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Straßenszene in London: Theresa May als Schlafwandlerin im EU-Pyjama.

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Foto: Reuters/Jack Taylor

Im Kampf gegen die Uhr und bedrängt von neuen Initiativen im Unterhaus hat die britische Premierministerin Theresa May am Mittwoch versucht, den geplanten EU-Austritt im Einvernehmen mit der Labour-Party zu organisieren. Deren Vorsitzender Jeremy Corbyn folgte am Nachmittag einer Einladung der Regierungschefin zur Beratung über das weitere Vorgehen. "Es hat sich nicht so viel verändert wie ich erwartet hatte", sagte der Labour-Chef am Mittwochabend. Das etwa zweistündige Treffen beschrieb er als "nützlich, aber ergebnislos".

Unterdessen wollten die früheren Minister Oliver Letwin (Tory) und Yvette Cooper (Labour) noch am Mittwoch Abend ein kurzes Gesetz durchs Parlament peitschen und damit die Premierministerin dazu zwingen, beim EU-Rat eine Verlängerung zu beantragen. Die entsprechende Änderung der Tagesordnung wurde mit der knappestmöglichen Mehrheit von 312:311 Stimmen beschlossen.

Die Maßnahme sei gar nicht nötig, argumentierten Regierungsvertreter, schliesslich werde der EU-Austritt durch Mays neue Initiative ohnehin aufgeschoben. Dies setzt aber eine Einigung mit Brüssel voraus. Ohne den Austrittsvertrag, dem die Abgeordneten am Freitag zum dritten Mal die Zustimmung verweigert hatten, scheidet Grossbritannien am 12. April im Chaos ("No Deal") aus der EU aus, falls der Europäische Rat am kommenden Mittwoch nicht eine neue Lösung findet.

Brexiteers empört

Die Brexit-Befürworter in ihrer eigenen Partei reagierten empört auf das Vorgehen der Premierministerin, das diese am Dienstagabend in einer dreiminütigen TV-Ansprache angekündigt hatte. Sie könnten den jetzt zur Rede stehenden "weichen Brexit" unter Einschluss einer Zollunion mit der EU nicht mittragen, teilten zwei Staatssekretäre mit und traten von ihren Posten zurück. Einer der Favoriten für Mays Nachfolge, Ex-Außenminister Boris Johnson, gab sich "tief enttäuscht": Niemals werde er die Zollunion mittragen.

"Eine" Zollunion zählt seit langem zu den Forderungen von Labour. Corbyn und sein Brexit-Sprecher Keir Starmer wollen dabei ein Mitspracherecht für die siebtgrößte Volkswirtschaft der Welt erreichen. Zudem wäre ein Großteil der Probleme für den Warenverkehr an der inneririschen Grenze gelöst, an der zukünftig EU-Binnenmarkt und Außenwelt aufeinanderstoßen. Ein entsprechender Vorschlag hatte am Montag bei der nicht-bindenden Abstimmung über mögliche Brexit-Altervativen eine Mehrheit nur mit drei Stimmen verfehlt.

Streit um zweites Referendum

Eine Reihe von Labour-Abgeordneten, angeführt von der außenpolitischen Sprecherin Emily Thornberry, bedrängten ihren Vorsitzenden mit der Forderung, er solle im Gespräch mit der Premierministerin auch auf einem zweiten Referendum beharren. Dies wird von May strikt abgelehnt, auch Corbyn gehört nicht zu den Fans einer neuerlichen Volksabstimmung. Allerdings ist er an einen Beschluss seines Parteitags vom vergangenen Herbst gebunden, der dies als letzten Ausweg vorsieht.

Die Premierministerin hatte am Dienstag eine siebenstündige Kabinettsitzung geleitet, bei der den Ministern die Mobiltelefone so lange vorenthalten wurden, bis Mays Ansprache über die Fernsehschirme der Nation geflimmert war. Anschließend ließen die Teilnehmer – dem Fraktionsgeschäftsführer Julian Smith zufolge "das undisziplinierteste Kabinett der britischen Geschichte" – umso heftiger befreundete Medien ihre Version der Ereignisse wissen. Dementsprechend unterschiedlich fielen die Berichte in den Londoner Zeitungen aus: 17 Minister hätten den No Deal angestrebt, meldete Daily Telegraph. Lediglich vier seien dieser Meinung gewesen, berichtete die Times.

Empörung über Fallschirmjäger

Einigkeit bestand in allen Parteien immerhin in der Empörung über einen am Mittwoch publik gewordenen Film aus Kabul. Dort hatten britische Fallschirmjäger bei einer Schießübung das Konterfei von Oppositionsführer Corbyn als Zielscheibe benutzt. Dies sei "gänzlich unakzeptabel", ließ das Verteidigungsministerium verlauten und kündigte eine Untersuchung an.

Im Brexit-Ausschuss gab sich der zuständige Minister Stephen Barclay unberührt gegenüber der zunehmend härter werdenden Rhetorik im Land, in der die Premierministerin und ihr Kabinett immer wieder als "Verräter" am EU-Ausstieg bezeichnet werden. Er selbst sei bekanntermaßen kein Freund des "weichen Brexit", teilte Barclay mit, empfahl seinen Kritikern aber einen Blick auf die Mehrheitsverhältnisse im Unterhaus: Dort sei der vielfach gewünschte No Deal nicht durchsetzbar.

Gänzlich ablehnend gegenüber den neuen Kompromissversuchen äusserte sich die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon nach einem Gespräch mit May in London. Ihre schottische Nationalpartei SNP werde "jedem Tory- oder Labour-Brexit" die Zustimmung verweigern. (Sebastian Borger aus London, 3.4.2019)