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Nicola Werdenigg hat das Eis gebrochen. 500 Tage sind vergangen, seit die Ex-Skiläuferin in ihrem Sportmonolog im STANDARD von sexualisierter Gewalt im Sport berichtete. Weitere Opfer taten es ihr gleich, es gab Konsequenzen, von Entlassungen – auch im Skiverband (ÖSV) bis zu rechtskräftigen Verurteilungen. Organisationen und Anlaufstellen wurden gegründet. Das Thema war auf dem Tapet.

Bei allen Fortschritten sind flächendeckende Prävention und Aufarbeitung auch fast eineinhalb Jahre nach dem ersten Aufschrei außer Reichweite, wie Expertinnen eingestehen. Sportministerium-Sektionschef Philipp Trattner signalisiert im Gespräch mit dem STANDARD nun Bereitschaft, Verbandsförderungen an verpflichtende Schulungen zu knüpfen. Eine bevorstehende Studie soll dafür als Basis dienen.

Was geschehen ist

Ihr Weckruf sei angekommen, sagt Werdenigg. "Nicht bei allen Organisationen und Personen", aber die öffentliche Meinung habe sich geändert. Schon das Reden über das Thema sei entscheidend, um "es zu enttabuisieren, dass solche Sachen vorkommen können".

Wie in Sportösterreich üblich, arbeiten mehrere Organisationen mit- und nebeneinander an Prävention und Aufarbeitung. Es gibt Werdeniggs #WeTogether, es gibt das vom Sportministerium finanzierte 100% Sport, dessen Referenten für die drei Dachverbände Sportunion, ASKÖ und ASVÖ "Multiplikatoren" als Ansprechpartner ausbilden. Von 100% Sport stammen ein Ehrenkodex und eine 50-seitige Broschüre zum Thema. Diese erklärt alles, von kritischen Situationen wie gemeinsamen Autofahrten bis zu Präventionsmaßnahmen wie das Sechs-Augen-Prinzip und das richtige Handeln im Verdachtsfall.

Schon das Reden über das Thema sei laut Werdenigg entscheidend, um "es zu enttabuisieren, dass solche Sachen vorkommen können".
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Das Know-how ist vorhanden. Aber: Es wird nicht genug abgeholt. Die Bundessportorganisation berichtet 2018 von 18 Schulungen mit 241 Teilnehmern. "Man kann und darf nicht zufrieden sein, weil Schulungen nicht flächendeckend und verpflichtend sind", sagt Claudia Koller, die Geschäftsführerin von 100% Sport. Ein Rundruf des STANDARD unter Trainern ergab: Wenige haben eigens eine Schulung besucht, in der Ausbildung war Prävention manchmal Thema.

Was geschieht

Sucht man Österreichs Best Practice im Umgang mit Missbrauch im Sport, muss man nach Salzburg schauen. Dort wurde Österreichs erste landesweite Clearingstelle eingerichtet, sie heißt Safe Sports. "Da sind sehr gute Erfahrungen gemacht worden", sagt Werdenigg. "Es wäre ein wichtiger Schritt, das mit einer bundesweiten Dachorganisation in allen Bundesländern zu etablieren."

Die "Arbeitsgruppe Prävention sexualisierter Gewalt" von 100% Sport arbeitet dafür ein Konzept aus. "Ich bin optimistisch: Es wird kein halbes Jahr dauern, bis man das Konzept vorlegen kann", sagt Chris Karl. Die Psychologin sitzt nicht nur in der Arbeitsgruppe, sie ist auch die Leiterin des Salzburger Modellprojekts. Bei Safe Sports können Fälle gemeldet werden, die Präventivarbeit läuft hier zusammen, Betroffene werden auch in rechtlich verjährten Fällen betreut. "Die Täter zu fangen ist Aufgabe der Polizei. Es kann aber sein, dass sich Betroffene früher melden", sagt Karl.

Das Sportministerium signalisiert Bereitschaft zur Schaffung einer zentralen Meldestelle. "Ich halte das für eine sehr gute und interessante Lösung", sagt Sektionschef Philipp Trattner dem STANDARD. Er gehe davon aus, dass sich die Arbeitsgruppe mit dem fertigen Konzept im Ministerium melden wird. "Dann wird man schauen, in welchem Bereich wir dieses Tool fördern können."

Was geschehen muss

"Wir brauchen in Österreich dringend Zahlen", sagt Werdenigg. In Deutschland wurde 2016 eine wegweisende Studie zum Thema sexualisierte Gewalt im Sport durchgeführt. Die Ergebnisse: Ein Drittel der befragten LeistungssportlerInnen hatte sexualisierte Gewalt erfahren, bei einem Neuntel war sie schwerer und/oder länger andauernd.

Das Untersuchungsdesign für eine derartige Studie in Österreich "analog zu der deutschen" sei fertig, sagt Trattner. Sie soll nun gemäß dem Vergaberecht ausgeschrieben werden. "Ich gehe davon aus, dass aus dieser Studie Präventionsschulungen als eine der Maßnahmen herauskommen werden" , sagt Trattner. Dann müsste man die Schulungen "verpflichtend wie damals die Anti-Doping-Bestimmungen in die Statuten der Verbände aufnehmen". Nur diese Verbände sollen dann noch Förderanträge stellen können, Trattner rechnet nicht mit verbandsseitigem Widerstand.

Eine Schulungsverpflichtung via Förderungen wäre bei einer seriösen Verwirklichung – also mit echten Schulungen statt eigens eingeführter Miniworkshops als Feigenblatt – ein großer Schritt. Gleichzeitig wird es weitere Fortschritte bei der Trainerausbildung geben, ein neuer bundesweiter Übungsleiterkurs wird derzeit konzipiert. Die Prävention sexualisierter Gewalt wird dann ein fixer Teil der Trainerausbildung sein. (Martin Schauhuber, 5.4.2019)