In dieser Ausgabe des Familienrats antworten Katharina Weiner vom Jesper-Juul-Familylab in Österreich und der Buchautor, Psychiater und Psychoanalytiker Hans-Otto Thomashoff auf die Frage eines Lesers.

Frage:

"Unser Sohn wird im Sommer drei Jahre alt, und er wird noch immer von meiner Frau gestillt. Ich finde, dass es nun wirklich an der Zeit ist, damit aufzuhören. Meine Frau will davon aber nichts wissen, und es läuft immer darauf hinaus, dass sie mir erklärt, wie wichtig das für die Bindung zum Kind ist. Für mich ist das sehr schwer, weil die Zeit der Zweisamkeit zwischen Mutter und Kind jetzt schon sehr lange dauert, auch wenn es jetzt nicht mehr mehrere Stunden am Tag sind wie früher.

Manche Mütter stillen auch größere Kinder. Von Außenstehenden ernten sie dafür nicht immer Verständnis, und auch viele Väter wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen.
Foto: https://www.istockphoto.com/at/portfolio/Nadezhda1906

Es wirkt einfach auch schon eigenartig, wenn unser Kind auf dem Spielplatz herkommt, das T-Shirt meiner Frau hochschiebt und andockt. Was kann ich tun, und wie kann ich meine Frau zur Einsicht bringen?"

Antwort von Hans-Otto Thomashoff:

Sicher ist Ihnen zuzustimmen, dass für Ihren Sohn irgendwann die Zeit gekommen ist, der Mutterbrust adieu zu sagen. Wenngleich die Tatsache an sich, dass er mit seinen knapp drei Jahren noch gelegentlich andockt, kein wirkliches Drama ist. Bei unseren Verwandten, die noch naturnah leben, ist das durchaus üblich. Zudem scheint ja eine sichere Bindung Ihres Jüngsten an die Mutter und damit ein Aufbau von Urvertrauen bei ihm gelungen zu sein, und das ist gut so.

Mir scheint das Problem liegt woanders. So wie Sie die Situation erleben, nämlich dass Sie verärgert reagieren, könnte ein Anhaltspunkt dafür sein, dass Sie bei Ihrer Frau in Konkurrenz zu Ihrem Sohn geraten sind. Und schlimmer noch: Ihr Sohn scheint dabei die Nase vorn zu haben, also bei seiner Mama an erster Stelle zu stehen. Das ist falsch, wenngleich keineswegs selten. In dem gut gemeinten Bedürfnis, unseren Kindern einen perfekten Start ins Leben mitzugeben, werden nicht wenige Eltern dazu verleitet, die Kinder an die erste Stelle in ihrem Leben zu setzen. Das ist weder gut für die Kinder, die dadurch lernen, dass immer alles nach ihrem Willen geht, noch für die Partnerschaft, denn die leidet darunter, wenn einer der Partner sich in die zweite Reihe versetzt fühlt. Nicht nur, aber auch in der Erotik.

Auch mit Kindern im Haus lautet die Grundregel: Die wichtigste Beziehung in unserem Leben ist nicht die zu unserem Bankberater, zu unserem Arzt, zu unserem Therapeuten oder zu unserem Friseur und auch nicht die zu Mutter und Vater oder zu den eigenen Kindern. Die wichtigste Beziehung in unserem Leben ist die zu unserem Lebenspartner. Nur in ihr können wir uns zu dem Menschen entwickeln, der wir sein wollen. Und das gilt auch für Sie, lieber Fragesteller, und für ihre Frau. (Hans-Otto Thomashoff, 7.4.2019)

Hans-Otto Thomashoff ist Psychiater, Psychoanalytiker, zweifacher Vater und Autor. Zuletzt veröffentlichte Bücher: "Das gelungene Ich" (2017) und "Damit aus kleinen Ärschen keine großen werden" (2018).
Foto: Alexandra Diemand

Antwort von Katharina Weiner:

Danke für Ihre Frage zu einer Thematik, die viele Familien beschäftigt. Ich bin grundsätzlich eine Befürworterin des Stillens, die erste Bindungsphase und auch Grundnahrung betreffend. Ich bin auch keine Gegnerin von Fläschchen, so hier die emotionale Nahrung durch Nähe und Aufmerksamkeit gegeben ist. Stillen ist ein intimer Kontakt. Telefonate und exponierte Plätze währenddessen ein absolutes No-Go.

Im Familienverbund braucht es immer die Möglichkeit, alle Aspekte respektvoll und offen ansprechen zu können, sobald eine Situation, die einem Unwohlsein bereitet, entsteht. Dies gilt für Erwachsene genauso wie für Kinder.

Mein Appell an Mütter ist jener, sich von Beginn an bewusst zu sein:

  • Mütter sind kein 24/7-Selbstbedienungsladen für Ihre Kinder.
  • In einer Partnerschaft sind sie auch Frau und Geliebte.
  • Eigene Grenzen auszudrücken (physisch wie emotional) ist der Grundstein für die persönliche Entwicklung des Kindes.
  • Kein Kind erwartet von seiner Mutter völlige Selbstaufgabe und Aufopferung.

Mein Wunsch an die (Ehe-)Männer und Väter wäre jener, sich für die Bedürfnisse ihrer Familienmitglieder, sich selbst miteingeschlossen, und die Beziehung zu ihnen zu interessieren. Auch eine eigene Reflexion ist dabei hilfreich, denn: Was brauchen Sie als (Ehe-)Mann, und wie möchten Sie als Vater sein?

Stellen Sie sich offen der Frage, warum Ihre Frau immer noch stillt. Ist es ein Zeugnis dessen, dass es unausgesprochene, möglicherweise beidseitige, Bedürfnisse gibt, oder zeugt es von einer (über)mütterlichen Haltung? Antworten darauf finden Sie in einem Gespräch mit Ihrer Frau, das dazu dient, mehr übereinander zu erfahren, anstatt eine gegenseitige Überzeugungs- oder Verteidigungsstrategie zu verfolgen. (Katharina Weiner, 7.4.2019)

Katharina Weiner ist Familienberaterin sowie Coachin und arbeitet als Trainerin in der Elternbildung. Die Mutter einer Tochter leitet das Jesper-Juul-Familylab in Österreich.
Foto: Sven Gilmore