Wer darf an Schulen Aufklärungsarbeit leisten? Der christliche Sexualkundeverein Teenstar sorgt für Aufregung.

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Erst sollte ein Erlass des Bildungsministeriums den Umgang mit dem umstrittenen christlichen Sexualkundeverein Teenstar regeln, dann entschied der Bildungsminister doch, dass Schulen nicht mehr mit Teenstar zusammenarbeiten sollen. Der Verein selbst sieht sich als "Bauernopfer". Ewa Dziedzic hingegen befürchtet, dass die ministerielle Empfehlung nicht reichen wird. Im Gastkommentar warnt die Bundesrätin der Grünen vor Ideologie in Schulen.

Der Sexualpädagogikverein Teenstar sorgt seit Monaten für Aufregung. Geleakte Dokumente aus dem Bildungsministerium bewegten Heinz Faßmann zu der Empfehlung, Teenstar künftig nicht mehr an Schulen unterrichten zu lassen. Der Verein reitet zum Gegenangriff aus – ausgerechnet im Café Prückel.

Reicht diese Empfehlung aus? Nein. Teenstars Lobby sitzt nicht nur in reaktionären Gruppen, sondern hat innerhalb der Regierungsparteien Verfechter gefunden. Das Institut für Ehe und Familie finanziert den Verein laut einem Ö1-Bericht mit einem "höheren fünfstelligen Betrag", Geld fließt auch seitens der Bischofskonferenz.

Backlash auch in Schulen

Dass in Zukunft alle Vereine akkreditiert werden sollen, wirkt wie Ablenkung, gibt es doch bereits jetzt mit dem Grundsatzerlass für Sexualpädagogik klare Kriterien. Im Café Prückel, wo zwei küssende Frauen des Lokals verwiesen wurden, konnte man am Donnerstag eine Litanei hören: Der Minister muss mit uns reden, wir machen weiter, wir sind uns keiner Schuld bewusst. Wie kann man davon ausgehen, dass der Aufklärungsunterricht von Teenstar sich an den Vorgaben des Erlasses orientieren wird?

Das Wort Ideologie ist nicht gerade populär. Entscheidungsträger sind stets bemüht, möglichst wenig ideologisch zu wirken. Gerade weil Bildungsfragen auch Wertefragen sind, muss das Prinzip gelten, dass Indoktrination aller Art zugunsten ideologiefreien Lernens zu vermeiden ist. Gelehrt wird das, was wissenschaftlicher Konsens ist. Die Realität sieht anders aus: Ideologie wird mit angeblichen empirischen Ergebnissen untermauert. Nichtideologische Qualitätssicherung an Schulen ist erstaunlich gering, der Streit auf Basis von politischen Einstellungen ausgeprägt. Fakt ist auch: In der Bildungspolitik geht es um Interessen, um beinharte Interessen. Dabei sollte gerade in der Bildung die oberste Maxime lauten, Kinder zu ideologiekritischen, mündigen Menschen zu erziehen. Aber der Wind weht aktuell in die entgegengesetzte Richtung, und der vielzitierte Backlash macht vor Schulen nicht halt.

Fragliche Vorbilder

Ein Blick nach Polen. Für die rechtskonservative Regierungspartei PiS ist Bildungspolitik schon lange von enormer Bedeutung, die Bildungsreform hat sie im Eiltempo durch das Parlament gepeitscht. Da ging es auch darum, den "Nationalstolz" der Schüler zu festigen und deren "Liebe zum Vaterland" zu entwickeln. Judenpogrome kommen im Geschichtsunterricht nicht mehr vor. Sex gibt es nur in der Ehe und sonst keine verschiedenen sexuellen Orientierungen, Verhütungsmittel werden verteufelt.

Auch in Ungarn wurden Schulbücher hin zu mehr patriotischen Inhalten und einem konservativen Familienbild umgeschrieben. Viktor Orbán beauftragte die Ministerien für Soziales und für Verteidigung, ein "Patriotismus- und Heimatwehr-Erziehungsprogramm" zu entwickeln, Schießunterricht inklusive. Das Studienfach Geschlechterforschung wurde von den Universitäten verbannt.

Das Meldeportal für neutrale Schulen in Deutschland schlug hohe Wellen: AfD-Politiker rückten gegen die "linken Ideologie-Pädagogen" aus. Man wolle die Diskussion in die Gesellschaft tragen, ob die 68er-Generation der Lehrer überhaupt dazu in der Lage sei, Wissen neutral zu vermitteln, hieß es.

Und in Österreich? Masturbation sei schädlich, Homosexualität eine Störung, und auch sonst sei jede Form von Heterosex nur dann okay, wenn man einen Trauschein in der Tasche hat. Mehr als 1.000 Seiten Schulungsunterlagen geben Zeugnis über die haarsträubende Ideologie von Teenstar. Statuiert man am Beispiel dieses Vereins die erwünschte Entwicklung, die Orban bereits vollzieht? Womöglich. Jedenfalls wird weiter Druck gemacht, Ausgang offen.

Neutralität ...

Kürzlich erzählten mir Mädchen bei einer Schuldiskussion, ihr Lehrer möchte nicht, dass sie Fußball spielen. Das gehöre sich nicht, "sie sollen ihre Weiblichkeit nicht zerstören". Viel zu häufig setzen sich Lehrbeauftragte über das Prinzip des neutralen Wissensvermittlers hinweg. Genau deshalb ist die Diskussion rund um Teenstar weitreichender.

Es geht darum, wo Grenzen gezogen werden. Es geht darum, ob Lehrende sich durch den reaktionären türkis-blauen Wind gestärkt fühlen. Die ÖVP-Abgeordnete Gudrun Kugler beispielsweise hat die Teenstar-Leaks heftig verurteilt und hält Vorträge, die aus einer Schulungsunterlage des Vereins stammen könnten. Manch Politiker positioniert sich inhaltlich dort, wo Teenstar ideologisch steht.

... und Versachlichung

Die Debatte muss deshalb weiter gehen: um unabhängige Gruppen mit Sachexpertise als Katalysator zwischen Politik, Lehrergewerkschaft und Bildungsdirektion, um die Frage, wie Neutralität und Versachlichung hineingebracht wird und ob das Bildungsministerium nicht grundsätzlich parteiunabhängig sein sollte. Denn: Schule darf kein Hort für reaktionäre Ideologien sein, unter keiner Regierung. (Ewa Dziedzic, 4.4.2019)