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Im New Yorker Guggenheim Museum ließ Fotokünstlerin Nan Goldin im Februar Parolen wie "Sacklers lügen, Menschen sterben" als Protest regnen. Die Rückseite der Zettel spielten auf Rezepte an und verschrieben im Namen Robert Sacklers "80mg Oxycontin 24-mal täglich". Auch Oxycontin-Pillendosen mit der Aufschrift "Extrem süchtigmachend, tötet..." wurden von Goldin und ihrer Gruppe "Prescription Addiction Intervention Now" (P. A. I. N.) in der berühmten Rotunde des Baus verstreut.

Foto: Yana Paskova / Eyevine / picturedesk.com

Aufnahmen von Sex und Drogenmissbrauch machten die US-Fotokünstlerin Nan Goldin in den 1980ern weltberühmt. Sie zapfte für ihre Kunst stets ihr Leben an. Eigene Erfahrungen sind auch Ausgangspunkt für eine Protestaktion, mit der sie bisher geltende Gewohnheiten des Kunstsponsorings aushebeln könnte.

Goldin (65) macht seit vorigem Jahr nämlich gegen die US-Unternehmerfamilie Sackler mobil. Die Sacklers vertreiben als Eigentümer von Purdue Pharma das stark süchtigmachende Schmerzmittel Oxycontin. 2017 sollen in den USA 48.000 Menschen in Verbindung mit dem eigentlich rezeptpflichtigen Mittel gestorben sein, seit seiner Einführung 1995 wird die Zahl auf 400.000 geschätzt. Goldin selbst wurde im Zuge einer Handgelenksoperation 2014 von dem Medikament abhängig.

Als sie sich die Dosen am Schwarzmarkt nicht mehr leisten konnte, wich sie auf harte Drogen aus und starb fast an einer Überdosis Fentanyl. Seit einem Entzug vor zwei Jahren protestiert sie dagegen, dass Museen in Europa und den USA von den Sacklers Spenden in Millionenhöhe annehmen.

Max Hollein zögert noch...

Und das sind einige. Die Familie Sackler steht laut Forbes mit einem Vermögen von 13 Milliarden Dollar auf Rang 19 der reichsten Familien Amerikas. Philantropische Spenden sind Teil der Familientradition. Obendrein sind die Sacklers nicht nur potente Finanziers, sie mischen sich zudem kaum inhaltlich ein.

Aufgrund dessen beliebt bei Museen sponsern sie etwa die National Portrait Gallery, die Tate und das Victoria and Albert Museum in London, das Guggenheim Museum und das Metropolitan Museum in New York, das Jüdische Museum in Berlin oder den Louvre in Paris. Überall gibt es nach ihnen benannte Flügel oder Centers.

Jetzt aber dreht sich der Wind. Nachdem Goldin gedroht hatte, eine Retrospektive ihrer Werke in der National Portrait Gallery abzusagen, verzichtete diese vergangene Woche auf eine Sackler-Spende in Höhe von 1,3 Millionen Dollar. Damit gab sie als erste große Institution dem Protest nach. Die Tate-Museen zogen nach, und auch das Guggenheim hat nach einer Flugblattaktion von Goldin ("Sacklers lügen, Menschen sterben") dieser Tage entschieden, fortan ohne die Dollars der Pharma-Familie auszukommen. Das seit letztem August vom Österreicher Max Hollein geführte Metropolitan Museum in New York überlegt noch, wie es in Zukunft mit dem Geld der Sacklers umgehen soll.

Die Familie Sackler gab indes bekannt, die Aufregung schade den Museen. Laufende Spenden würden weitergeführt, neue liegen aber vorerst auf Eis.

Moral steht hoch im Kurs

Hierzulande sind Museen weniger von Spendern abhängig als in Amerika. Dort kennt man Künstlerproteste etwa bereits gegen Sponsoren aus der Rüstungsindustrie. So erfolgreich wie jener Goldins gegen die Sacklers war aber noch keiner. Vielleicht, weil Medikamentenabhängigkeit in den USA mittlerweile zu einem riesigen Problem geworden ist.

Jedes Jahr sterben an Opiaten mehr Menschen als im Verkehr und an Schusswaffen. Eine Prozesslawine ist deshalb im Rollen. Gerade wurde Purdue Pharma zu einer Strafe in Höhe von 270 Millionen Dollar verurteilt, etwa 1600 weitere Klagen wegen irreführender Angaben zur Suchtgefahr des Schmerzmittels und weil der Konzern Ärzte zur Verschreibung unnötig hoher Dosen gedrängt haben soll, laufen.

Um Sponsoren werbende Häuser bringt dieser Präzedenzfall jedenfalls unter Druck. Die Moral stand im üblicherweise von Geld getriebenen Kunstbetrieb lange schon nicht mehr so hoch im Kurs. Bewegungen wie #MeToo und Black Lives Matter demonstrieren das seit einigen Jahren. Im Zeitalter sozialer Netzwerke steigt bei "Verstößen" zudem die Shitstormgefahr. Während Museen Kritik an Sponsoren früher kaum kommentierten, äußern sie sich nun oft zerknirscht. Moral wird zu einem wirtschaftlichen Faktor.

Goldin fordert Wiedergutmachung

Die Strategie "kultureller Weißwaschung" durch Kultursponsoring, wie Kritiker es nennen, birgt seit Goldins Erfolg auch für Unternehmen Gefahren. Spenden, die bisher gewohnheitsmäßig gute PR versprachen, könnten nun unnötig die Aufmerksamkeit einer kritischen Öffentlichkeit auf sich zu ziehen.

Nan Goldin hat ohnehin andere Pläne für das "Blutgeld", wie sie die Donationen der Sacklers nennt. Sie fordert von Institutionen, den Namen der Familie von ihren Fassaden zu entfernen. Die Sacklers sollten mit ihrem Geld statt dessen Wiedergutmachung an denen leisten, denen sie mit Oxycontin geschadet hätten. (Michael Wurmitzer, 30.3.2019)