Selbst beim Faschingsumzug durften heuer in Braunau am Inn die Hausärzte nicht fehlen. Mit einem Umzugswagen wurde nämlich eindringlich vor dem Aussterben der "Niedergelassenen" im Bezirk gewarnt. Und tatsächlich ist die Alarmbereitschaft, ähnlich wie im übrigen Innviertel, angebracht. Aktuell gibt es im Innviertel noch 43 klassische Hausarztordinationen. "Für 16 Praxen braucht es in den nächsten fünf Jahren eine Nachfolge. Bereits jetzt hat der gesamte Osten der Stadt Braunau keine entsprechende Versorgung mehr", erzählt Bezirksärztevertreter Kurt Roitner.

Es ist kein lokales Phänomen, wie ein Blick auf das Vertragsärztenetz der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse zeigt: Dieses umfasst aktuell 1116 Stellen – 670 Allgemeinmediziner und 446 Fachärzte. Von den gesamt 670 Stellen für niedergelassene Ärzte waren mit Jahresbeginn 21 unbesetzt. Was etwa einer Verdoppelung gegenüber 2017 entspricht. Für zusätzliche Brisanz sorgt, dass das Durchschnittsalter der Allgemeinmediziner in Oberösterreich bei 52 Jahren liegt. Etwa die Hälfte der Hausärzte wird also in den nächsten zehn Jahren in Pension gehen.

Landarzt Kurt Roitner arbeitet noch, obwohl er bereits in Pension gehen könnte.
Foto: Heribert Corn

Kurt Roitner hat hinter seinem großen Schreibtisch in der Ordination im Zentrum von Braunau Platz genommen. Der 66-Jährige ist "Hausarzt aus Leidenschaft". Und zumindest optisch sehr nah am Klischee: weißes Polo, weiße Hose, graues Haar, braungebrannt, sportliche Figur und ein Lächeln wie aus der Zahnpastawerbung. Gedanken an den Moment, an dem er vielleicht einmal das Stethoskop an den Nagel hängen wird, hat Kurt Roitner maximal im Hinterkopf: "Ich bin gesund, mir macht die Arbeit Spaß – da gehen noch ein, zwei Jahre." Auf einen der Hauptgründe für die berufliche Nachspielzeit weist der Braunauer Hausarzt gern schriftlich hin. Beim Empfang in der Ordination liegt ein rosa Zettel auf: Seit zehn Jahren habe ich mich intensiv bemüht, auf Gemeindeebene, bei Land und Bund auf den drohenden Ärztemangel hinzuweisen. Auch nach dem 65. Lebensjahr bin ich bereit, weiter meine Patienten zu betreuen. Eine zusätzliche Aufnahme von neuen Patienten ist leider nicht möglich. Fragen richten Sie bitte an die Politiker.

Roitner sieht in dem Aushang keine Provokation. Es handle sich lediglich um reine Information: "Mir geht es um meine Patienten. Die Leute sollen erkennen, dass die Politik es verschlafen hat, rechtzeitig gegenzusteuern. Hätte man zeitgerecht etwa über die Finanzierung von Lehrpraxen nachgedacht, gäbe es heute nicht dieses unglaubliche Nachfolgerproblem." Die Lehrpraxis ist für angehende Allgemeinmediziner seit Mitte 2018 verpflichtend. Vorgeschrieben sind sechs Monate bei einem niedergelassenen Allgemeinmediziner – im Anschluss an die 27 Monate Praxis im Spital.

Der Mediziner sieht in dem Aushang keine Provokation.
Foto: Heribert Corn

42 Patienten hat Kurt Roitner an diesem Vormittag zwischen 7.30 und 12 Uhr schon betreut. "Ein eher ruhiger Vormittag", bilanziert er, da gäbe es andere Tage. Ein Pensum, das zusammen mit den Visiten im Pflegeheim und den Hausbesuchen vielleicht doch auch Grund dafür ist, warum sich der ärztliche Nachwuchs eher in Richtung Krankenhaus orientiert. "Natürlich hat man im Spital geregelte Dienste, und man arbeitet in einem Team. Viele Junge sind heute nicht mehr gewillt, dieses enorme Arbeitspensum eines Hausarztes zu bewältigen." Work-Life-Balance sei das Gebot der neuen Generation. Und: Die Allgemeinmedizin spiele heute leider bereits an der Universität nur eine sehr "untergeordnete Rolle".

Viel verdanke er vor allem seiner Frau, erzählt Roitner: "Privat musste ich mich um nichts kümmern. Da hat mir meine Frau stets den Rücken freigehalten." Der Sohn des 66-Jährigen ist übrigens auch Mediziner. Die familieninterne Übernahme der Ortspraxis hat aber nicht geklappt. Roitner junior arbeitet im nahen Krankenhaus Braunau: "Mein Sohn hat immer gesehen, wie viel ich arbeiten muss. Aber: Mein Stundenlohn ist höher – und ich hab weniger Stress."

Von morgens bis abends versorgt Kurt Roitner Patienten, auch am Wochenende.
Foto: Heribert Corn

Mit Geld kann man Carmen Breban heute nicht mehr locken. 2006 hat die 50-Jährige im Braunauer Stadtteil Laab eine Hausarztpraxis übernommen. 300 Patienten galt es damals im Quartal zu betreuen, heute sind es im Schnitt 1600. Zu viel für die Mutter zweier Kinder. Mit Ende März schließt Carmen Breban ihre Ordination und wechselt in die Praxis ihres Mannes in der Ortschaft Weng. Im Stadtteil Laab gibt es damit keine ärztliche Versorgung mehr. Sichtlich geknickt sitzt die Medizinerin in ihrem Behandlungsraum: "Ich will sicher nicht meine Patienten im Stich lassen – und habe mich intensiv um eine Nachfolge bemüht. Aber nachdem sich auch beim dritten Anlauf niemand gemeldet hat, habe ich die Notbremse gezogen. Ich kann einfach nicht mehr."

Pausen hätte es in den letzten Jahren kaum gegeben. Bis neun Tage vor der Entbindung ihres zweiten Kindes hat Breban gearbeitet, nach der Geburt nur zehn Tage freigenommen, das Baby wurde von der Oma in einem Nebenraum der Ordination betreut. "Es geht den ganzen Tag durch. Und aus diesem Hamsterrad wollte ich ausbrechen." Was von ihrer Braunauer Zeit bleibt, sind nur Schulden. Breban: "Natürlich habe ich für den Start einen Kredit aufgenommen. Auf den Schulden bleibe ich jetzt komplett sitzen."

Bis neun Tage vor der Entbindung ihres zweiten Kindes hat Carmen Breban gearbeitet.
Foto: Heribert CORN

Nur wenige Autominuten von Braunau entfernt liegt die kleine Ortschaft Schwand. 972 Einwohner zählt man hier, deutlich mehr Patienten fallen hingegen in den Betreuungsradius von Peter Reichsöllner. Niedergelassen hat sich der Mediziner eigentlich in Schwand, über die Jahre sind aber unter anderem die Nachbargemeinden Handenberg, St. Georgen am Fillmannsbach und mit Hochburg-Ach der Geburtsort des Stille Nacht-Komponisten Franz Xaver Gruber dazugekommen. Doch im Leben von Landarzt Reichsöllner sind oft die Nächte nicht still und die Tage immer turbulent.

Die Praxis liegt in einer unscheinbaren Seitenstraße – doch schon die Unmöglichkeit, eine freie Parklücke zu finden, lässt auf einen entsprechenden Hochbetrieb schließen. Die Bestätigung folgt im Wartezimmer. Dicht aneinandergedrängt warten zahlreiche Grippeopfer auf Einlass beim Herrn Doktor. Als virenfreier Journalist mit Interviewlust wird man da höflich in die Warteschleife verbannt. Konkret fand sich ein Platzerl auf der Untersuchungsliege.

Hausarzt ist ein Beruf mit niedrigem Einkommen, hoher Arbeitsbelastung und schlechtem Sozialprestige.
Foto: Heribert Corn

Im Minutentakt öffnet sich die Tür des Untersuchungszimmers, Patienten kommen, Patienten gehen. Nach gut einer Stunde dann ein kurzer Slot für ein journalistisches Vorsprechen: "Also mit einem Interview wird es heute schwer." Vielleicht dann doch telefonisch? "Unmöglich. Während der Ordinationszeit habe ich keine Minute Zeit zum Telefonieren." Am Abend? Reichsöllner: "Also heute muss ich ab 17 Uhr zu einem 94-jährigen Patienten ins Pflegeheim, dann zum bettlägrigen Altpfarrer, dann muss ich bei einem Drogenkranken auf Entzug schauen, ob der alles so weit im Griff hat.

Also wieder auf die Untersuchungsliege zum Warten und Hoffen. Der Herr Doktor beeilt sich, und endlich geht an diesem stürmischen Tag zwar nicht die Sonne, aber ein hausärztliches Zeitfenster auf. Der kleine Mann im weißen Kittel mit dem verschmitzten Lächeln wirkt trotz des Stresses erstaunlich gelassen. "Ich glaube, ich bin ein klassischer Landarzt. Man ist in verschiedenen Kompetenzbereichen gefordert. Das geht von der seelsorglichen Tätigkeit über die Notfallmedizin, die Kinderheilkunde bis zur Geburtshilfe."

Hausarzt ist kein Traumberuf: Dennoch mag Peter Reichsöllner seinen Beruf.
Foto: Heribert Corn

Diese "Breite" mache für ihn aber auch den Reiz aus: "Mir wurde zwar in jungen Jahren mehrmals geraten, ich sollte doch Facharzt werden. Aber nachdem meine Mutter hier schon Hausärztin war und Hilfe gebraucht hat, war für mich der Weg klar. Ich habe die Liebe zur Allgemeinmedizin quasi mit der Muttermilch aufgesogen."

Leistung erbringen musste Reichsöllner schon in jungen Jahren: "Ich war in einem sehr strengen Internat. Wir wurden damals schon elitär erzogen. Ich hatte aber gute Lehrer und Erzieher und bin daher einer, der nicht schimpft über das Internat. Ich hab dadurch gelernt, sehr konsequent zu arbeiten."

Der Tag beginnt in der Landarztpraxis stets pünktlich um 6.50 Uhr. "Dann gehe ich gemütlich den Tag an. Ordination bis zum frühen Nachmittag, dann Visite bis zum späten Abend. Dazu kommt noch regelmäßig an den Wochenenden der Hausärztliche Notdienst." Und ehe man angesichts der Arbeitsstunden Kritisches einwerfen kann, setzt Reichsöllner nach: "Ja, ich bin ein Spinner und nicht die Norm. Aber ich liebe meinen Beruf." (Markus Rohrhofer, 6.4.2019)