Juan Amador wurde vom Guide Michelin zu Österreichs erstem Drei-Sterne-Koch gekürt.

Foto: Inge Prader

Restaurantkritiker Jürgen Dollase sagt in seiner Stellungnahme: "Die lokalen Journalisten kommen mit dem dritten Stern für Juan Amador nicht zurecht."

Foto: imago_Manfred Segerer

Die Präsentation des Guide Michelin "Main Cities of Europe" fand diesmal in Wien statt.

Foto: Paris Tsitsos

Ein gutes Beispiel für grenzüberschreitendes Kochen gab laut Severin Corti schon 1858 Katharina Prato mit ihrem in Graz erschienenen Kochbuch "Die Süddeutsche Küche" ab.

Foto: Die Süddeutsche Küche", Graz 1898/Public Domain
Foto: APA_AFP_TOBIAS SCHWARZ

Österreich hat mit dem Deutsch-Spanier Juan Amador seit vergangener Woche den ersten Drei-Sterne-Koch seiner Restaurantgeschichte – und den ersten in der Geschichte des legendären Michelin-Guides, der in einem Land ausgezeichnet wurde, das keinen eigenen Michelin hat, sondern lediglich im Sammelwerk "Main Cities of Europe" vorkommen darf.

Zu dieser über Österreich weit hinausweisenden Nachricht haben wir Meinungen heimischer Fachleute ("Reaktionen zu Michelin") eingeholt, ich habe in einem kleinen Kommentar für den STANDARD ("Amador: Drei Sterne, die nicht funkeln") eine Einordnung versucht. Dass die Ehrung mehr als verdient sei, war darin zu lesen, dass sie für die anderen Spitzenköche des Landes aber auch als Richtungsentscheidung verstanden werden könne, welche Art von Küche der weltweit gewichtigste Guide in Österreich als einzige für die Topwertung würdig befindet.

Im deutschen Feuilleton, ob bei Großkritiker Jürgen Dollase ("Ganz kleines Karo in Wien"), bei Hans-Peter Siebenhaar im "Handelsblatt" ("Der Guide Michelin hat ein Problem in Österreich"), in den sozialen Medien und manchem Blog ("Alter, weißer Koch") aber wurde dies offenbar als persönliche Beleidigung und Symptom des "verletzlichen kulinarischen Selbstbewusstseins" der österreichischen Gastronomieszene gegenüber Deutschland gewertet. Einer Küche wie der österreichischen, der es "an Weltoffenheit und Innovation fehlt" und die sich nur in "immer neuen Variationen von Innereien oder bewährten Klassikern" ergehe, der könne sich der "kulinarische Fortschritt" eben nicht erschließen, befand das "Handelsblatt".

Das sind gewichtige Worte, noch dazu, wenn sie aus der anerkannten kulinarischen Großmacht Deutschland kommen, die nach Frankreich die meisten Drei-Sterne-Köche Europas vorweisen kann. Dass sie die Argumentation meines Kommentars (am Ende gar unbewusst?) aufgreifen – und den mit der Ehrung für Amadors Küche offenbar beabsichtigten Fingerzeig aus der Michelin-Zentrale in Karlsruhe für die nach Sternen lechzenden österreichischen Großköche noch verstärken: geschenkt. Viel wichtiger war den deutschen Kollegen offenbar, mit der Verleihung "einen Schlag in die Magengrube von Österreichs Feinschmeckern" zu verorten.

Genau beäugt

Dabei hätte Juan Amadors Küche es sich verdient, ein bisschen genauer betrachtet zu werden, statt nur als Retourkutsche für die angeblich kalte Schulter unsererseits herhalten zu müssen, mit der die Deutschen uns jetzt triumphierend in die Parade fahren wollen. Der Meisterkoch, der im Deutschland-Guide bereits achtmal in Folge drei Sterne bekommen hatte, pflegt nämlich einen ganz bemerkenswerten Stil, der wie ein diametraler Gegenentwurf zu dem wirkt, woran sich Österreichs Köche seit Jahren abarbeiten: Amador serviert ein von Region und Saison weitestgehend abgehobenes, statisches Menü aus importierten Nobelprodukten, zum allergrößten Teil in Form jahrelang erprobter Signature-Dishes. Solches war zuletzt vor der Erfindung der "Nouvelle Cuisine" durch Paul Bocuse und seine Mitstreiter in den 1970er-Jahren für die feine Küche charakteristisch– und kommt sonst nur noch in Retorten-Restaurants zwischen Dubai und Disneyworld oder aber bei ganz wenigen ganz "heiligen Kühen" der französischen Gourmetwelt vor. Letztere freilich haben sich die denkmalhafte Abbildung der Herrlichkeiten ihres jeweiligen Terroirs zur Aufgabe gemacht und damit den Qualitätsfanatismus der französischen Lebensmittelproduktion zu immer neuen Höchstleistungen inspiriert.

Damit aber konnte Amador niemals dienen. Ganz einfach, weil deutsche Qualitätslandwirtschaft mit einer gewichtigen Ausnahme (dem Weinbau) bis heute nur in Spurenelementen existiert. Und es für Amador – wie für alle Dreisterner Deutschlands – folglich nur das Ausland gab, wenn sie in der Bundesrepublik mit guten Produkten kochen wollten. Deutschland ist nun einmal das Land der billigsten Lebensmittel Europas und damit, wie gerade Jürgen Dollase nicht müde wird anzuklagen, auch jenes der minderwertigsten Lebensmittel Europas.

Österreich hat wenig Grund, sich in dieser Hinsicht überlegen zu fühlen – wären da nicht seine Köche, die seit bald zwei Jahrzehnten erkannt haben, dass eine fundierte kulinarische Identität nur mit lokaler Qualitätsproduktion und in enger Zusammenarbeit mit engagierten Produzenten möglich ist. Das ist natürlich ungleich mühsamer (man muss auch so manchen Irrweg gehen, bevor man endlich vorankommt), als sich auf anerkannte Luxus-Viktualien von anderswo zu stützen.

Verankerung in der Region

Es hat aber den Vorteil, dass man sich schön langsam wieder eine eigene kulinarische Identität zimmern kann. Das machen Österreichs Köche von Heinz Reitbauer und den Obauer-Brüdern über Philip Rachinger und Lukas Nagl bis zu Andreas Döllerer und Harald Irka nun schon seit vielen Jahren. Und sie werden, durchaus im Gegensatz zu Deutschlands Drei-Sterne-Establishment, dafür auch zunehmend international wahrgenommen und weitergereicht. Auch in Deutschland versucht eine junge Generation deutscher Köche, ob im Nobelhart & Schmutzig oder dem Ernst in Berlin, eine Neupositionierung der deutschen Küche über die Verankerung in der Region. International wird sie dafür gefeiert – dem Michelin aber ist auch sie keine drei Sterne wert.

Deshalb, und nur deshalb, wäre es ein entscheidender Fehler, der Entscheidung Michelins für Amador als Fingerzeig zu folgen, wo die drei Sterne auch für die anderen Top-Köche Österreichs zu holen wären. Was unsere Küchenarbeiter in mühsamer Kleinarbeit an Eigenständigkeit auf die Beine gestellt haben, ist ein zu wertvolles und zartes Pflänzchen, als dass es auf dem Altar einer zusehends dem Pomp, der bonzenhaften Maßlosigkeit und der beliebigen Luxusgier frönenden, von deutschen Testern beförderten Michelin-Welt geopfert werden dürfte.

Unseren großen deutschen Brüdern sind wir dessen ungeachtet in unverbrüchlicher Liebe zugetan. Wir werden sie weiterhin reichlich mit dem Besten verwöhnen, was unsere gemeinsame Küche zu bieten hat. Das ist schließlich das Schönste am Essen: Dass es die Grenzen mit spielerischer Leichtigkeit zu überschreiten und das Gemeinsame, nicht das Trennende zu betonen vermag. So war es schon immer, ganz besonders aber seit 1858. Da ist nämlich in Graz ein Kochbuch erschienen, das die österreichische Küche wie kein anderes definiert hat. Es stammt von Katharina Prato und heißt "Die Süddeutsche Küche".

In diesem Sinne: Danke für alles! Danke für Juan Amador! Und, weil es echt schon lange einmal gesagt gehört: Glückwunsch zu euren Metzgern! Solche Würste hätten wir auch gerne! (Severin Corti, 2.4.2019)