Im Windschatten eines wiedererstarkten Nationalismus drängen vermehrt auch rechtsextreme Gruppierungen wie die Identitären selbstbewusst ans Licht der Öffentlichkeit. Sie inszenieren sich als Hüter der freien Meinungsäußerung und verschieben mit auf Provokation angelegten Aktionen die Grenzen des gesellschaftlich akzeptierten Diskurses.

"Effektive" Protestaktionen

Ob "effektiv" tatsächlich die richtige Kategorie zur Beurteilungen dessen ist, was den Identitären offenbar zu gelingen scheint, darüber lässt sich streiten. Aber sagen wir so, ihre Strategie ist darauf ausgerichtet, in den verschiedenen Öffentlichkeiten medial aufzuschlagen und immer wieder sichtbare Einschläge zu hinterlassen. Ein Merkmal ihrer Aktionen ist, dass es zunächst um ein Vorkommen und Präsentsein geht. Wenn wir uns mit diesen Aktionen auseinandersetzen, müssen wir zunächst verstehen, dass es nicht um ein argumentatives, auf Überzeugen des Publikums zielendes Vorgehen geht, sondern dass es sich um eine – sagen wir mal – auf mediale Präsenz zielende Strategie handelt. Dieses implizite kommunikative Handeln zielt auf Verstören und Einschüchtern ab. Das ist deshalb von Bedeutung, weil es auch etwas über die Möglichkeit der Auseinandersetzung und die Stoßrichtung etwaiger Reaktionen und Gegenaktionen besagt. Ihre Aktionen funktionieren nicht, weil sie besonders "effektiv" sind, sondern weil sie "auf der Höhe der Zeit" sind.

Aktionen auf der Höhe der Zeit?

Ihre Aktionen intervenieren unter den gegenwärtigen medialen und politischen Bedingungen. Dazu zählen die Verfasstheit und Funktionsweise der Mainstreammedien genauso wie die Möglichkeiten der Selbstrepräsentation in den sozialen Medien. Das umreißt aber nur den technischen beziehungsweise institutionellen Rahmen. Hinzu kommen selbstverständlich politische und sozioökonomische Voraussetzungen, ohne die ihre Aktionen ins Leere stießen und einfach verpuffen würden. Eine weitere zentrale Voraussetzung dafür, dass diese vor allem auf Medienresonanz ausgerichteten symbolischen Interventionen politisch funktionieren, also Eindruck hinterlassen, besteht in einer umfassenden Tendenz der gesellschaftlichen Ästhetisierung. Und damit eng verknüpft auch die fortschreitende Ästhetisierung des Politischen. Dieses Vorgehen beruht insofern keineswegs auf der Analysefähigkeit der Identitären oder stellt gar ihr Spezifikum dar, sondern folgt schlicht und einfach aus einer omnipräsenten Praxis der politischen Kommunikation im Ganzen, zumindest in jenen Ländern, deren historische Entwicklung sich als ästhetischer oder kognitiver Kapitalismus analysieren lässt.

Die Zusammensetzung der gesellschaftlichen Arbeitskraft findet ihr aktuelles Pendant in der Gegenwart in Form der Produktion von Symbolen. Der Widerstand nutzt die Möglichkeiten zur Produktion von Symbolen in jeweils spezifischer Weise. Daraus resultiert eine politische Praxis, die vor allem darin besteht, die jeweiligen politischen Inhalte von Protest in performative Inszenierungen, Bildern und Töne zu übersetzen, die in der Lage sind, prägnant und einfach komplexe Sachverhalte "auf der Höhe der Zeit" zu repräsentieren. Doch diese Art der Artikulation der jeweiligen Inhalte ist nicht das Privileg der Linken oder der verschiedenen NGOs.

Hierauf verstehen sich auch die Identitären in ausgezeichneter Weise. Für die mediale Rückkoppelung sorgen Aktivistinnen und Aktivisten entweder selbst oder die Aufregung in den Mainstreammedien, die sich vor allem darüber empört bis irritiert zeigen, dass die Identitären sich der Protesttechniken der neuen sozialen Bewegungen und der neuesten Medientechnologien zur Aufmerksamkeitserzeugung angeeignet haben. Damit das funktioniert, bedarf es keiner sozialen Bewegung oder einer massenhaften Mobilisierung, sondern schlicht nur der Kenntnis, wie die medial vermittelte Öffentlichkeit gegenwärtig funktioniert. Diese Praxis der Bild- und Symbolproduktion produziert kein Wissen, keine Fakten, sondern inhaltliche Verkettungen mit diffusen Stimmungen und Latenzen, die bereits in verschiedenen parteipolitischen Kontexten (Front National, FPÖ oder AfD) gleichermaßen explizit artikuliert werden. Das bedeutet umgekehrt auch, dass sich diesen Stimmungen und Bildern nicht mit Fakten, Aufklärung oder Gegeninformation beikommen lässt. Effektiv sind die Aktionen deshalb, weil sie auf der "Höhe der Zeit" sind.

Gegen die Identitären wird immer wieder protestiert.
Foto: imago/Deutzmann

Symbolischer Protest oder größere Strategie?

Es wäre gefährlich, diese Art von Aktionen zu unterschätzen. "Symbolisch" bedeutet zum einen nicht irrelevant und folgenlos, zum anderen sind alle Formen der Repräsentation in gewisser Weise symbolisch. Hier müssen wir wohl eine Unterscheidung vornehmen, die den Gebrauch des Terminus "symbolisch" im Kontext des politischen Feldes umreißt. Der Begriff der "symbolischen Politik" meint häufig ein scheinhaftes Als-ob-Handeln. Ein solches Verständnis impliziert, dass es sich um eine Scheinpolitik handelt, die ein Problem auf eine andere Ebene verschiebt, nicht zu den tatsächlichen Ursachen vordringt und auch keine entsprechenden zielführende Maßnahmen vorsieht. Zumeist lässt sich unterstellen, dass es um die Vermeidung von relevanten Konsequenzen, sprich um folgenloses Handeln oder Reden geht. Wenn ich im Zusammenhang der Identitären von symbolischer Politik spreche, meine ich etwas anderes, das zwar auch immateriell, aber dennoch wirkmächtig ist.

Ein gutes Beispiel ist die Aktion "Defend Europe" der Identitären im Sommer 2017 im Mittelmeer. Mit einer nicht unerklecklichen finanziellen Hilfe aus der Schweiz und den USA ist es ihr gelungen, mit der C-Star ein Boot auf dem Mittelmeer anzumieten. Hiermit wollten sie die Seenotrettung von Flüchtlingen "torpedieren". Im Zuge dieser Aktion behaupteten sie, die Flüchtlingshilfsorganisationen (NGOs) würden mit den sogenannten "Schleppern" Absprachen treffen. Die Aufregung war groß, und das mediale Echo war noch größer. Das erklärte Ziel war, die Seenotrettung im Sinne einer direkten Aktion zu behindern oder zu verhindern. Dazu waren sie aber weder politisch, materiell noch logistisch in der Lage. Sie mögen dies rhetorisch behauptet haben, und die Romantik der vermeintlich direkten Aktion auf hoher See war Bestandteil dieser Kampagne. Wobei entsprechend plakative Bilder sicher hochwillkommen gewesen wären. Der Effekt stellte sich aber auf einer anderen Ebene ein. Die Aktion war ziemlich clever aufgesetzt. Die Häme über die zahlreichen Missgeschicke mit und auf der C-Star ist zwar verständlich und auch ein sinnvoller Teil der Gegenstrategie. Der Widerstand, der ihrem Vorgehen in einzelnen Häfen entgegengesetzt wurde, war ebenfalls sehr ermutigend.

Dennoch konnten sie diese Aktion als Erfolg verbuchen. Es war nämlich eine überwiegend symbolische Aktion, die über das inszenierte Spektakel und die reine Ankündigung Aufmerksamkeit und Diskursteilhabe generierte: für sich als Identitäre, aber eben auch für den Versuch, die Praxis der Flüchtlingsrettung zu kriminalisieren. Gemeinsam mit anderen interessierten politischen Kräften, zum Beispiel in Italien und auch in Österreich, wurde diese Aktion Teil jenes Diskurses, der die Handlungsfähigkeit der Seenothilfe einschränken sollte. Daran arbeiten aber nicht nur die Identitären, sondern beispielsweise auch Italien oder Frontex. In diesem Sinne produzierten sie Bilder für die Mainstreammedien, in den sozialen Medien, aber auch in den Köpfen der antirassistischen Unterstützerinnen und Unterstützer. So wurde aus einer Mücke ein Elefant. Der Punkt war nämlich nicht der, dass sie die Rettung de facto behinderten, sondern die Erzeugung der Imagination, dass sie es können. Für die NGOs war es natürlich eine äußerst unangenehme Vorstellung bei der sowieso schon prekären Situationen, die Hasardeure der Identitären imaginär wie leiblich im Nacken zu wissen. Das zeigt, was die Formulierung "auf der Höhe der Zeit" meint. Nämlich dass solch ein überwiegend symbolisches Handeln durchaus relevant ist, eben nicht folgenlos oder beliebig bleibt.

Aneignung der Mittel sozialer Bewegungen

Die Tatsache, dass jemand protestiert, ist aus meiner Sicht kein Inhalt. In der Tat ist es aber so, dass der Akt des Protests in der gesellschaftlichen Wahrnehmung häufig mit spezifischen Inhalten verknüpft erscheint. In den 60er- und 70er-Jahren waren lange Haare unter jungen Männern der Ausdruck einer systemkritischen Haltung. Dies galt im Zuge des Global-Justice-Movements, das fälschlicherweise häufig als Globalisierungskritik-Bewegung bezeichnet wird (denn der Begriff der Gerechtigkeit macht den Unterschied zur rechten Globlalisierungskritik aus), eben auch für spezifische Formen des Protests.

Doch: Protest ist nicht per Definition links. Bereits im 19. Jahrhundert finden sich Elemente von Protest, die sich gegen Minderheiten richten. Hier wären die antisemitischen Pogrome oder auch bestimmte Formen von Katzenmusiken (Charivaris) zu nennen. Die bereits eingangs erwähnte Ästhetisierung des Protests ging mit dem Aufkommen des Global-Justice-Movements seit Ende der 1990er-Jahre einher. Sie ist eben auch ein Reflex eines allgemeinen soziokulturellen Wandels, der nicht nur durch die emanzipatorischen politischen Kräfte artikuliert wird. Im bisweilen eingeschränkten Horizont einiger subkultureller linker Gruppen mag das eine Überraschung sein und bisweilen auch Verzweiflung bedingen. Aber die Tatsache, dass die Identitären auf das "Handbuch der Kommunikationsguerilla" der autonomen "a.f.r.i.ka."-Gruppe zurückgreifen (wie die Werbebranche übrigens auch), zeigt nur, dass sich auch die konformistische Rebellion in der Wahl ihrer Mittel auf der Höhe der Zeit befindet. Oder, theoretisch gesprochen: Die Subjektivierungsweisen sind vom ästhetischen beziehungsweise kognitiven Kapitalismus durchdrungen. Das kann in einem emanzipatorischen Sinn oder für reaktionären Zwecke erfolgen.

Wie kann eine Gesellschaft auf antidemokratische Gruppierungen antworten?

Die Ideologie von Gruppen wie den Identitären speist sich aus einem Blick auf eine Vergangenheit, die es so nie gegeben hat. Die Anrufung einer vermeintlich intakten Heimat mobilisiert einen Mythos. Damit wird in Zeiten von Mobilität, Globalisierung und Beschleunigung der kindlich anmutende Wunsch nach Wiederherstellung einer heilen Welt mobilisiert. In dieser Traumwelt gab es für jedes Problem "eine Geschichte". Fantasie und Wirklichkeit sind noch beziehungsweise wieder ungeteilt. Das Begehren, diese nie existierende Vergangenheit wiederherzustellen, erscheint mir tief in der mit der neoliberalen Ideologie verbundenen Subjektivierung eingeschrieben. Das macht die Schlagkraft einer solch negativen Utopie aus. Und das umreißt das Unspezifische des "Wir", mit dem die Identitären in der Öffentlichkeit auftreten. Was sich dem entgegensetzen lässt, sind vermutlich nicht die richtigen Fakten, die Wahrheit oder eine menschlichere Utopie. Das schadet sicher nicht, und in einer demokratischen Gesellschaft bedarf es auch der Fähigkeit zu verbindlichem Konsens und rationalem Austausch.

Aber ich denke, die einzig wirksame Antwort ist eine andere und bessere und attraktivere soziale Praxis und damit auch ein anderes "Wir". Das bedeutet eine Politik, die auf nichtwarenförmige menschliche Beziehungen und ein Zurückdrängen von Konkurrenzdenken setzt. Es bedeutet, das Aufscheinen von nichthierarchischen Beziehungen attraktiv zu machen. Das wird die Rechtsextremen und Nazis nicht zu einem Umdenken bewegen, ihnen aber den gesellschaftlichen Resonanzboden entziehen. In Bezug auf die jungen Menschen bei den Identitären: Es geht um Attraktivität und Hegemonie. Es muss einfach uncool sein, zu den Gefängniswärterinnen und Gefängniswärtern der Identität zu gehören. Es bedeutet schlechteren Sex und ein borniertes Leben. Ihre repräsentativen Mittel mögen auf der Höhe der Zeit sein, nicht aber ihr Begehren und ihre traurigen Fantasien. Wir müssen sie auslachen und bemitleiden. Gleichzeitig müssen wir ihren Bewegungsspielraum physisch wie ideologisch einengen. (Klaus Schönberger, 4.4.2019)