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Vom Auslieferungsturm in Wolfsburg dürften Volkswagen-Autos überall hinfahren, nur nicht nach Luxemburg. Das Höchstgericht der Europäischen Union könnte ein EU-weit gültiges Urteil im Dieselskandal fällen.

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Die Hoffnung auf eine europaweit gültige Beurteilung des VW-Dieselabgasskandals durch ein Höchstgericht war groß, aber sie währte nur kurz. Am 25. März kündigte die 8. Zivilkammer des Landgerichts Erfurt durch den Einzelrichter Martin Borowski den Streitparteien im Schadenersatzprozess gegen die Volkswagen AG an, den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um Vorabentscheidung zu ersuchen.

Und zwar nicht wegen eines einzelnen mutmaßlich geschädigten VW-, Seat-, Audi- oder Skoda-Besitzers wie vor wenigen Monaten am Landesgericht Linz, sondern als "Sammelvorlage" der 22 gleich gelagerten "Dieselfälle", die in Erfurt anhängig sind. Die Vorlage beim EuGH sei angezeigt, wenn der "Ausgang mehrerer beim vorlegenden Gericht anhängiger Rechtssachen von der Beantwortung der vorgelegten Fragen durch den Gerichtshof abhängt", schreibt der Richter im "Hinweisbeschluss" (Az.: 8 O 1045/18). Dem Gerichtshof werde so ermöglicht, "die vorgelegten Fragen trotz der etwaigen Rücknahme bezüglich einer oder mehrerer Rechtssachen zu beantworten".

Drei Probleme

Klären sollte der EuGH im Wesentlichen drei Fragen, die sämtlichen Dieselverfahren inhärent sind:

· Käuferschutz Kommt dem Unions- und dem deutschen Zulassungsrecht käuferschützende Wirkung zu? Dabei geht es auch um das Pflichtenprogramm der EU-Mitgliedsstaaten bei der Kfz-Zulassung. Im Dieselskandal wurde VW seitens des deutschen Kraftfahrtbundesamts ja der Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung attestiert.

· Rückabwicklung Darf im Fall einer Rückabwicklung des Fahrzeugkaufs dem Käufer ein Nutzungsvorteil von dem zu erstattenden Kaufpreis abgezogen werden, oder gebietet das Unionsrecht bzw. lässt es wenigstens zu, keinen oder nur einen begrenzten Vorteil anzurechnen?

· Grundrechte Sind die EU-Grundrechte mit zentralen Schutzpflichten (Recht auf Leben, auf körperliche und geistige Unversehrtheit etc.) zu berücksichtigen?

Zu klären ist darüber hinaus, ob das Softwareupdate, zu dem die Dieselbesitzer vergattert wurden, tatsächlich eine Verbesserung darstellt oder mit dem Update lediglich ein "Thermofenster" eingebaut wurde, das die Abgasreinigung auf Temperaturen zwischen 15 und 33 Grad limitiert.

Mit Verweis auf das Gericht in Linz, das Volkswagen bzw. seinen Händler im Winter gezwungen hat, den Schaden des Klägers im Zuge eines Vergleichs grundsätzlich anzuerkennen – DER STANDARD berichtete -, lässt der Richter keinen Zweifel an der Tragweite eines EuGH-Spruchs: Die Hilfestellung durch den EuGH werde "auch Rechtssicherheit für eine Vielzahl weiterer in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Slowenien oder in anderen Mitgliedsstaaten anhängiger Fälle mit sich bringen".

Der Spruch des EuGH wäre für die Sammelklagen des Vereins für Konsumenteninformation (VKI) namens 10.000 österreichischer Dieselbesitzer zweifelllos ebenso relevant wie für die rund 400.000 Betroffenen, die sich der Musterfeststellungsklage in Deutschland angeschlossen haben. Insgesamt waren in Europa elf Millionen Diesel-Pkws aus dem Volkswagen-Konzern von den Abgasmanipulationen betroffen.

Lösung angestrebt

Zum "beschleunigten Vorabentscheidungsverfahren" kommt es vorerst aber nicht. Dem Weltauto-Konzern gefiel das Ansinnen, 22 Verfahren in einem Aufwaschen in Luxemburg prüfen und – zwar nicht weltweit, aber doch europaweit – rechtsverbindlich abhandeln zu lassen, nicht. Hektische Betriebsamkeit setzte ein, die am Mittwoch in einen Entschluss mündete: Volkswagen unterbreitet allen Streitparteien Vergleichsangebote, um so außergerichtliche Einigungen und Verfahrenseinstellungen zu erwirken. "Der Verkündungstermin ist aufgehoben worden, weil sich die Parteien in außergerichtlichen Verhandlungen befinden". bestätigte ein Sprecher des Landgerichts dem STANDARD den Rückzug. Stimmen alle Kläger zu, wäre die Dieselcausa für Volkswagen zumindest in Erfurt vom Tisch. Vergleicht sich nur ein VW-Kunde nicht, könnte die Reise nach Luxemburg fortgesetzt werden. (Luise Ungerboeck, 5.4.2019)