Das Ziel der Identitären – im Bild bei einer Demonstration an der österreichisch-slowenischen Grenze: Länder mit geschlossenen Grenzen, in denen homogene Völker leben.

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Nachdem bekannt wurde, dass der Obmann der Identitären 2018 eine Spende des Attentäters von Christchurch erhalten hatte laufen gegen den Mann Ermittlungen wegen des Verdachts der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung. Das Weltbild der Identitären ist ein "rassistisches System mit zwei Menschenklassen", so der Politikwissenschafter René Rusch im Gastkommentar.

Die Identitären zu verbieten wird misslingen und ihnen nur ein weiteres David-gegen-Goliath-Bild für ihre Social-Media-Heldengalerie liefern. Unabhängig davon scheint ihre Gesinnung erstaunlicherweise für viele immer noch schwer zu fassen zu sein. Wie sieht das identitäre Weltbild aus? Ein Blick auf ihre zentralen Begriffe zeigt: Den Null-Prozent-Rassismus-Schmäh sollte man ihnen nicht abkaufen.

Volk und Identität markieren die höchsten Autoritäten im identitären Weltbild. Definiert wird das Volk als "organische Gemeinschaft, in die wir hineingeboren sind". Was diese ausmacht, ist "die kulturelle und ethnische Substanz, die sich über Jahrtausende hinweg erhalten hat". Damit die Volksgemeinschaft erhalten bleibt "müssen wir achtgeben, dass nichts, auch nichts Physisches, verloren geht, dessen das Deutschtum bedarf. In Abstammungsdeutschen ist aufgehoben, woraus sich das Deutsche überhaupt speisen kann."

Homogene Völker

Fundamental ist den Identitären die Homogenität des Volkes. Um diese zu erreichen, genügt es nicht, die Grenzen zu schließen. Es herrscht ja "Überfremdung". Also müssen all jene, die als fremd eingestuft werden, außer Landes geschafft werden. Eine solche Politik, die Martin Sellner als "nicht verhandelbar" einstuft, liefe auf millionenfache Massenabschiebungen hinaus. Die Identitären nennen es "Remigration".

Ethnopluralismus beschreibt ihre ideale Weltordnung. Dabei schwadronieren sie gerne von der Vielfalt der Völker als einem Schatz, der verlorenzugehen droht. Bedrohte Völker sind demnach nicht nur indigene Stämme, deren Lebensraum zerstört wird, sondern alle Völker. Was sie bedroht, ist die "Vermischung" untereinander. Um das zu verhindern, müssen die Völker strikt voneinander getrennt werden: "Die ethnokulturelle Einzigartigkeit ergibt sich aus der Abgrenzung zu anderen, ebenso einzigartigen Lebenswelten." Das erklärte Ziel sind Länder mit geschlossenen Grenzen, in denen homogene Völker leben: "Nur eine Politik der Grenzschließung, Leitkultur und Remigration kann das Ende unserer Identität und Demokratie aufhalten."

Kollektiver Zwang

Wenn von "organischer Gemeinschaft" die Rede ist; wenn es "Abstammungsdeutsche" für den Erhalt des Deutschtums braucht; wenn eine Welt mit "homogenen Völkern" angestrebt wird, dann darf wohl zu Recht die Rassismuskeule ausgepackt werden. Für die Identitären ist Gruppenzugehörigkeit weder verhandel- noch veränderbar. Identität ist kein individuelles Angebot, sondern kollektiver Zwang. Für Fremde und "Nicht-genug-Deutsche" besteht keine Möglichkeit, ihren Ausschluss zu überwinden.

Dem Rassismusvorwurf entgegnen die Identitären Standardisiert mit: "Wir achten und schätzen alle Kulturen." Ausgehend von einer überholten Rassismusdefinition lautet ihr Argument sinngemäß: "Wir können nicht rassistisch sein, weil wir nicht hierarchisieren." Nun trifft es zu, dass Hierarchisierung ein wesentliches Element von Rassismus ist. Und wäre die Dystopie voneinander getrennter, homogener Völker Wirklichkeit, könnte man eine Gleichwertigkeit auf abstrakte Weise als gegeben annehmen. Die Crux: Im heutigen Europa herrscht "ethnokulturell" das reinste Chaos. Selbst die Identitären erkennen das an, indem sie vehement "Remigration" fordern.

Theoretische Gleichwertigkeit

Was würde geschehen, wenn das Modell des "Ethnopluralismus" umgesetzt werden würde? Inwiefern wären die Mitglieder der verschiedenen Gruppen gleichwertig, wenn es daran ginge, das Territorium zuzuteilen? In Österreich hätten selbstverständlich allein die "echten" Österreicher das Recht zu bleiben. Alle anderen müssten gehen. Von der ihnen zugestandenen Gleichwertigkeit könnten sie sich dann in einem anderen Land ein neues Haus kaufen. Es ist offensichtlich, dass die behauptete Gleichwertigkeit nur in der Theorie besteht.

Denkt man die identitären Ideen durch, landet man in einem rassistischen System mit zwei Menschenklassen. Abgesehen davon, dass eine "ethnopluralistische" Ordnung nur mit rigoroser Gewalt herstellbar wäre – es blieben immer Menschen über, die nirgends dazupassten. Was würde mit jenen geschehen, die nicht als "Abstammungsdeutsche" durchgingen, aber auch nicht spanisch, türkisch et cetera genug wären, um woanders dazuzugehören? Sofern die "Völkische Internationale" nicht dazu übergehen würde, exterritoriale "Mischlingslager" zu errichten, würden Menschen mit Migrationshintergrund in Österreich bleiben. Wie ihr Leben hier verlaufen würde, lässt sich in Geschichtsbüchern unter dem Eintrag Apartheid nachlesen.

Die Identitären mögen der "Herrenrasse" abschwören und ihre Gesinnung verschleiern – tatsächlich laufen ihre Konzepte auf die ewiggestrige Forderung heraus: "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!" Und wer nicht deutsch genug ist, muss gehen. (René Rusch, 29.3.2019)