen in Informatikausbildungen und -berufe die Kultur in den Informationstechnologien automatisch ändert, ist also leider ein Wunschgedanke. Eine derart kurzsichtige Denkweise führt lediglich dazu, dass (weiterhin) Menschen frustriert werden, die mit einem anderen Denkansatz, mit anderen Erfahrungen oder schlichtweg nicht dem Klischee entsprechend am vorherrschenden System (eventuell) scheitern.

Und deshalb nutzt es auch nichts, wenn wir alle Jahre wieder am Internationalen Frauentag Mädchen und Frauen "ermutigen", Programmieren zu lernen und in gut bezahlte Informatikjobs zu gehen, wenn die Rahmenbedingungen dort noch nicht wirklich reif sind für alternative Ideen und vielfältige Lebensentwürfe abseits klassischer Stereotype.

Coding neu denken

Was wir stattdessen brauchen, ist die aktive Gestaltung und Teilhabe diverser Menschen an einer Technikbildung für alle, in der auch Codes abseits herkömmlicher Normierungen und Standards entwickelt werden und Coding neu gedacht werden darf. Von ursprünglichen Ideen, Codes zugänglich und verständlich für alle zu entwickeln, sind wir heute weit entfernt.

Gleichzeitig sollte die Informatikbildung in Österreich auf unterschiedlichen Niveaus ausgebaut werden: Beginnend bei der Bildung im Pflichtschulbereich wäre es eine Voraussetzung, den Zugang zu Universitäten nicht durch Aufnahmetests zu limitieren, sondern weiter geöffnet und darüber hinaus interdisziplinär zu verschränken. Programmieren dient ja keinem Selbstzweck, sondern ist eingebunden in gesellschaftlich relevante (Ethik, Datenschutz), ökonomische und ökologische Diskussionen. Deshalb ist eine Verbindung von Informations- und Kommunikationstechnologien mit human- und sozialwissenschaftlichen Fächern nicht nur ideal, um eine breitere Population an potenziellen Coderinnen und Codern zu gewinnen, vielmehr geht es im Sinne partizipativer Ansätze darum, Technologien gemeinsam mit Userinnen und Usern und deren konkreten Bedürfnissen zu entwickeln. (Magdalena Wicher, Anita Thaler, 26.4.2019)